AG Arnstadt Zwgst. Ilmenau sieht bei 757,13 € brutto keinen Bagatellschaden und verurteilt zur Zahlung der Sachverständigenkosten mit Urteil vom 18.11.2016 – 1 C 171/16 -.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leserschaft,

zwischen den BGH-Urteilen zum § 287 ZPO veröffentlichen wir hier und heute noch ein Urteil aus Arnstadt-Ilmenau zu den Sachverständigenkosten gegen die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung, die uns leider nicht mitgeteilt wurde. Leider handelt es sich damit wieder um ein Urteil, auf das die entsprechende Urteilsliste verzichten muss, da es keiner Versicherung zugeordnet werden kann. Im Streit waren Sachverständigenkosten, die die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung nicht erstatten wollte, weil sie – allerdings irrig – meinte, es läge ein Bagatellschaden vor und insoweit wären aus dem Gesichtspunkt der Verletzung der Schadensgeringhaltungspflicht die Kosten für ein Schadensgutachten nicht zu erstatten. Der Geschädigte als Laie konnte von sich aus den Umfang und die Höhe des Unfallschadens nicht angeben, auch wenn die Beschädigungen nur in geringem Umfang vorhanden waren. Aber immerhin bezifferte der vom Geschädigten – zulässigerweise – hinzugezogene Sachverständige einen Schadensbetrag von knapp 760,– € brutto. Dieser liegt eindeutig über dem ohnehin nicht starren Grenzbetrag von 715,– €. Daher hat das erkennende Gericht zum Bagatellschaden das Urteil noch zutreffend begründet. Dann verfiel das Gericht aber leider wieder in eine Überprüfung der Einzelpositionen auf Grundlage der BVSK-Liste, obwohl der BGH entschieden hat, dass der Geschädigte die Ergebnisse der BVSK-Umfrage nicht kennen muss (BGH VI ZR 225/13 Rn. 10). Für uns ist unverständlich, dass die Untergerichte diesen Absatz aus dem BGH-Urteil vom 11.2.2014 – VI ZR 225/13 – völlig ignorieren. Lest aber selbst das Urteil des Amtsgericht Arnstadt Zweigstelle Ilmenau (in Thürigen) und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab.

Viele Grüße
Willi Wacker

Amtsgericht Arnstadt
Zweigstelle Ilmenau
Az.: 1 C 171/16

IM NAMEN DES VOLKES

Endurteil

In dem Rechtsstreit

– Kläger –

gegen

– Beklagte –

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Arnstadt, Zweigstelle Ilmenau durch
Richterin S.
am 18.11.2016 auf Grund des Sachstands vom 18.11.2016 ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495a ZPO

f ü r   R e c h t   e r k a n n t :

1.         Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 343, 80 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.04.2016 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 201,71 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11.07.2016 zu zahlen.

2.        Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.        Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4.        Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 313a ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.

Die Leistungsklage ist zulässig und in Höhe von 343, 80 € sowie in Höhe von 201,71 € begründet. In Höhe von 10,00 € ist sie unbegründet.

Die Feststellungsklage in Ziff. 3 des Klageantrags ist zulässig aber unbegründet.

