Hallo verehrte Captain-Huk-Leserschaft,
nachdem wir vor Kurzem für Euch ein wirkliches „Schrotturteil“ des Amtsgerichts Dortmund hier im Blog vorgestellt hatten, stellen wir Euch heute ein weiteres „Schrotturteil“ vor. Eigentlich wollten wir ein derart schlecht begründetes Urteil, das im Namen des Volkes ergangen ist, gar nicht veröffentlichen. Damit uns aber nicht wieder der Vorwurf der „Versicherungsfeindlichkeit“ gemacht werden kann (vgl. OLG Hamm Beschluss vom 26.2.2015 – 1 W 86/14 – = DS 2015, 222, 223), haben wir uns entschlossen, das Urteil des AG Halle an der Saale vom 31.8.2017 im Rechtsstreit des Sachverständigen aus abgetretenem Recht gegen die Allianz Versicherungs AG doch zu veröffentlichen. Damit haben wir dann auch einen Grund, auf die erschreckenden Fehler in dieser Entscheidung hinzuweisen. Zum Ersten prüft das Gericht den „erforderlichen“ Geldbetrag im Sinne des § 249 II BGB, obwohl es sich nach der BGH-Rechtsprechung bei den Sachverständigenkosten um einen mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 I BGB auszugleichenden Vermögensnachteil handelt, sofern die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzansapruchs erforderlich und zweckmäßig ist (BGH VI ZR 67/06 Rn. 11 = DS 2007, 144 m. Anm. Wortmann; BGH VI ZR 357/13 Ls. a) = DS 2014, 282 ; BGH VI ZR 491/15 Ls. 1 = NJW 2016, 323 m. Anm. Wittschier = DS 2016, 328 Ls.; BGH VI ZR 76/16 Ls. 1 = DS 2017, 294 = NJW 2017, 1875 m. Anm. Wittschier). Bei der konkreten Schadensabrechnung nach § 249 I BGB bedarf es jedoch keiner Schadenshöhenschätzung, da der über § 249 I BGB auszugleichende Vermögensnachteil bereits bei dem Geschädigten eingetreten ist durch die Rechnungsstellung bzw. die Preisvereinbarung. Denn mit der Rechnung ist der Geschädigte mit einer Zahlungsverpflichtung belastet. Diese Zahlungsverpflichtung ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung als ein zu ersetzender Schaden anerkannt (BAG NJW 2009, 2616 Rn. 18; BGH NJW 2007, 1809 Rn. 20; BGH NJW 2005, 1112, 1113; BGH NJW 1986, 581, 582; BGH BGHZ 59, 148, 149 f.; Offenloch ZfS 2016, 244 Rn. 2). Zum Weiteren verkennt das erkennende Gericht, dass es sich bei § 287 ZPO um eine Schasdenshöhenschätzung handelt. Lediglich der Gesamtbetrag hätte – wenn überhaupt – einer Schätzung durch das Gericht unterworfen werden können. Im Übrigen handelt es sich bei § 287 ZPO – und das kann nicht oft genug wiederholt werden – nach herrschender BGH-Rechtsprechung um eine Norm der Darlegungs- und Beweiserleichterung zugunsten des Klägers. Die vom VI. Zivilsenat des BGH formulierte besondere Freistellung des Tatrichters mit der Möglichkeit der Schadenskürzung gemäß § 287 ZPO darf als Mindermeinung angesehen werden. Alle übrigen Zivilsenate des BGH sehen darin nämlich die Beweiserleichterung für den Kläger. