130%-Fälle bei konkreter Abrechnung und die sogenannte 6-Monatsfrist
Hier der Beitrag eines Kommentators vom 23.04.2008.
Der Autor dieses Kommentares hat bei CH einen Textbaustein veröffentlicht, der möglicherweise hilfreich sein könnte, für den Fall, dass der Versicherer bei ordnungsgemäßer Reparatur eines 130%-Falles in einer Fachwerkstatt zuerst nach Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert – Restwert) abrechnet und die Erstattung der Differenz zu den Reparaturkosten von einer Haltedauer des Fahrzeuges über einen Zeitraum von weiteren 6 Monaten abhängig macht. Die Versicherer beziehen sich hierbei auf die BGH-Entscheidungen VI ZR 56/07 vom 27.11.2007 und VI ZR 89/07 vom 13.11.2007. Bei beiden 130%-Fällen wurde lediglich jeweils eine fiktive Abrechnung beurteilt. Hierzu wurde bei Captain HUK bereits am 18.12.2007, am 04.01.2008 und am 08.01.2008 berichtet. BGH-Entscheidungen zu 130%-Fällen der konkreten Abrechnung stehen demzufolge noch aus.
Hier nun der Textbaustein:
an Versicherung
Schadennummer: ____________
Sehr geehrte Damen und Herren,
in vorgenannter Angelegenheit wurden die Reparaturkosten durch Sie bislang nicht in vollem Umfange ausgeglichen.
Sie nehmen insoweit Bezug auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes, Az: VI ZR 192/05, die sich mit dem so genannten Integritätsinteresse befasst.
Zuerst einmal ist festzuhalten, dass sich die von Ihnen angeführte Entscheidung nicht mit dem Sachverhalt einer Reparatur im Rahmen der 130 %-Grenze befasste, sondern mit einer Reparatur, bei der die Reparaturkosten unterhalb des Wiederbeschaffungswertes lagen. Der Geschädigte hatte nicht fachgerecht instandgesetzt.
Festzuhalten ist also daher, dass die Definition des so genannten Integritätsinteresses im Rahmen der 130 %-Grenze durch den Bundesgerichtshof bislang nicht neu erfolgte und die Reparatur überhaupt nicht fachgerecht durchgeführt war.
Abgesehen davon hat der Bundesgerichtshof in der von Ihnen herangezogenen Entscheidung keinesfalls eine absolute Grenze gezogen, sondern lediglich in dem zu entscheidenden konkreten Fall darauf hingewiesen, dass eine Haltedauer von 6 Monaten das Integritätsinteresse bejaht, was jedoch gerade nicht ausschließt, dass Integritätsinteresse auch gegeben ist, wenn die Haltedauer weitaus kürzer ist.
Mit Sicherheit kann die Entscheidung des Bundesgerichtshofes auch nicht so interpretiert werden, dass die Zahlung der Reparaturkosten davon abhängig gemacht wird, dass der Geschädigte nachweist, dass er das Fahrzeug 6 Monate genutzt hat.
Der Bundesgerichtshof hat vielmehr in aktuellen Entscheidungen die Zulässigkeit der Reparatur im Rahmen der 130 %-Grenze bestätigt und an keiner Stelle die Zahlung der Reparaturkosten nach fachgerecht durchgeführter Reparatur davon abhängig gemacht, dass 6 Monate vergehen (BGH, Az: VI ZR 70/04; VI ZR 172/04).
Anspruchsvoraussetzung ist vielmehr, dass der Geschädigte besonderen Wert auf die Instandsetzung seines Fahrzeugs legt und instandsetzt, was hier unstreitig gegeben ist.
Durch die fachgerechte Reparatur und Weiternutzung des Fahrzeuges hat der Geschädigte die Anspruchsvoraussetzungen für den Reparaturkostenersatz im Rahmen der 130 %-Grenze erfüllt.
