Quelle: Manager-Magazin vom 03.02.2013
Trotz Niedrigzinsen wachsen die Finanzpolster der Lebensversicherungen. Weil alte Anleihen im Wert gestiegen sind, haben sich die Bewertungsreserven in zwei Jahren verdreißigfacht. Jetzt tobt der Streit darum, ob die Konzerne die Anleger wie bisher an den Gewinnen beteiligen müssen.
Hamburg – Die sogenannten Bewertungsreserven der deutschen Lebensversicherungen sind weitaus höher als bislang bekannt. Nach Informationen des Nachrichten-Magazins DER SPIEGEL zeigen interne Zahlen von Aufsehern, dass sich die Bewertungsreserven bei festverzinslichen Wertpapieren seit Anfang 2011 fast verdreißigfacht haben – von 2,7 auf 75,1 Milliarden Euro. Andere Anlageformen wie Immobilien mitgerechnet, sind die Bewertungsreserven zuletzt sogar auf 89,7 Milliarden Euro gestiegen.
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Wenn man nun davon ausgeht, dass es sich bei diesen Zahlen wohl nur um eine Untergrenze handelt, da ja bekanntermaßen Versicherer die jeweilige „Schatztruhe“ nur teilweise öffnen bzw. Zahlen meist nur scheibchenweise offen legen (immer dann, wenn es gar nicht mehr anders geht), kann man ohne weiteres nachvollziehen, warum die Versicherer in den vergangenen Jahren – nach der VVG-Änderung – derart massiv Einfluss auf die Politik genommen haben?
Es geht um unvorstellbar viel Geld, das man den Versicherten heute (und auch künftig) vorenthalten will. Der 50%-ige Anteil der Versicherten gemäß VVG an diesem (bisher) deklarierten „Kuchen“ entspricht demnach mindestens 40-45 Mrd. Euro (= 45.000.000.000.–).
Der ruckartige Anstieg der Bewertungsreserven von 2011 zu 2012 ist in keinem Fall in der Wertsteigerung der jeweiligen Anlagegüter begründet. Vielmehr laufen hier 2 Sachen parallel. Zum einen die Änderung des VVG im Jahr 2008 => Beteiligung der Versicherten an den Bewertungsreserven in Höhe 50%. Zum anderen gibt es nach der Finanzkrise neue Bilanzierungsrichtlinien, durch die die Versicherer stille Reserven offen legen müssen.
Will heißen: Viele stille Reserven waren zwar auch schon früher bei jedem Versicherungsunternehmen vorhanden, wurden nach den alten Bilanzierungsregeln jedoch weder aufgedeckt, geschweige denn an die Versicherten je ausbezahlt. In diesem Fall ist die Bezeichnung „stille Reserven“ durchaus Programm => „sei schön still, geliebte Reserve, damit der Versicherte nichts mitbekommt“.
Im Rahmen neuer Bilanzierungsrichtlinien nach der Finanzkrise war die Bilanzierung nach dem Nominalwert nicht mehr zulässig, so dass eine Versicherung nach der anderen „die Hosen“ zu den Bewertungsreserven „runter lassen musste“. In Anbetracht der VVG-Änderung aus dem Jahr 2008 wurde die Offenlegung in der Bilanz natürlich so lange wie möglich hinausgezögert? Je länger die Bewertungsreserven der jeweiligen Anlagegüter gering bewertet sind, desto weniger musste man natürlich bei Versicherungsablauf an die betroffenen Versicherten ausbezahlen.
Die Vorschrift zur Offenlegung der stillen Reserven ist also auch mitverantwortlich für die Eröffnung des Kreuzzuges gegen die Änderung des VVG aus dem Jahr 2008. Ohne die bilanztechnische Offenlegung der stillen Reserven hätte man den Versicherten bei der Auszahlung der anteiligen Überschüsse weiterhin irgendwelche Märchen erzählen können – VVG 2008 hin oder her. Deshalb auch der Gesetzesvorstoß durch die Lobby der Versicherer, den Auszahlungsanteil gemäß VVG durch eine Änderung des VAG komplett zu eliminieren, damit man wieder die vollkommene Kontrollhoheit über die Verteilung, bzw. wohl eher Einbehaltung sämtlicher Überschüsse erlangt?
Apropos „explodierende Bewertungsreserven“:
Jeder der in letzter Zeit eine Lebensversicherung vorzeitig aufgelöst oder durch ordnungsgemäßen Ablauf beendet hat, sollte eine Aufstellung zur genauen Berechnung der Gewinnbeteiligung bzw. zu den Überschüssen wie z.B. den Bewertungsreserven beim entsprechenden Versicherungsunternehmen anfordern. Gemäß den o.a. Zahlen zu den Bewertungsreserven könnte es durchaus sein, dass dem Versicherten nicht der volle Anspruch ausbezahlt wurde und ggf. eine erhebliche Nachzahlung zu erwarten ist? Falls die Versicherung sich weigern sollte oder nur teilweise Aufklärung erfolgt, sollte man sich an einen qualifizierten Finanzmathematiker wenden. Bei Bedarf kann ein entsprechender Kontakt über die CH-Redaktion hergestellt werden.
Eines zeigt aber auch wieder dieser Bericht im Manager Magazin sehr deutlich auf:
Die mehrfach geäußerte Sorge (der Politik) um die angeblich so gebeutelten Lebensversicherer ist völlig unbegründet. Die Hysterie seitens des GDV wirkt, unter Betrachtung der wirtschaftlichen Fakten, als völlig überzogen und polarisiert auf die einseitigen Interessen der Versicherungswirtschaft.
Die Niedrigzinsphase führt logischerweise nicht zur Destabilisierung, sondern zu einem größeren Finanzpolster für die Versicherer als je zuvor. Das Gegenteil der Behauptungen ist also der Fall. Eindrucksvoll belegt wird dies nun auch durch aktuelle Branchenzahlen (=> Geschäftszahlen der Allianz Versicherung für das Jahr 2012 – Rekordgewinn).
Um Versicherer, die ordnungsgemäß wirtschaften, braucht man sich sowohl kurz- als auch mittelfristig wirklich keine Sorgen machen, so lange der Euro bzw. die EU hält (was auch immer sie verspricht).
„Geschenke“ der derzeitigen Bundesregierung – in Form von irgendwelchen Gesetzesänderungen zu Gunsten der gesamten Versicherungswirtschaft – sind deshalb völlig daneben und im Falle der gegenständlichen VAG-Änderung sogar verfassungsrechtlich bedenklich (verfassungswidrig).
Siehe auch:
Monitor vom 21.02.2013
Renten-Poker:
Wie Regierung und Versicherungswirtschaft das Altersvorsorge-Konto blockieren
http://www.wdr.de/tv/monitor/sendungen/2013/0221/rente.php5
In dem Bericht wird bestätigt, dass sich der Gesetzgeber die Änderung des Gesetzes bezüglich der Bewertungsreserven von der Versicherungswirtschaft hat diktieren lassen.
Was muss noch passieren, bis dieser Skandal auch als Skandal wahrgenommen wird und entsprechende Konsequenzen eingefordert bzw. von den verantwortlichen Politikern gezogen werden?