Hallo verehrte Captain-Huk-Leser,
von Sachsen geht es zurück nach Nordrhein-Westfalen. Nachfolgend gebe ich Euch noch ein Urteil des Amtsgerichts Essen zur fiktiven Abrechnung bekannt. Der Geschädigte war bereits seinem Wirtschaftlichkeitsgebot gefolgt und hatte die Schadensgeringhaltungspflichten nicht verletzt, und trotzdem wollte die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung ihn noch weiter drücken (DAR 2011, 397). Unglaublich, aber wahr! Das Gericht hat auch den Vortrag der Beklagten mit Nichtwissen, obwohl sie genau wußte, als nicht relevant zurückgewiesen. Ebenso hat das Gericht den Vortrag der Beklagten mit Hinweis auf günstigere Werkstätten als unbeachtlich angesehen. Lest selbst und gebt Eure Kommentarte bekannt.
Viele Grüße
Willi Wacker
135 C 212/10 Verkündet am 16.05.2011
AMTSGERICHT ESSEN
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
…
1.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 410,66 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. März 2010 zu zahlen.
2.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt an den Kläger die außergerichtlich entstandene Geschäftsgebühr gemäß Nummer 2300 VV RVG in Höhe von 272,87 € zu Zahlen.
3.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4.
Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
5.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls sowie Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten. Der Kläger ist Halter und Eigentümer des Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen … . Am 5. Februar 2010 kam es auf der …-Allee zu einem Verkehrsunfall, an dem neben dem klägerischen auch das bei der Beklagten zu 1) versicherte und durch den Beklagten zu 2) geführte Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … beteiligt war. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Beklagte zu 2) die Haftung von 100 % für den genannten Unfall trifft.
Das klägerische Fahrzeug war zum Unfallzeitpunkt bereits sechs Jahre alt, die Erstzulassung erfolgte am 15.4.2004, es besaß eine Laufleistung von 181.574 km. Es wies bei dem Unfall einen reparierten links- und rechtsseitigen Frontschaden auf. Das klägerische Fahrzeug wurde nicht in einer Marken-Werkstatt gewartet und repariert, sowie auch nicht Marken-Scheckheft-gepflegt. Es bestanden auch keinerlei Garantien des Herstellers mehr.
Hinsichtlich des Schadens am klägerischen Fahrzeug holte der Kläger ein Gutachten der DEKRA ein. In diesem Gutachten wird ein Aufwand von 94 AW (12 AW = 1 Std.) = 7,83 Std zu je 126 Euro pro Stunde für die Arbeitskosten zu Grunde gelegt, insgesamt also 987,00 € netto. Für die Lackarbeiten wird ein Aufwand von 84 AW (12 AW= 1 Std.) = 7 Std. zu je 101,04 € zugrunde gelegt, insgesamt somit inkl. Lackmaterial von 919,46 € netto (Bl. 18 d.A.). Für Ersatzteilkosten werden 276,02 € veranschlagt. Das Gutachten gibt an, dass „die Kalkulation basiert auf dem Lohnfaktor einer Fachwerkstatt in der Region des Besichtigungsortes. Der Kalkulation liegen die unverbindlichen Preisempfehlungen des Herstellers zugrunde.“ (Bl. 14 d.A.). Insgesamt werden fiktive Reparaturkosten in Höhe von netto 2.189,98 € veranschlagt (Blatt 8 ff. der Akte).
Der Kläger forderte von der Beklagten den Betrag von netto 2.189,98 € sowie eine Unkostenpauschale von 30 € mit Schreiben vom 26. Februar 2010 unter Fristsetzung zum 15. März 2010. Dies lehnte die Beklagte zu 1) mit Schreiben vom 8. April 2010, (Bl. 25 d.A.) ab und regulierte nur 1.804,32 €. Die Beklagte zu 1) verwies hierzu auf ihren Prüfungsbericht (Bl. 26 d.A.), in welchem sie Lohnkosten in Höhe von 681,00 € statt 987,00 €, Lakierkosten inkl Lackmaterial von 842,40 € statt 919,46 € und Ersatzteilkosten in Höhe von 248,42 € statt 276,02 € anerkennt. Dem Prüfungsbericht lagen die Lohnkosten der Firma … , einer Vertragswerkstatt der Beklagten, zugrunde, es wird außerdem auf die noch geringeren Kosten der Firma … GmbH & Co. KG hingewiesen und die Adressen der Firmen werden genannt (Bl. 62 d.A.). Mit der Klage macht der Kläger den Differenzbetrag zu dem im Gutachten festgestellten Betrag in Höhe von 410,66 € geltend sowie den Differenzbetrag zu seiner geltend gemachten Kostenpauschale in Höhe von 5 €, zusammen 415,66 €.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers stellte auf Anfrage des Klägers bei dessen Rechtsschutzversicherung eine Deckungsanfrage für eine spätere klageweise Geltendmachung der Ansprüche.
