Hallo verehrte Leserinnen und Leser des Captain-Huk-Blogs,
hier und heute veröffentlichen wir ein Urteil aus Erding zu den „Sachverständigengebühren“ sowie zum Restwert. Wieder wurde in einem Urteil der falsche Begriff der „Sachverständigengebühren“ benutzt. Juristen sollten gelernt haben, präzise und richtige Begriffe zu verwenden, zumal es sich bei Gebühren um einen im öfffentlichen Recht gebräuchlichen Begriff handelt. Die Schadensbezifferung ist offensichtlich falsch, da es sich um einen Reparaturschaden gehandelt hatte. Abgerechnet wurde jedoch auf Totalschadenbasis. Warum dieses auch immer geschah, ist unverständlich, aber auch nicht mehr aufklärbar. Der Verzugsthese des Gerichts kann ich auch nicht folgen. Eine Fristsetzung sei keine Mahnung. Diese Ansicht ist schlicht falsch, denn mit der Fristsetzung wird dem Schuldner eine letzte Gelegenheit eingeräumt, die Forderung zu begleichen, danach gerät er in Verzug. Gott sei Dank haben sich die Rechtsfehler nicht auf die Kosten ausgewirkt. Lest das Urteil aber selbst und gebt bitte Eure sachlichen Kommentare ab.
Viele Grüße und eine schöne Woche.
Willi Wacker
Amtsgericht Erding
Az.: 7 C 2331/14
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Rechtsstreit
…
– Klägerin –
gegen
VHV Allgemeine Versicherung AG,
– Beklagte –
wegen Schadensersatz
erlässt das Amtsgericht Erding durch die Richterin am Amtsgericht … am 18.03.2015 auf Grund des Sachstands vom 12.03.2015 ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495a ZPO folgendes
Endurteil
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 349,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 19.11.2014 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die LVM Rechtsschutz-Service GmbH, 48126 Münster vorgerichtlich angefallene Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 78,90 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 19.11.2014 zu bezahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 349,54 € festgesetzt.
(abgekürzt nach § 313a Abs. 1 ZPO)
Entscheidungsgründe
Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
I. Die zulässige Klage ist ganz überwiegend begründet.
Die Klägerin begehrt weiteren Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls am 08.06.2014. Die Haftung ist dem Grunde nach unstreitig, streitig ist die Höhe des geltend gemachten Schadens. Die Klägerin hat vorgerichtlich die Beklagte zur Schadensregulierung in Höhe von 3.300,00 Euro (Wiederbeschaffungsaufwand) sowie 858,92 Euro (Sachverständigenkosten) aufgefordert. Von der Beklagten wurde insgesamt ein Betrag in Höhe von 4.188,92 Euro bezahlt. Hinsichtlich des geltend gemachten Wiederbeschaffungsaufwands wurde eine Kürzung um 150,00 Euro vorgenommen und die Klägerin auf ein Restwertangebot in Höhe von 1.450,00 Euro verwiesen. Hinsichtlich der Sachverständigenkosten wurde eine Kürzung in Höhe von 199,54 Euro vorgenommen.
1. Der Klägerin steht der geltend gemachte restliche Schadensersatz in Höhe von 150,00 Euro zu:
Unabhängig von der Frage, ob vorliegend die Voraussetzungen für eine Verweisung auf ein konkretes Restwertangebot vorliegen, steht der Klägerin der geltend gemachte weitergehende Schadensersatzanspruch in Höhe von 150,00 Euro zu:
Das Parteigutachten der Klägerin beziffert die Reparaturkosten auf 4.496,74 Euro brutto bzw. 3.778,77 Euro netto. Der Wiederbeschaffungswert wird mit 4.600,00 Euro beziffert.
Weder die erforderlichen Reparaturkosten, noch der Wiederbeschaffungswert wurden von der Beklagten bestritten. Bestritten wurde nur der Restwert in Höhe von 1.300,00 Euro.
Entgegen der Auffassung der Beklagtenseite kann die Klägerin vorliegend fiktiv die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts verlangen.
Die Klägerin hat vorgetragen und zur Überzeugung des Gerichts durch Vorlage entsprechender Lichtbilder auch nachgewiesen, dass sie das streitgegenständliche Fahrzeug seit mehr als sechs Monaten nutzt.
Nach dem von der Klägerin vorgelegten Parteigutachten befindet sich das Fahrzeug auch in einem Verkehrs- und betriebssicheren Zustand. Der Verkehrs- und betriebssichere Zustand wurde von der Beklagten nicht bestritten. Bestritten wurde nur, dass die Klägerin das Fahrzeug hat reparieren lassen.