Die Kosten für das Sachverständigengutachten waren vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens aufgrund der schlüssigen Darlegungen des Klägers zur Überzeugung des Gerichts zweckmäßig und erforderlich (BGH, Urteil vom 31.01.2007, VI ZR 67/06). Der Einwand der Beklagten, es handele sich im Falle des beschädigten Fahrzeugs des Klägers um einen Bagatellschaden [Bl. 22 d.A.] greift nicht; dem Kläger ist ein Schaden an seinem Pkw in Höhe von insgesamt 757,13 € Brutto-Reparaturkosten entstanden. Ein Bagatellschaden liegt jedenfalls bis zu einem Schaden in Höhe von 700,00 € vor (Palandt 2016, § 249 Rn. 58), sodass es sich bei dem dem Kläger entstandenen Schaden gerade nicht um einen solchen handelt. Abzustellen war dabei auf den dem Kläger entstandenen Bruttoschaden, da der Kläger nicht vorsteuerabzugsberechtigt ist. Darüber hinaus ist nicht alleine das Überschreiten einer bestimmten Schadenssumme dafür entscheidend, ob ein Sachverständigengutachten im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB erforderlich ist (BGH, Urteil vom 30.11.2004, VI ZR 365/03). Es kommt dabei auch auf den Einzelfall an. Der Vortrag der Beklagten, an dem Fahrzeug des Klägers sei nur wenig bis gar nichts erkennbar gewesen und auch das Auffahren im Unfallzeitpunkt auf den Pkw des Klägers sei für diesen kaum merklich gewesen, führen nach Überzeugung des Gerichts nicht dazu, dass der Kläger ein Sachverständigengutachten nicht einholen und lediglich auf einen Kostvoranschlag einer Reparaturwerkstatt zurückgreifen muss. Denn dem Kläger war insbesondere mit Blick auf die Schadenshöhe, welche die Bagatellgrenze von 700,00 € nur knapp übersteigt, das Risiko nicht zuzumuten, dass der Unfallgegner oder dessen Haftpflichtversicherer einen Kostenvoranschlag als unzureichend erachten würden (LG Darmstadt, Urteil vom 5.7.2013, 6 S 34/13).

Die Kosten für das Sachverständigenhonorar in Höhe von 295,12 € sind weiterhin angemessen. Dessen Vergütung unterliegt gemäß § 287 ZPO der Schätzung des Gerichts. Dabei stellt die periodische Befragung der Sachverständigen durch die BVSK (Bundesamt der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen e.V. – BVSK Honorarbefragung) eine geeignete Schätzgrundlage dar. Diese als Grundlage der Schätzung unterstellt, liegt das Grundhonorar des Sachverständigen in Höhe von 220,00 € netto innerhalb des Honorarkorridors V der BVSK- Honorarbefragung 2013, bei Reparaturkosten in Höhe von 636,24 € netto.

Darüber hinaus bewegen sich auch die pauschal geltend gemachten Telefon- und Portokosten in Höhe von 12,00 € netto innerhalb des Honorarkorridors V; die Anfertigung von 8 Lichtbildern zu je 2,00 € ist ebenfalls durch den vom Honorarkorridor gesetzten Rahmen gedeckt.

Die Klage war in Höhe von 10,00 € im Hinblick auf die geltend gemachte Unkostenpauschale abzuweisen. Das Gericht geht gemäß § 287 ZPO in Anlehnung an den Rechtsgedanken nach Nr. 7002 VV RVG lediglich von einer ausreichenden Unkostenpauschale in Höhe von 20,00 € aus.

Die Beklagte tragt die vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 201,71 € gemäß §§ 280 Abs. 1,2, 286 Abs.1 S. 1 BGB. Der Einwand seitens der Beklagten, Gebühren in dieser Höhe seien mangels unterschriebener Kostennote nicht fällig und somit nicht nach §§ 280, 286 BGB zu ersetzen [Bl. 45], greift nicht. Denn fällig, wird die Vergütung des Rechtsanwalts gemäß § 8 Abs. 1 RVG bereits dann, wenn der außergerichtliche Auftrag erledigt oder die Angelegenheit beendet ist. Die Unterzeichnung der Kostennote ist hierfür nicht erforderlich (Mayer/Kroiß, 2013, § 10 RVGRn. 1).

Die Zinsentscheidungen beruhen auf §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.

Die Feststellungsklage ist unbegründet. Den Parteien steht kein materiell-rechtlicher Anspruch auf Verzinsung ihrer Kosten- und Auslagenvorschüsse zu, die zur Führung oder Abwehr einer Klage eingesetzt werden (OLG Jena, Urteil vom 25.09.2013 – Az. 7 U 180/13).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

Urteilsliste “SV-Honorar” zum Download >>>>>

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2 Antworten zu AG Arnstadt Zwgst. Ilmenau sieht bei 757,13 € brutto keinen Bagatellschaden und verurteilt zur Zahlung der Sachverständigenkosten mit Urteil vom 18.11.2016 – 1 C 171/16 -.

