Hallo verehrte Captain-Huk-Leser,
nach dem ganzen Mist (mit dem Knüppel aus dem Sack am Nikolaustag) geben wir Euch zur Abwechslung mal wieder etwas Erfreuliches bekannt. Nachfolgend stellen wir Euch das Urteil des AG Essen zur fiktiven Abrechnung und zu den Kosten für eine sachverständige Stellungnahme vor. Die sachverständige Stellungnahme war erforderlich, weil die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung ihrerseits ein „Prüfgutachten“ zu dem Gutachten des Kfz-Sachverständigen eingeholt hatte. Dem AG Essen ist wohl zuzustimmen, dass derartige Kosten für eine sachverständige Stellungnahme notwendige Rechtsverfolgungskosten i.S.d. § 249 BGB sind. Sie können auch als mit dem Schaden unmittelbar verbundene Wiederherstellungskosten angesehen werden, weil zur Feststellung des Wiederherstellungsumfangs und deren Kosten diese Erwiderung auf das „Prüfgutachten“ der Versicherung erforderlich ist. Das „Prüfgutachten“ ist parteiisch, denn es wurde im Auftrag und nach den Vorgaben der regulierungspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherung erstellt. Es ist daher notwendig, dass der ursprüngliche Gutachter dazu Stellung nimmt, damit der Geschädigte Klarheit über seinen Unfallschaden erhält, denn der von ihm beauftragte Sachverständige ist Erfüllungsgehilfe des Schädigers. Es soll allerdings auch nicht verschwiegen werden, dass es anderslautende ernstzunehmende Meinungen gibt, die m.E. jedoch nicht überzeugen. Zutreffend hat das Gericht auch die fiktiven Ersatzteilaufschläge zugesprochen, da sie bei einer Reparatur auch anfallen würden. Ebenso wurde – entgegen der Auffassung der Beklagten – eine merkantile Wertminderung von 300,– € durch das Gericht mit sachverständiger Hilfe zugesprochen. Also mal wieder ein erfreuliches Urteil aus dem Ruhrgebiet. Lest selbst und gebt Eure Kommentare ab.
Viele Grüße und ein schönes Wochenende.
Willi Wacker
17 C 1/12 Verkündet am 21.11.2012
AMTSGERICHT ESSEN
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
Klägers,
gegen
Beklagte,
hat das Amtsgericht Essen
im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO
mit Schriftsatzfrist bis zum 31.10.2012
durch die Richterin am Amtsgericht …
für R e c h t erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.459,92 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.12.2011 zuzahlen.
Die Beklagte wird ferner verurteilt, den Kläger von Rechtsanwaltsvergütungsansprüchen der Rechtsanwälte B & K. aus H. in Höhe von 272,87 € freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Der Kläger ist Eigentümer eines PKW mit dem amtlichen Kennzeichen … . Er macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche aufgrund eines Verkehrsunfalls geltend, der sich am 19.09.2011 auf der Abzweigung Altendorfer Str./Hans-Böckler-Str. in Essen ereignet hat. Das Fahrzeug des Unfallgegners mit dem amtlichen Kennzeichen … war bei der Beklagten haftpflichtversichert.
Die volle Haftung der Beklagten für den entstandenen Schaden ist dem Grunde nach zwischen den Parteien unstreitig. Streitig ist lediglich die Schadenshöhe. Zur Bezifferung des ihm entstandenen Schadens holte der Kläger außergerichtlich ein Gutachten des Sachverständigen … aus … ein, nach dem sich die Reparaturkosten seines Fahrzeugs auf 2.129,58 € und die Wertminderung auf 350 € belaufen. Für sein Gutachten berechnete der Sachverständige 437,33 €. Nach Einwendungen der Beklagten gegen die Schadenshöhe mit Schreiben vom 14.11.2011 (Blatt 35 ff der Akte) holte der Kläger eine erneute Begutachtung durch den Sachverständigen … mit Stellungnahme zu den Kürzungen der Beklagten ein. Hierfür berechnete der Sachverständige … weitere 249,90 €.
Der Kläger beziffert den ihm entstandenen Schaden wie folgt:
Reparaturkosten (netto) 2.129,58 €
Wertminderung 350,00 €
Allgemeine Kostenpauschale 30,00 €
1. Sachverständigengutachten 437,33 €
2. Sachverständigengutachten 249,90 €
Gesamt: 3.196,81 €
Mit anwaltlichem Schreiben vom 12.12.2011 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung zum 22.12.2011 mangels Kenntnis von einer Teilzahlung der Beklagten in Höhe von 998,96 € zur Zahlung von 3.196,81 € auf.
