Das nachfolgend eingestellte Urteil füllt den Skandaltopf – versuchter Betrug am Verkehrsunfallopfer – (mal wieder), begangen von einem der kapitalkräftigsten Versicherer unter dem Dach des GDV. Auf das Honorar des Sachverständigen von 498,27 € beabsichtigte die Allianz Versicherung das Unfallopfer mit 100,00 € abzuspeisen. Wohl auch deswegen, weil es den Allianzrechtsvertretungen vereinzelt gelingt, Richter(Innen) bei Schäden oberhalb der sogenannten Bagatellgrenze – die Erfordernis der Schadenersatzanspruchsbegründung auf einen Kostenvoranschlag reduziert – einzureden.
Warum ich die Urteilsbegründung für geradezu auf den Punkt gebracht halte?
Gestern zitierte ich aus dem BGH-Urteil VI ZR 279/04 vom 14.03.2006
Es würde dem Sinn und Zweck des § 287 ZPO, der dem Geschädigten die Darlegungen und den Nachweis seines Schadens erleichtern soll, zuwiderlaufen, wenn die Vorschrift dazu dienen könnte, dem Betroffenen einen Nachweis seines Schadens abzuschneiden, der ihm nach allgemeinen Regeln offen stünde ..“
und legte dar:
Und genau aus diesem Grund beschränkt sich die Frage nach der Erforderlichkeit aus Sicht des Geschädigten auf die in Anspruch genommene Dienstleistung und nicht auf den Preis der Dienstleistung. Siehe dazu OLG Karlsruhe:
„Ob das Verschulden der Werkstatt darin liegt, dass sie überflüssige Arbeiten ausführt und in Rechnung stellt, oder ob sie betrügerisch nicht durchgeführte Rechnungen abrechnet, ist lediglich ein Unterschied im tatsächlichen Bereich, der die rechtliche Würdigung des Schadensersatzanspruchs zwischen Schädiger und Geschädigten nicht berührt.“
Nachfolgend sieht das erkennende AG Halle – unanfechtbar – das Recht auf die Inanspruchnahme eines Gutachters der freien Wahl auf Grundlage von § 249 Abs. 2 S. 1 BGB.
Ebenso können diese Kosten zu dem nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlichen Herstellungsaufwand gehören, wenn eine vorherige Begutachtung zur tatsächlichen Durchführung der Wiederherstellung erforderlich und zweckmäßig ist (BGH vom 30.11,2004, Az. VI ZR 365/03, Rn, 16 – juris).
Zuvor führt der Richter aus, der Rechnungsbetrag auf das Gutachten fixiert die finanzielle Belastung für den Unfallgeschädigten, die auf Grundlage von § 249 Abs. 1 BGB vom Schädiger auszugleichen ist.
Die Kosten eines Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist.
Somit gilt:
- Was nach § 249 Abs. 1 BGB zu erstatten ist, ist nicht vom Richter nach § 287 ZPO zum Nachteil des Anspruchstellers zu schätzen.
- Was der Schädiger nach § 249 Abs. 1 BGB erstatten muss, hat er weder an Einzelpositionen noch in der Summe zu kürzen.
- § 249 Abs. 2 S. 1 BGB prüft den Schadensersatzanspruch – nur – dem Grunde nach.
Wer dies einmal verinnerlicht hat, erkennt zwangsläufig „das faule § 287 ZPO-Ei“ in VI ZR 67/06, welches Anspruchsstellern vom BGH, 6. Senat, seither – als besonders freigestellter Richter – „verkauft“ wird.
Amtsgericht
Halle (Saale)
Verkündet am 07.06.2016
95 C 4070/15
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
……., Inhaber des Kfz-Sachverständigenbüro ….
Kläger
gegen
Allianz – Versicherungs – AG, d. vertr. d. d. Vorstand, d. vertr. d. d. Vorsitzenden, An den Treptowers 3, 12435 Berlin
Beklagte
hat das Amtsgericht Halle (Saale) auf die mündliche Verhandlung vom 24.05.2016 durch den Richter am Amtsgericht …. für Recht erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 398,27 € nebst Zinsen i.H.v. 6 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 386,27 € seit dem 19.03*2012 sowie aus weiteren 12,00 € seit dem 16.02.2016 zu zahlen,
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen nach § 313a Abs. 1 S. 1 ZPO.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg.
Dem Grund nach ist die Beklagte als Haftpflichtversicherer (§ 115 VVG) für die Forderungen gegen den Halter (§ 7 Abs. 1 StVG) des schädigenden Fahrzeugs einstandspflichtig, da bei dessen Betrieb eine andere Sache (das Auto der Klägerseite) beschädigt wurde. Die ursprünglich dem Geschädigten …… zustehende Ersatzforderung hat dieser an den Kläger abgetreten (Bl. 19 der Akte).
Der Höhe nach schuldet die Beklagte den Gesamtbetrag der für die Gutachtenerstellung in Rechnung (Bl. 38) gestellten 486,27 € abzüglich der bereits darauf gezahlten 100 €.
