AG Erkelenz spricht mit Urteil vom 8.11.2011 – 14 C 331/11 – auch bei älteren Fahrzeugen eine merkantile Wertminderung zu.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leser! 

Immer wieder kommt es vor, dass die eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherer sich darauf berufen, bei Fahrzeugen, die älter sind als fünf Jahre oder mehr als 50.000 Kilometer gelaufen sind, gäbe es keinen merkantilen Minderwert mehr. Diese Ansicht wird überwiegend in Rechtsprechung und Literatur ohnehin nicht geteilt. Gleichwohl wird zum eigenen Vorteil dies zunächst behauptet. Mit dieser Behauptung gab sich der Eigentümer eines Opel-Vectra-Kombi, Baujahr 2005, nicht zufrieden und klagte die Wertminderung von 200,– € bei dem zuständigen Amtsgericht in Erkelenz ein. Beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung war die Allianz Versicherungs AG in Berlin. Der zuständige Amtsrichter der 14. Zivilabteilung des AG Erkelenz gab ihm Recht. Das Urteil wurde erstritten von den RAen Busch und Partner aus Heinsberg. Lest selbst und gebt Eure Kommentare ab, auch wenn Ihr in Goslar beim Verkehrsgerichtstag weilt. 

Viele Grüße
Euer Willi Wacker

14 C 331/11                                                        Verkündet am 08.11.2011

AMTSGERICHT ERKELENZ

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

In dem Rechtsstreit

Klägers,

gegen

die Allianz Versicherungs AG, vertreten durch den Vorstand, dieser vertreten durch den Vorsitzenden Severin Moser, An den Treptowers 3, 12435 Berlin,

Beklagte,

hat das Amtsgericht Erkelenz
im vereinfachten Verfahren nach § 495a ZPO
nach Sach- und Rechtslage am 21.10.2011
durch den Richter am Amtsgericht …

für  R e c h t  erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 218,32 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem10.062011 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gemäß § 313a Abs.1 S.1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

Nach teilweiser übereinstimmender Erledigungserklärung der Rechtsstreits in der Hauptsache in Höhe von 211,23 € ist die weitere Klage zulässig und in der Sache überwiegend begründet.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte weiterer Schadensersatz in Form einer merkantilen Wertminderung in Höhe von 200,00 € betreffend das Verkehrsunfallereignis vom 05.05.2011 in … zu.

Die grundsätzliche Haftung der Beklagten aus dem vorgenannten Uhfallereignis ist zwischen den Parteien unstreitig.

Bei dem merkantilen Minderwert handelt es sich um eine Minderung des Verkaufswerts einer Sache, die trotz vollständiger und ordnungsgemäßer Instandsetzung allein deshalb verbleibt, weil bei einem großen Teil des Publikums, vor allem wegen des Verdachts verborgen gebliebener Schäden, eine den Preis beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb besteht. Diese Wertdifferenz stellt einen zu ersetzenden unmittelbaren Vermögensschaden dar. Allgemein anerkannt ist, dass ein merkantiler Minderwert bei einem Fahrzeug dann anzunehmen ist, wenn die Reparatur mit einem nicht unerheblichen Eingriff in dessen bis dahin integeres Gefüge verbunden ist. Dementsprechend ist ein merkantiler Minderwert zu verneinen, wenn Bagatellschäden, d.h. Schäden, durch die die Substanz des Fahrzeugs an tragenden Teilen nicht beeinträchtigt worden ist und die auch die Möglichkeit eines sog. Gefügeschocks mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als ausgeschlossen erscheinen lassen, in einer renommierten Fachwerkstatt durch Austausch der deformierten Teile gegen fabrikneue genormte Ersatzteile unauffällig und nachhaltig beseitigt worden sind. In aller Regel wird es sich bei diesen Bagatellschäden um Schäden an Schraubteilen handeln, die relativ leicht von dem Fahrzeug getrennt und an das Fahrzeug wieder angebaut werden können. Auch die Höhe der Reparaturkosten wird als Kriterium für das Entstehen eines merkantilen Minderwerts herangezogen. Dagegen ist die Frage, ob der Schaden im Fall eines Verkaufs zu offenbaren ist, nicht von Bedeutung (vgl. hierzu LG Bonn: Urteil vom 09.08.2011 – 8 S 236/10, m.w.Nachw.).

Selbst wenn vorliegend durch den Unfall nur die Stoßfängerverkleidung des klägerischen Fahrzeugs beschädigt wurde, ist der Ansatz eines merkantilen Minderwertes gerechtfertigt, weil das Fahrzeug ausweislich des Gutachten des Sachverständigen vom 18.05.2011 einen guten Allgemein-, Karosserie- und Lackzustand aufwies, durch den Unfall aber gerade Lackarbeiten notwendig wurde. Dem Einwand der Beklagten, dass ein merkantiler Minderwert nicht entstanden sei, kann demgegenüber nicht gefolgt werden. Sowohl der Umstand, dass das klägerische Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt älter als fünf Jahre war, als auch das Vorbringen, dass dieses Fahrzeug auf dem Gebrauchtwagenmarkt sehr begehrt sei, so dass eine Preisminderung wegen des Unfalls nicht durchgesetzt werden könne, spielen in Zusammenhang mit dem Entstehen des merkantilen Minderwerts keine Rolle.