Der Kläger hat zunächst beantragt,
1.
die Beklagte zu-verurteilen, an ihn 2.197,85 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 23.12.2011 zu zahlen;
2.
den Kläger von Rechtsanwaltsvergütungsansprüchen der Rechtsanwälte… aus … in Höhe von 411,15 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 23.12.2011 frei zu stellen.
Nachdem die Klage vom 30.12.2011 am 02.01.2012 bei Gericht eingegangen war, hat die Beklagte am 03.011.2012 einen Betrag in Höhe von weiteren 245,60 € an den Kläger sowie in Höhe von 437,33 € unmittelbar an den Sachverständigen gezahlt. Mit Schriftsatz vom 04.04.2012, bei Gericht eingegangen am 10.04.2012, hat der Kläger daraufhin den Klageantrag zu Ziffer 1 in Höhe von 682,93 € zurückgenommen und beantragt, der Beklagten insoweit gemäß § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO die Kosten aufzuerlegen.
Der Kläger beantragt nunmehr,
1.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.514,92 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 23.12.2011 zuzahlen;
2.
ihn von Rechtsanwaltsvergütungsansprüchen der Rechtsanwälte … aus … in Höhe von 411,15 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 23.12.2011 freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, der Fahrzeugschaden belaufe sich auf der Grundlage der in dem Sachverständigengutachten … berücksichtigten Stundenverrechnungssätze gemäß dem von ihr vorgelegten Prüfgutachten vom 14.10.2011 lediglich auf 1.219,56 €. Eine Wertminderung sei nicht eingetreten. Die Beklagte ist zudem der Ansicht, die Nachbesichtigung des Klägerfahrzeugs sei durch sie nicht veranlasst und auch nicht erforderlich zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung gewesen. Im Hinblick auf den nur durchschnittlichen Umfang und Schwierigkeit der Sache könnten Rechtsanwaltskosten nur mit der Regelgebühr von 1,3 verlangt werden.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dr.-Ing. … sowie eines Ergänzungsgutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 05.06.2012 (Blatt 88 ff. der Akte) sowie das Ergänzungsgutachten vom 10.09.2012 (Blatt 129 ff der Akte) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist nur teilweise begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und 2 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe weiterer 1.459,92 €.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass am Fahrzeug des Klägers durch den Verkehrsunfall vom 19.09.2011 ein Schaden entstanden ist, der Reparaturkosten in Höhe von 2.129,58 € erforderlich macht. Der Sachverständige Dr.-Ing. … hat in seinem Gutachten vom 05.06.2012 auf der Grundlage der von dem Sachverständigen … gefertigten Lichtbilder und nach Besichtigung des Fahrzeugs des Klägers ausgeführt, dass die in der Kalkulation des Sachverständigen … aufgeführten Arbeiten und Ersatzteile zur sach- und fachgerechten Beseitigung des Schadens erforderlich sind. Die Ersatzteilaufschläge kann der Kläger ebenfalls ersetzt verlangen, da sie von der örtlichen Werkstatt auch tatsächlich berechnet werden. Die merkantile Wertminderung des Fahrzeugs des Klägers ist nach der nachvollziehbaren Darstellung des Sachverständigen Dr.-Ing. … in seinem Ergänzungsgutachten vom 10.09.2012 mit lediglich 300 € in Ansatz zu bringen. In Höhe von 50,00 € ist die Klage daher unbegründet.
Die allgemeine Kostenpauschale erachtet das Gericht gemäß § 287 ZPO in Höhe von lediglich 25 € für ausreichend und angemessen. In Höhe der weiteren geltend gemachten 5 € war die Klage daher ebenfalls abzuweisen.
Der Kläger kann auch die Kosten für das Nachbesichtigungsgutachten in Höhe von 249,90 € von der Beklagten ersetzt verlangen. Aufgrund der unberechtigten Anspruchskürzung der Beklagten mit Schreiben vom 14.10.2011 war die Nachbesichtigung und ergänzende gutachterliche Stellungnahme des Sachverständigen … zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung des Klägers erforderlich im Sinne von § 249 BGB.