Der Kläger behauptet, dass das Gutachten der DEKRA keine Stundenverrechnungssätze einer Marken-Werkstatt, sondern den Faktor einer Fachwerkstatt in der Region des Besichtigungsortes zugrunde gelegt habe. Der Kläger ist der Ansicht, dass er berechtigt sei, seiner fiktiven Schadensberechnung grundsätzlich die üblichen Verrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde zu legen, und dadurch, dass das Gutachten keine solche, sondern nur die Sätze regional gebundener Fachwerkstätten zugrunde lege, sei er seiner Schadensminderungspflicht ausreichend nachgekommen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 415,66 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 16. März 2010 zu zahlen,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger die außergerichtliche entstandene Geschäftsgebühr gemäß Nummer 2300 VV RVG in Höhe von 272,87 € zu zahlen.
Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger die außergerichtlich entstandenen, auf die Kostenfestsetzung nicht anrechenbaren Aufwendungen der Rechtsverfolgung in Höhe von 229,55 €, die durch die Einholung der Kostendeckungszusage bei der Rechtsschutzversicherung entstanden sind, zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte zu 1) behauptet, dass die im DEKRA–Gutachten zugrundeliegenden Stundenverrechnungssätze nicht die einer freien Fachwerkstatt seien. Die Reparaturarbeiten der Firma … seien mit einer Reparaturarbeit in einer Marken Werkstatt technisch gleichwertig. Die Firma … sei offizieller Marken-Service-Partner. Auch hier seien die genannten Preise frei zugänglich. Die Beklagte zu 1) ist der Ansicht, der Kläger müsse sich auf eine konkret benannte, günstige und technisch gleichwertige Reparaturmöglichkeit verweisen lassen, da sein Fahrzeug älter als drei Jahre und nicht durchgehend in einer gebundenen Fachwerkstatt gewartet und repariert worden sei.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist in dem tenorierten Umfang begründet.
1. Dem Kläger steht gegen die Beklagten aus dem Verkehrsunfall vom 5. Februar 2010 ein restlicher Schadensersatzanspruch in Höhe von 410,66 Euro zu.
Gemäß § 249 Abs. 2 BGB kann der Geschädigte von dem Schädiger als erforderlichen Herstellungsaufwand die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen, wobei der Geschädigte dem Gebot der Wirtschaftlichkeit im allgemeinen Genüge leistet, wenn er der Schadensabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legt, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (BGH 13.7.2010, VI ZR 259/09, zit. Juris, Rn. 6). Der Geschädigte ist aber im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB gehalten, den Schaden möglichst gering zu halten oder sie mit möglichst geringem Kostenaufwand zu beseitigen (vgl. Erman/Ebert BGB, 12. Aufl., § 254 Rn. 60).
Der Kläger hat seinen Schaden anhand eines DEKRA Gutachtens ermitteln lassen, dessen Kalkulation auf dem Lohnfaktor einer Fachwerkstatt in der Region des Besichtigungsortes basiert und nicht den Lohnfaktor einer markengebundenen Fachwerkstatt.
Die Beklagten haben dies zwar mit Nichtwissen bestritten. Diese Erklärung mit Nichtwissen ist vorliegend aber nicht beachtlich. Denn eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur dann zulässig, wenn der Erklärende tatsächlich keine Kenntnis hat (vgl. Zöller/Greger, ZPO, § 138 Rn. 13). Die Beklagten tragen aber selbst vor, dass die durch sie vorgeschlagenen Tarife unterhalb der Tarife einer markengebundenen Fachwerkstatt im Umkreis des Klägers lägen. Dies setzt aber denknotwendig voraus, dass die Beklagte Kenntnis von den maßgeblichen Tarifen der markengebundenen … Fachwerkstatt im Umkreis des Klägers besitzt.