Bei der Bemessung des merkantilen Minderwerts sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Insbesondere Alter, Fahrleistung und Erhaltungszustand sowie Marktsituation und Marktgängigkeit des Fahrzeugs, ferner Art und Ausmaß des Schadens. Auch eventuelle Wertverbesserungen durch die Reparatur sind einzubeziehen. Die genaue Höhe des merkantilen Minderwerts ist nach freier tatrichterlicher Überzeugung gemäß § 287 Abs. 1 ZPO im Wege der Schätzung zu ermitteln. Eine allgemein anerkannte Schätzungsmethode hat sich bislang nicht durchgesetzt (vgl. hierzu LG Bonn: Urteil vom 09.08.2011 – Az.: 236/10, m.w.Nachw.).

Unter Berücksichtung der unbestrittenen klägerischen Angaben zum Zustand des Fahrzeugs, die durch das vorgelegte Gutachten untermauert werden, und mangels ausreichende Einwände der Beklagten sieht das Gericht den vom Kläger angesetzten merkantilen Minderwert als angemessen. Selbst wenn durch den Unfall nur die Stoßfängerverkleidüng beschädigt wurde, kann bei Reparäturkosten in Höhe von 1.152,59 € netto nicht ohne weiteres von einem unbedeutenden Schaden ausgegangen werden, Nach teilweiser übereinstimmender Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache in Höhe von 211,23 € und Teil-Anerkenntnis der Beklagtenseite in Höhe von 18,32 € hat der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung weiterer vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

Der Kläger kann lediglich die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 229,55 € verlangen. Ersatzfähig ist nur eine 1,3-Geschäftsgebühr zzgl. Kostenpauschaie und Umsatzsteuer aus einem Gegenstandswert von bis zu 1.709,20 €. Eine höhere Gebühr als 1,3 kann der Kläger nicht geltend machen. Bei der Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG handelt es sich um eine Rahmengebühr im Sinne des § 14 RVG. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 S. 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Gegen den Ansatz einer 1,3-Gebühr für die Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten des Klägers bestehen unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit keine Bedenken. Die von den Prozessbevollmächtigten des Klägers berechnete 1,5-Gebühr ist jedoch unbillig. Zur Bestimmung der Unbilligkeit können die Maßstäbe des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG herangezogen werden. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmt bei Rahmengebühren wie der Geschäftsgebühr der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Hierbei ist anerkannt, dass dem Rechtsanwalt bei dieser Ermessensausübung ein Toleranzspielraum von jedenfalls 20 % einzuräumen ist. Entgegen der neueren Rechtsprechung des BGH, wonach im Hinblick auf den genannten Toleranzspielraum die Erhöhung der bei durchschnittlichen Rechtssachen anfallenden 1,3-Geschäftsgebühr auf eine 1,5-Gebühr einer gerichtliche Nachprüfung entzogen sein soll (BGH, NJW 2011, 1603, 1605), schließt sich das Gericht vorliegend der überzeugenden Auffassung des OLG Koblenz an, wonach die der Anmerkung zu Nr 2300 VV RVG zu entnehmende Kappungsgrenze bei durchschnittlichen Sachen eine höhere Gebühr als 1,3 nicht zulässt. Nach der Anmerkung zu Nr 2300 VV RVG kann eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Diese Regelung begrenzt den in § 14 Abs. 1 S. t und S. 4 RVG dem Rechtsanwalt eingeräumten Spielraum. Der Wert von 1,3 stellt eine Grenze dar, die nicht überschritten werden darf, wenn die Tätigkeit nicht umfangreich oder schwierig war (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 05.09.2011, Az: 12 U 713/10, BeckRS 2011, 22909, m.w.Nachw.; siehe auch AG Kehl, Urteil vom 09.09.2011, Az: 4 C 59/11, BeckRS 2011, 22892).

Der Kläger hat vorliegend nicht ausreichend Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass die Angelegenheit schwierig oder umfangreich war. Nach dem Anwaltsschreiben vom 26.05.2011 wurde die Beklagte lediglich nochmals mit Schreiben vom 28.06.2011 in Hinblick auf die Forderung von Nutzungsausfalientschädigung angeschrieben.

Die zugesprochenen Zinsen ergeben sich aus dem Gesichtspunkt des Verzugs.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91a Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

Streiwert bis zum 19.09.2011             461,21 €
danach                                                249,98 €

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