  1. R-REPORT-AKTUELL sagt:

    Diese entscheidungserheblichen Beurteilungskriterien sind zwar schon bekannt, jedoch keineswegs so umfassend, wie man erwarten könnte. Jede Reparaturwerkstatt und jeder Rechtsanwalt sollte insoweit einem Unfallopfer eine sachdienliche Information geben können. Deshalb wiederholen wir insbesondere:

    „Darüber hinaus ist nicht alleine das Überschreiten einer bestimmten Schadenssumme dafür entscheidend, ob ein Sachverständigengutachten im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB erforderlich ist (BGH, Urteil vom 30.11.2004, VI ZR 365/03). Es kommt dabei auch auf den Einzelfall an.“

    „Wenig bis gar nichts erkennbar“ ist gerade kein tragfähiges Argument, auf eine beweissichernde Tatsachenfeststellung zu verzichten. Das ist nämlich nur die eine Seite eines verkehrsfähigen Gutachtens. Erst der nachfolgende Teil ist die Prognose des Reparaturweges und der damit zu erwartenden Reparaturkosten.

    Je nach Berücksichtigung individuell zu beachtender Abrechnungsmodalitäten, kann der geschätzte Reparaturkostenaufwand höchst unterschiedlich ausfallen. Die Prognose ist schließlich nur der „Ausfluss“ der zwangsläufig vorausgegangenen beweissichernden Tatsachenfeststellung und man kann das Pferd nicht einfach von hinten aufzäumen. Gerade dann , wenn nur „wenig“ oder scheinbar „gar nichts“ erkennbar war, ist die Begutachtung durch einen Fachmann geboten, wie die Praxis immer wieder zeigt und auch ein „kaum merklicher Anstoß“ kann mit beachtlicher Kostenfolge verbunden sein. Die Begutachtungswürdigkeit eines
    Unfallschadens allein von der geschätzten Schadenhöhe abhängig machen zu wollen, ist schon unlogisch, angesichts der zeitlichen Abfolge der für das „Ergebnis“ erforderlichen Tätigkeiten, wenn man damit fälschlicherweise unterstellt, dass die Schadenhöhe bei Beauftragung eines Kfz.-Sachverständigen schon bekannt gewesen sei. Man kann sich also nicht auf den zweiten Teil , also allein auf die Prognose beziehen und allein die Erforderlichkeit für ein Schadengutachten von der geschätzten Schadenhöhe abhängig machen. Einem Unfallopfer mit einem Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht zu drohen, um damit den Verzicht einer Beweissicherung und der damit verbundenen Kostenfolge zu erreichen, ist noch unseriöser als das in Verruf gekommene Haustürgeschäft. Da die abgerechneten Gutachterkosten in Relation zur Schadenhöhe nur bei 34,56 % lagen und eine solche Relation allein schon durch das BGH-Grundsatzurteil vom 11.2.2014 – VI ZR 225/13 – hinsichtlich der Schadenersatzverpflichtung voll abgedeckt wird, war es überflüssig auf eine Honorarbefragung überhaupt zurückzugreifen

    R-REPORT-AKTUELL

  2. R-REPORT-AKTUELL sagt:

    Hallo, Willi,

    du bemerkst: „Für uns ist unverständlich, dass die Untergerichte diesen Absatz aus dem BGH-Urteil vom 11.2.2014 – VI ZR 225/13 – völlig ignorieren.“

    Wenn in Klagen inhaltlich darauf nicht unmissverständlich abgehoben wird und damit auch nicht deutlich angesprochen wird, dass die Beklage diese Grundsatzurteil unter den Tisch fallen lassen möchte, so kann man nicht immer vom Gericht erwarten, dass das Gericht dieses weiße Kaninchen aus dem Zylinder in die Entscheidungsgründe zaubert.

    R-REPORT-AKTUELL

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