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass der vom Geschädigten zur Feststellung des Schadensumfangs und der Schadenhöhe hinzugezogene Kfz-Sachverständige nach der Rechtsprechung des für Halle / Saale zuständigen Oberlandesgerichts Naumburg der Erfüllungsgehilfe des Schädigers ist (vgl. OLG Naumburg DS 2006, 283 = NJW-RR 2006, 1029; so auch: AG Nürnberg NZV 2010, 627; AG Nürnberg SP 2008, 306; AG Bonn Urt. v. 22.10.2007 – 2 C 339/07 -). Da der Sachverständige Erfüllungsgehilfe des Schädigers ist, sind die Fehler, auch bei der Rechnungsstellung, gemäß der §§ 278, 254 II 2 BGB dem Schädiger zuzurechnen (vgl. BGH BGHZ 63, 182, OLG Naumburg aaO.; OLG Nürnberg SP 2002, 358; LG Hagen NZV 2003, 337; AG Limburg SP 2008, 446; AG Unna SP 2004, 205, 206; AG Hagen SP 2004, 31; Imhof/Wortmann DS 2011, 149, 151). Letztlich ist noch zu beanstanden, dass der Kläger aus abgetretenem Recht einen (Rest-)Schadensersatzanspruch gegenüber dem Schädiger bzw. dessen Kfz-Haftpflichtversicherer geltend macht. Im Schadensersatzprozess ist es jedoch nicht angesagt, werkvertragliche Gesichtspunkte, wie Angemessenheit oder Üblichkeit, zu prüfen. Im Schadensersatzprozess sind weder der Schädiger noch das Gericht berechtigt, eine Preiskontrolle durchzuführen (BGH VersR 2004, 1189, 1190 ). Das gilt auch für die Sachverständigenkosten (BGH DS 2006, 144 Rn. 13). Daraus ist dann auch klar ersichtlich, dass der vom Geschädigten hinzugezogene Sachverständige der Erfüllungsgehilfe des Schädigers ist, denn der Geschädigte ist regelmäßig nicht in der Lage, die Höhe der später zu berechnenden Sachverständigenkosten zu beeinflussen. Das Gleiche gilt für einzelne Rechnungspositionen bei einer vorherigen Preisvereinbarung. Dass im Schadensersatzprozess keine werkvertraglichen Gesichtspunkte anzustellen sind, hat der VI. Zivilsenat des BGH selbst in seiner Entscheidung vom 19.7.2016 – VI ZR 491/15 – in Randnummer 22 (= BGH NJW 2016, 3363 = DS 2016, 328 Ls.) festgestellt. Durch die Abtretung ändert sich die Schadensersatzforderung nicht. Nur weil nach der Abtretung der Schadensersatzforderung nunmehr der Sachverständige aus abgetretenem Recht den Anspruch geltend macht, wandelt sich der abgetretene Schadensersatzanspruch nicht in einen werkvertraglichen Lohnanspruch um (BGH VI ZR 491/15 Rn. 22). Eine werkvertragliche Angemessenheitsprüfung, wie sie das AG Halle/Saale vorgenommen hat, war daher entbehrlich und sogar nach BGH VI ZR 67/06 Rn. 13 untersagt, denn der Geschädigte hat mit der Beauftragung des qualifizierten Kfz-Sachverständigen den Rahmen des zur Wiederherstellung des vor dem Unfall bestehenden Zustandes Erforderlichen gewahrt, weil er regelmäßig nicht in der Lage ist, den Umfang und die Höhe des Schadens anzugeben, wozu er allerdings aufgrund der ihn treffenden Darlegungs- und Beweislast verpflichtet ist. Der Geschädigte hat also nichts falsch gemacht, wenn er einen qualifizierten Sachverständigen beauftragt, wobei ihn kein Auswahlverschulden treffen darf, weil eben der Sachverständige der Erfüllungsgehilfe des Schädigers bei der Wiederherstellung des früheren Zustandes im Sinne des § 249 I BGB ist. Dass ein derartiges Fehlurteil nicht rechtskräftig werden kann, versteht sich von selbst. Gegen das Urteil ist Berufung eingelegt worden. Über das Rechtsmittelverfahren werden wir berichten. Lest jetzt aber selbst das (nicht rechtskräftige) Urteil des AG Halle / Saale und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab.
Viele Grüße und ein schönes Wochende
Euer Willi Wacker
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