Wird das Integritätsinteresse durch den Schädiger bestritten, verbleibt dem Schädiger selbstverständlich die Möglichkeit, gegebenenfalls zu Unrecht gezahlte Beträge vom Anspruchsteller zurückzufordern. Keinesfalls kann die Entscheidung des Bundesgerichtshofes dahingehend interpretiert werden, dass der Schädiger bezüglich der Reparaturkosten ein Zurückbehaltungsrecht hat, da dies faktisch dazu führen müsste, dass die von der Rechtsprechung ausdrücklich gewollte Reparatur im Rahmen der 130 %-Grenze ausgehöhlt wird.
Wir haben unserem Kunden geraten, nach Ablauf von 6 Monaten – selbst wenn dies möglicherweise nicht der Rechtsprechung im Rahmen der 130 %-Grenze entspricht – Ihnen gegenüber einen Nachweis vorzulegen, dass das Fahrzeug weiter genutzt wird oder gegebenenfalls mitzuteilen, dass Gründe für eine frühere Veräußerung des Fahrzeuges vorliegen.
Dabei gehen wir davon aus, dass der noch offene Betrag unverzüglich durch Sie zum Ausgleich gebracht wird.
Im Übrigen verweisen wir auf folgende Entscheidungen, die eine Zahlungsverpflichtung uneingeschränkt bejahen auch vor Ablauf von 6 Monaten.
AG Bergheim Urteil vom 19.04.2007, AZ: 21 C 25/07; AG Fürth, Beschluss vom 13.04.2007, AZ: 310 C 116/07; AG Gießen, Urteil vom 22.05.2007, AZ: 43 C 798/07 (VA 2007, 138); AG Nürnberg, Urteil vom 27.07.2007, AZ: 13 C 865/07; AG Witten, Urteil vom 16.08.2007, AZ: 2 C 561/07, LG Aachen, Beschluss vom 11.07.2007, AZ: 1 O 187/07; LG Amberg, Urteil vom 21.06.2007, AZ: 21 O 159/07, LG Duisburg, Urteil vom 30.08.2007, AZ: 5 S 63/07, LG Hamburg, Urteil vom 24.08.2007, AZ: 331 O 28/07, LG Hanau, Urteil vom 30.05.2007, AZ: 1 O 179/07, LG Köln, Beschluss vom 31.08.2007, AZ: 11 T 179/07, LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 08.05.2007, AZ: 8 O 861/07 (zfs 2007,444), OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.01.2007, AZ: 10 U 149/06
Zu beachten ist an diesem Urteil die Besonderheit, dass das OLG Karlsruhe für den Fall einer Eigenreparatur im Rahmen der 130 %-Grenze, auch wenn diese in Eigenregie durchgeführte Reparatur sach- und fachgerecht gemäß den Vorgaben des Sachverständigengutachtens erfolgte, gleichwohl den Nutzungszeitraum von 6 Monaten gemäß dem BGH-Urteil vom 23.05.2006 auf diese Fallkonstellation anwenden will; mag diese Entscheidung derart diskutabel sein, ob die sach- und fachgerechte Reparatur nach den Vorgaben des Sachverständigengutachtens in Eigenregie nicht der entsprechenden Reparatur in einer Fachwerkstatt vergleichbar ist, ergibt sich dennoch hieraus im Umkehrschluss, dass der Nutzungszeitraum von 6 Monaten bei einer durchgeführten Reparatur in einer Fachwerkstatt und Vorlage einer entsprechenden Rechnung, also im Rahmen einer konkreten Abrechnung, nicht anwendbar ist. OLG Nürnberg, Beschluss vom 07.08.2007, AZ: 2 W 1109/07Lediglich das Amtsgericht Essen sieht die Rechtslage anders, weshalb wir der Vollständigkeit halber auf die beiden Entscheidungen (AG Essen, Urteil vom 25.04.2007, AZ: 29 C 613/06, AG Essen, Urteil vom 02.08.2007, AZ: 1 C 245/07) hinweisen.
Die ändert jedoch an der ansonsten klaren Rechtslage nichts. Insoweit gehen wir von unverzüglicher Zahlung aus.
Mit freundlichen Grüßen
Der Textbaustein reflektiert wohl die momentane rechtliche Situation, wobei zu berücksichtigen ist, dass das OLG Düsseldorf am 03.03.2008 eine negative Entscheidung getroffen hat (I-1 W 6/07), bezüglich einer Haltefrist von weiteren 6 Monaten. Rechtskraft unbekannt.