Der Anspruch des Klägers auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist lediglich in Höhe von 272,87 € begründet. Grundlage der Berechnung ist ein Gegenstandswert von lediglich 2.197,85 €, da zum Zeitpunkt der Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers gemäß dem Schreiben der Beklagten vom 14.10.2011 bereits ein Betrag in Höhe von 998,96 € außer Streit stand. Darüber hinaus ist lediglich eine 1,3-fache Geschäftsgebühr in Ansatz zu bringen, da der Kläger nicht dargelegt hat, dass der vorliegende Rechtsstreit nach Umfang und Schwierigkeit als überdurchschnittlich zu bewerten ist (vgl. BGH, Urt. v. 11.07.2012, VII ZR 323/11).
Die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten berechnen sich daher wie folgt:
1,3 Geschäftsgebühr §§ 13, 14 RVG, Nr. 2300 WRVG: 209,30 €
Kostenpauschale Nr. 7002 WRVG: 20,00 €
Mehrwertsteuer Nr. 7008 WRVG: 43,57 €
Gesamt: 272,87 €
Der Zinsanspruch hinsichtlich des Antrags zu Ziffer 1) folgt aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286, 288 BGB. Eine Verzinsung des Freistellungsanspruchs findet nicht statt, da es sich nicht um eine Geldschuld im Sinne von § 288 Abs. 1 BGB handelt. Das der Kläger aufgrund der bisherigen Nichterfüllung des Freistellungsanspruchs mit Zinsen im Verhältnis zu seinen anwaltlichen Vertretern belastet ist, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 269 Abs. 3 Nr. 3 ZPO. Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, waren der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, da sie sich spätestens mit Ablauf der ihr mit anwaltlichem Schreiben vom 12.12.2011 zum 22.12.2011 gesetzten Frist mit der Zahlung des zurückgenommenen Betrages in Verzug befand und die Zahlung sodann erst zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit der Klage erfolgt ist. Im Übrigen war hinsichtlich des abgewiesenen Teils der Klage die Zuvielforderung des Klägers verhältnismäßig geringfügig und hat keine höheren Kosten verursacht, so dass die Kosten des Rechtsstreits insgesamt der Beklagten aufzuerlegen waren.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
Streitwert:
bis zum 09.04.2012: 2.197,85 €
ab dem 10.04.2012: 1.514,92 €.
Hi W.W.,
m.E. hat das Gericht zu Recht die Stellungnahmekosten zugesprochen. Soweit teilweise dazu eine Rechtsgrundlage gefordert wird, bin ich auch der Meinung, dass § 249 BGB die entsprechende ist. Das Gericht sieht die Stellungnahmekosten als Rechtsverfolgungskosten. Sie können m.E. aber auch nach BGH VI ZR 67/06 als erforderlicher Wiederherstellungsaufwand angesehen werden, denn sie sind mit dem Schaden am Fahrzeug zur Schadensfeststellung und Feststellung der erforderlichen Höhe verbunden. Ohne die „Nachbegutachtung“ würde der Prüfbericht ohne weitere Beanstandung im Raume stehen. Damit die Angaben im Prüfbericht nicht zugestanden werden, ist es erforderlich, eine (weitere) Stellungnahme des Schadensgutachters einzuholen. Wenn dieser die Angaben aus dem Prüfbericht zurückweist, dann ist das ursprüngliche Gutachten Basis für die Schadensregulierung und auch Basis für die Feststellung des Schadens und seiner Höhe, was ja auch Sinn und Zweck des Gutachtens ist. Denn nach BGH kann der Geschädigte seiner Schadensberechnung das Gutachten eines qualifizierten Kfz-Sachverständigen zugrunde legen.
Das obige Urteil zeigt auch, wie wichtig die Stellungnahme war. Ohne dies wäre vermutlich das Gericht nicht zu dem vorliegenden Ergebnis gelant, da bin ich mir sicher. Auch die Chancengleichheit erfordert eine gutachterliche Stellungnahme. Der Geschädigte ist i.d.R. technischer Laie. Welche Stundensätze anzusetzen sind, ist ihm nicht bekannt. Das gleiche gilt für die Wertminderung, die Verbringungskosten und die UPE-Aufschläge. Nur der die Situation vor Ort kennende Sachverständige kann dazu Stellung nehmen. Die Prüfdienstleister streichen auftragsgemäß diese Positionen. Aber auch bei fiktiver Abrechnung fallen diese an, wie das Urteil zeigt.
Grüße
Robert Richter