Der Kläger hat mit dieser Grundlage der Schadensermittlung sowohl dem Gebot der Wirtschaftlichkeit gemäß § 249 Abs. 2 BGB, als auch seiner Schadensminderungspflicht im Rahmen des § 254 Abs. 2 BGB genügt. Die Schadensminderungspflicht des § 254 Abs. 2 BGB findet ihre Grenze in den zumutbaren Anstrengungen, die dem Geschädigten zur Schadensminderung abverlangt werden können. Diese zumutbaren Anstrengungen hat der Kläger grundsätzlich durch Wahl der Grundlage des Lohnfaktors einer freien Werkstatt genüge getan.
Es ist zwar entsprechend dem Vortrag der Beklagten zwar zutreffend, dass der Schädiger den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne weiteres zugänglichen „freien Fachwerkstatt“ verweisen kann, wenn er darlegt und ggf. beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und wenn er ggf. vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würden (vgl. BGH Urteil v. 13.7.2010 VI ZR 259/09).
Dies beinhaltet aber nicht, dass der Schädiger von dem Geschädigten verlangen kann, unter allen ihm zugänglichen und zumutbaren freien Fachwerkstätten die preisgünstigste auszuwählen, wenn der Geschädigt bereits den Tarif einer freien Fachwerkstatt gewählt hat. Denn dies würde voraussetzen, dass der Geschädigte bei all diesen Fachwerkstätten Angebote einholt und das preiswerteste Angebot ermittelt. Diese Anforderungen überspannen grundsätzlich die an den Geschädigten gestellten Anforderungen im Rahmen der Schadensminderungspflicht des § 254 Abs. 2 BGB und sind ihm nur in Ausnahmefällen, wenn beispielweise der Tarif der gewählten freien Fachwerkstatt mit der einer markengebunden Fachwerkstatt identisch ist, zumutbar. Für eine solche Ausnahme fehlt es im hiesigen Fall aber an einem entsprechenden Vortrag des Beklagten. Die Schadenspauschale ist lediglich auf 25 € zu taxieren und in dieser Höhe angemessen (OLG München, NZV 2006, 261), so dass dem Kläger kein Anspruch auf weitere 5 € zustehen.
2. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung der außergerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr seiner Prozessbevollmächtigten zu, da sich die Beklagten ab dem 16.März 2010 in Verzug befanden und die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten zur Wahrung der Rechte des Klägers erforderlich und zweckmäßig war, §§ 280, 286 BGB.
3. Die begehrten Kosten für eine Deckungsanfrage bei der Rechtsschutzversicherung kann der Kläger dagegen nicht verlangen. Es kann hier offen bleiben, ob eine solche Anfrage – bereits ihre Existenz ist zwischen den Parteien streitig – erfolgt ist oder nicht. Es ist jedenfalls kein ausreichender Vortrag erfolgt, dass diese unter den Umständen des Falles erforderlich und zweckmäßig waren. Denn weder hat der Kläger vorgetragen, dass der Kläger keine persönliche Anfrage stellen konnte, noch dass eine etwaige ablehnende Reaktion der Rechtsschutz eine besondere rechtliche Beratung bedurft hätte.
Nebenentscheidungen ergeben sich aus: §§ 280, 288 BGB; §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Der Streitwert beträgt 410,00 €.
Das Problem dürfte hier sein, dass die DEKRA ein mangelhaftes Gutachten erstellt hat. Die DEKRA hat die Rechtsprechung des BGH nicht beachtet. Der BGH hatte bekanntlich mit Urt. vom 20.10.2009 – VI ZR 53/09 – [sog. VW-Urteil] in Fortführung der Porsche-Entscheidung ( BGHZ 155, 1 ff. = BGH ZfS 2003, 405 ] entschieden, dass der Geschädigte seiner fiktiven Schadensberechnung grundsätzlich die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen darf, die ein von ihm beauftragter Sachverständiger auf dem allgemeinen Markt ermittelt hat. Das heißt, die DEKRA als beauftragter Sachverständiger des Geschädigten hat den ihr erteilten Gutachterauftrag mangelhaft erfüllt. Sollte ihm dadurch ein Schaden entstehen, wäre die DEKRA schadensersatzverpflichtet gewesen.
Festzuhalten ist daher, dass ein Sachverständiger immer – auch wenn das zu begutachtende Kfz älter als 3 Jahre ist – die Stundensätze der Markenfachwerkstatt zugrunde zu legen hat.