Positiv hat ausserdem das LG Bonn entschieden mit Urteil vom 07.11.2007 (Az.: 1 O 214/07) sowie das LG Bielefeld am 17.01.2008 (Az.: 20 S 112/07), wobei bei dem Urteil LG Bielefeld zu beachten ist, dass das Gericht eine weitere Haltefrist gemäß der beiden vorausgegangenen BGH-Urteile (s.o.) zur fiktiven Abrechnung eines 130%-Falles lediglich als Beweisfrage wertet, jedoch die Fälligkeit der Forderung sofort gegeben sieht.
Die Urteile sollten bei dem obigen Textbaustein ergänzt werden.
Fundstelle: Justiz NRW – Rechtsprechung Nordrhein-Westfalen
Unter Betrachtung der derzeitigen, in vielen Teilen vorsätzlich rechtswidrigen Handlungsweise einiger Versicherer mit dem Umgang der Erstattung berechtigter Schadensersatzansprüche der Geschädigten, dürfte der direkte Erfolg dieses Schreibens jedoch eher fraglich sein.
Man sollte jedoch nichts unversucht lassen und durch umfangreiche Informationsstrategie auf den Langzeiteffekt setzen. Durch Schreiben wie dieses hält man den Mitarbeitern bei den Versicherungen ständig den Spiegel vor und zeigt damit, auf welcher Seite des Rechts sie sich eigentlich bewegen – auch unter Bezugnahme auf das Strafrecht.
Hallo Redaktion,
Prima Beitrag. Ich werde die ausgezeichneten Textbausteine sofort übernehmen. Weiter so Jungs!
Grüße
RA. Wortmann
Hallo,
zu diesem Thema habe ich heute einen interessanten Aufsatz von RA. Wortmann in der Zeitschrift „Der Sachverständige“ Heft 4/2008 gelesen. Ich kann nur alle Interesssierten auf diesen Aufsatz mit dem Titel „Schadensabrechnung auf 130%-Basis bei unverschuldetem Verkehrsunfall“ hinweisen. Dieser Aufsatz ist dann auch gleichzeitig eine Stellungnahme zu dem BGH-Urteil vom 27.11.2007 – VI ZR 56/07 -.
MfG
Euer Willi Wacker
An Rechtsanwalt Wortmann,
Ihr Aufsatz im Heft 4/2008 „Der Sachverständige“ ist so angelegt, dass auch nicht so im Schadenrecht bewanderte Menschen die aktuelle Rechtsprechung im Fall von Fahrzeugschäden bei Reparaturkosten bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswertes nachvollziehen können.
Daher meine Frage, gibt es eine Möglichkeit, diesen exzellenten Aufsatz auch bei captain-huk einzustellen?
Allen ein schönes Wochenende.
Virus
Sehr geehrter Herr Virus,
Ihren Kommentar vom 26.04.2008 habe ich freudig zur Kenntnis genommen. Ich muß Ihnen allerdings tief enttäuscht mitteilen, daß Ihrem Wunsche nicht so ohne Weiteres entsprochen werden kann. Mit der Veröffentlichung eines Aufsatzes oder Beitrages überträgt der Autor seine Urheberrechte auf den Verlag, so daß nunmehr der Verlag Inhaber der Urheberrechte ist. Dieser hat sich urheberrechtlich vorbehalten, daß kein Teil der Zeitschrift außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechte ohne schriftliche Zustimmung des Verlages in irgendeiner Form reproduziert… werden darf. Ich gehe davon aus, daß der Verlag seine schriftliche Zustimmung verweigern wird, da er für die Veröffentlichung gerade in seiner Zeitschrift Autorengeld an den Autor gezahlt hat. Evtl. muß die Redaktion des Captain-HUK mit der verantwortlichen Redakteurin des Verlages, Frau RAin. Elisabeth Jackisch, Kontakt aufnehmen.
Ich bedauere, Ihnen keine bessere Nachricht zukommen lassen zu können.
Mit freundlichen Grüßen
und eine schöne Woche
Ihr RA Wortmann