Eine fachgerechte Reparatur war vorliegend aber auch nicht erforderlich:
Nach der Rechtsprechung des BGH kann der Geschädigte zum Ausgleich des durch einen Unfall verursachten Fahrzeugschadens, der den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigt, die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts ohne Abzug des Restwerts verlangen, wenn er das Fahrzeug – gegebenenfalls unrepariert – mindestens sechs Monate nach dem Unfall weiternutzt. Der BGH hat im Urteil vom 23.05.2006, Az. VI ZR 192/05 klargestellt, dass für den Anspruch auf die fiktiven Reparaturkosten ohne Berücksichtigung des Restwerts entscheidend ist, dass der Geschädigte das Fahrzeug weiternutzt, sei es auch in beschädigtem, aber noch verkehrstauglichem Zustand. Er kann es nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen unrepariert weiternutzen und den zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag anderweitig verwenden. Im Falle der Weiternutzung stellt der Restwert nur einen hypotetischen Rechnungsposten dar, der sich in der Schadensbilanz nicht niederschlagen darf. Der Wille des Geschädigten zur Reparatur kann nicht zur Voraussetzung für den Anspruch auf Zahlung des zur Instandsetzung erforderlichen Geldbetrags erhoben werden (vgl. ebenso BGH, Urteil vom 29.04.2008, Az. VI ZR 220/07, BGH, Urteil vom 23. 11. 2010, Az. VI ZR 35/10).
Der Wiederbeschaffungswert beträgt vorliegend unbestritten 4.600,00 Euro. Die unbestrittenen Reparaturkosten in Höhe von 4.496,74 Euro brutto bzw. 3.778,77 Euro netto liegen damit unter dem Wiederbeschaffungswert.
Da vorliegend das Fahrzeug zwar verkehrssicher ist, eine Reparatur aber nicht erfolgt ist, ist der Anspruch der Klägerin auf die Höhe der Nettoreparaturkosten beschränkt (vgl. auch Grüneberg in Palandt, § 249 BGB Rn. 24).
Da bislang seitens der Beklagten vorgerichtlich nur ein Betrag in Höhe von 3.150,00 Euro gleistet wurde, hat die Klägerin zumindest Anspruch auf die geltend gemachten weiteren 150,00 Euro.
2. Die Klägerin kann von der Beklagten Ersatz der Sachverständigengebühren in Höhe von weiteren 199,54 Euro verlangen:
Die Sachverständigenkosten in Höhe von insgesamt 858,92 Euro brutto sind auch vor dem Hintergrund der Schadensminderungsobliegenheit der Klägerin aus § 254 Abs. 2 BGB im Rahmen des § 249 BGB als erforderlich und angemessen anzusehen. Als erforderlich sind dabei die Kosten anzusehen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen. Der Geschädigte ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann.
Da es eine Gebührenordnung für Sachverständige nicht gibt, orientiert sich das Gericht bei der Prüfung der Erforderlichkeit der Kosten an der BVSK-Honorarbefragung 2013. Vor diesem Hintergrund ist die Rechnung des Sachverständigen in ihrer Gesamtheit nicht als überhöht anzusehen. Das Grundhonorar liegt mit 520,00 Euro in dem von 479 Euro bis 520 Euro reichenden HB-V-Korridor der BVSK-Honorarbefragung, in welchem zwischen 50% und 60% der BVSK-Mitglieder von der Schadenshöhe abhängig ihr Honorar berechnen. Nach der BVSK-Befragung ist es außerdem üblich, dass neben der Grundgebühr auch Nebenkosten für Lichtbilder, Fahrtkosten, Schreibgebühren, Kopien und eine Pauschale für Porto- und Telefonkosten gesondert berechnet werden. Auch diese vom Sachverständigen berechneten Nebenkosten halten sich jeweils im Bereich des HB-V-Korridors.
Zudem kommt es auch gar nicht darauf an, ob die Sachverständigenkosten überhöht sind. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der Sachverständige im Zusammenhang mit der Schadensregulierung nicht Erfüllungsgehilfe des Unfallgeschädigten ist. Eine überhöhte Rechnung kann daher nicht ohne Weiteres dem Geschädigten zugerechnet werden.
Es handelt sich nicht um eine Frage der Erforderlichkeit gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB, sondern um eine Frage der Verletzung der Schadensminderungspflicht nach § 254 BGB. Der durchschnittliche Unfallgeschädigte hat keine Kenntnis, wie Sachverständigenkosten berechnet werden und was in dieser Hinsicht angemessen ist. Er kann auch nicht, wie in anderen Fällen, zunächst einen Kostenvoranschlag verschiedener Sachverständiger anfordern.
Denn die Höhe der Sachverständigenkosten richtet sich in aller Regel nach dem entstandenen Sachschaden, der erst im Rahmen der Begutachtung festgestellt wird.
Die Beklagtenseite hat trotz des Hinweises vom 02.01.2015 keine konkrete Umstände dafür vortragen, dass es sich der Klagepartei hätte aufdrängen müssen, dass die Sachverständigenkosten zu hoch sind. Der pauschale Vortrag, dass für die Klägerin ein Betrag von 67,52 Euro für 16 Fotos und eine Kilometerpauschale von 1,16 Euro als eindeutig überhöht zu erkennen sei, ist -insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich diese vom Sachverständigen berechneten Nebenkosten jeweils im Bereich des HB-V-Korridors halten – nicht ausreichend.
Vorliegend ist auch unerheblich, ob die Klägerin die Sachverständigenkosten ihrerseits bezahlt hat. Spätestens mit dem Antrag auf Klageabweisung hat die Beklagte den Ausgleich der restlichen Sachverständigenkosten verweigert. Ein Freistellungsanspruch wandelt sich in einen Zahlungsanspruch des Geschädigten um, wenn der Schädiger jeden Schadensersatz ernsthaft und endgültig verweigert und der Geschädigte Geldersatz fordert (vgl. BGH, Urteil vom 13. 1. 2004 – XI ZR 355/02 und Grüneberg in Palandt, § 250 Rn. 2).
3. Anspruch auf Ersatz der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von weiteren 78,90 Euro an die LVM Rechtsschutz-Service GmbH, 48126 Münster.
Die Klägerin ist im Wege der gewillkürten Prozesstandschaft aktivlegitimiert.
Die Klägerin hat vorgetragen, dass der insoweit geltend gemachte Anspruch auf den Rechtsschutzversicherer übergegangen sei und verlangt Zahlung in Höhe von noch 78,90 Euro an die LVM Rechtsschutz-Service GmbH. Die Beklagte hat nicht bestritten, dass die Rechtsschutzversicherung die Klägerin ermächtigt hat, den auf sie übergegangenen Anspruch im eigenen Namen geltend zu machen.
Zu den zu ersetzenden Schäden gehören vorliegend gemäß § 249 BGB auch die außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten.
Der Kostenerstattungsanspruch für die außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten ist Teil des materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruchs.
Die Beklagte ist für die Rechtsanwaltskosten erstattungspflichtig, weil die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts im konkreten Fall gem. § 249 Abs. 2 BGB erforderlich und auch zweckmäßig war.
Zutreffend wird in der Rechtsprechung zwar vertreten, dass dies in einfach gelagerten Fällen nur der Fall ist, wenn der Geschädigte geschäftlich ungewandt ist oder die Schadensregulierung verzögert wird (NJW 1995, 446). Im vorliegenden Fall kann jedoch nicht von einem einfach gelagerten Fall ausgegangen werden. Allein die Frage, wann von einem rechtlich einfach gelagerten Verkehrsunfall ausgegangen werden kann, ist schon schwierig zu beantworten. Von einem einfach gelagerten Fall im Straßenverkehr ist nur in absoluten Ausnahmefällen auszugehen. Es sind insoweit Missbrauchskonstellationen denkbar, bei denen die Beauftragung eines Rechtsanwalts geradezu als unvernünftige oder bloß schikanöse Ausnutzung von Ersatzansprüchen erfolgt. Anhaltspunkte hierfür sind vorliegend aber nicht erkennbar, zumal die Beklagte ohne Beanstandung vorgerichtlich bereits Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 413,64 Euro ausgeglichen hat.
Da die die Kürzung der Schadensersatzforderung seitens der Beklagten aber nicht gerechtfertigt war und damit ein Gegenstandswert von 4.188,92 Euro für die Berechnung der außergerichtlichen anwaltlichen Tätigkeit zugrunde zu legen ist, stehen der Rechtsschutzversicherung noch weitere 78,90 Euro zu.
4. Zinsanspruch erst ab Rechtshängigkeit der Klage.
Hinsichtlich der Hauptforderung kann die Klägerin Zinsen jedoch erst ab Rechtshängigkeit der Klage geltend machen. Die Voraussetzungen des Verzugs gemäß §§ 286, 288 BGB sind nicht gegeben. Das Schreiben vom 30.06.2014 mit Fristsetzung bis zum 10.07.2014 konnte den Verzug der Beklagten nicht begründen. Die Übersendung einer Rechnung oder Zahlungsaufstellung ist, auch wenn sie eine Zahlungsfrist enthält, keine Mahnung (vgl. Grüneberg in Palandt, § 286 Rn. 18). Eine Mahnung war auch nicht gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 3 BGB entbehrlich. Die einseitige Leistungsbestimmung seitens der Klagepartei war vorliegend nicht ausreichend, vgl. BGH Urteil vom 25. 10. 2007 – III ZR 91/07. Entgegen der Ansicht der Klagepartei ist dabei unerheblich, dass es sich bei der Beklagten nicht um einen Verbraucher handelt. Die Ausführungen im genannten Urteil zur Verbrauchereigenschaft beziehen sich nur auf § 286 Abs. 3 BGB, welcher vorliegend nicht zur Anwendung kommen kann, da es sich um eine Schadensersatzforderung handelt.
Das Schreiben der Beklagten vom 12.09.2014 kann auch nicht als ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung verstanden werden.
An das Vorliegen einer solchen Erfüllungsverweigerung sind strenge Anforderungen zu stellen. Die Weigerung muss als letztes Wort aufzufassen sein. Dies ist vorliegend aber nicht der Fall, insbesondere gibt die Beklagte in dem Schreiben zu erkennen, dass die Erfüllungsverweigerung nur auf Grundlage der gegenwärtigen Informationen erfolgt ist.
Damit steht der Klägerin ein Zinsanspruch erst ab Rechtshängigkeit zu.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
III. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.