Die Kosten eines Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist. Ebenso können diese Kosten zu dem nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlichen Herstellungsaufwand gehören, wenn eine vorherige Begutachtung zur tatsächlichen Durchführung der Wiederherstellung erforderlich und zweckmäßig ist (BGH vom 30.11,2004, Az. VI ZR 365/03, Rn, 16 – juris). Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls ist dabei grundsätzlich berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen (BGH vom 15. Oktober 2013, Az. VI ZR 528/12). Ob die Erstellung eines Sachverständigengutachtens ausnahmsweise zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich ist, bestimmt sich aus der Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung des Gutachters (BGH vom 30.11,2004, Az. VI ZR 365/03, Rn, 17 -juris) unter Berücksichtigung seiner seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten (BGH vom 15. Oktober 2013, Az. VI ZR 471/12, Rn. 19-juris).
Ein Indiz für die Erforderlichkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens bildet der durch das Gutachten festgestellte Reparaturaufwand (BGH vom 30.11.2004, Az. VI ZR 365/03, Rn. 18 – juris). Als Betrag, bei dem jedenfalls kein – ein Sachverständigengutachten nicht erforderlich machender – Bagatellschaden vorliegt, setzt der BGH für einen im Jahr 2002 entstandenen Schaden Reparaturkosten in Höhe von 715,81 € an.
Ausgehend davon war der Geschädigte nach dem Unfall berechtigt, nicht nur einen Kostenvoranschlag einzuholen, sondern ein Schadensgutachten. Aus damaliger Sicht konnte sich der Geschädigte nicht darauf verlassen, es liege lediglich ein Bagatellschaden vor.
Ausgangspunkt ist dabei das Schadensbild nach den vorgelegten Fotos (Bl. 104 und 105 der Akte). Danach lag bereits optisch jedenfalls eine Beeinträchtigung der Außenhülle des Fahrzeugs vor. Dies zudem an einer Stelle, die aus Metallblechteilen bestand (Tür links) und lackiert war. Aus Laiensicht war unabsehbar, ob dieser Schaden mit einer bloßen – untechnisch – „Ausbeulung“ wieder zu beheben war oder aber grundlegende Arbeiten erforderlich sein würden, gegebenenfalls inklusive einer Lackierung. In dieser Lage oblag es nicht dem Geschädigten aus dem Gesichtspunkt der Schadensminderung (§ 254 BGB), die für ihn unsicheren und risikobehafteten Weg eines bloßen Kostenvoranschlags zu wählen, um dann gegebenenfalls auf höheren Kosten sitzen zu bleiben.
Diese Sichtweise wird bestätigt durch die Indizwirkung des tatsächlich eingeholten Gutachtens. Unabhängig davon, ob im Ergebnis sämtliche Einzelposten dieses Gutachtens ersatzfähig sind, wird deutlich, welche Bandbreite von zumindest etwaigen Schadensposten auf den Geschädigten zukommen konnten. Der darin bezifferte Gesamtschaden von 1109,62 € liegt deutlich über dem Betrag von 715,81 €, der vom BGH (siehe oben BGH vom 30.11.2004, Az. VI ZR 365/03, Rn. 18 – juris) keinesfalls mehr als Bagatelle eingeordnet wurde; selbst wenn man im Hinblick auf die zwischenzeitliche Inflation einen Aufschlag von 20 % darauf machte.
Zu keiner anderen Bewertung führt auch der Vergleich mit der beklagtenseits eingeholten Gutachtenüberprüfung (Bl. 70-75 der Akte). Diese macht zum einen deutlich, wie weit zumindest vordergründig fachlich fundierte Einschätzungen für die Schadenshöhe auseinanderfallen können; zum anderen handelt es sich um die nachträgliche Einschätzung eines (weiteren) Fachmannes, während der Geschädigte auf seine Laiensicht ex ante zurückgeworfen war.
Die Nebenforderungen (12 € für zwei Mahnungen sowie Zinsen) beruhen auf dem Gesichtspunkt des Verzuges.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Das Urteil finde ich klasse, nur eines ist nicht deutlich herausgekommen:
Der Prüfberich, der im Urteil als „Gutachtenüberprüfung (Bl. 70-75 der Akte)“ und „um die nachträgliche Einschätzung eines (weiteren) Fachmannes“ bezeichnet wird, ist gerade keine Einschätzung eines Fachmannes, sondern das Ergebnis eines voll automatisierten Prozesses, bei dem ein Computer nur Vorgaben des jeweiligen Versicherers anwendet.
Wenn das beim nächsten Mal klar wird, ist ein solches Urteil praktisch perfekt.
Viele Grüße
Kai
So ist zu erkennen, das § 249 Abs. 1 nicht fremd ist und auch 12 Euro für 2 Mahnungen (was in Wirklichkeit 3 Mahnungen waren) zugestanden, werden. Hier gab es eine mündliche Verhandlung, wo man sichtlich froh war, dass die Höhe der Gutachterrechnung nicht angegriffen wurde. Hier mein erzieltes Urteil: http://www.sofort-vor-ort.de/1/1/95-C-4070-15-v-07-06-2016-AG-Halle-i-O-exante-Sicht-keine-Bagatelle-1110-Euro-Kennwort.pdf
@ virus: „§ 249 Abs. 2 S. 1 BGB prüft den Schadensersatzanspruch – nur – dem Grunde nach.“
Das ist so nicht richtig. Ob Schadensersatz dem Grunde nach zu leisten ist, ergibt sich aus den Haqftungsnormen, z.B. § 823 ff BGB, 7, 17, 18 StVG, 115 VVG sowie PflVersG.
§ 249 BGB besagt, wie Schadensersatz zu leisten ist.
Kai – lesen Sie mal.
AG Leipzig Urteil vom 24.07.2013 – 109 C 8897/12
… Auf das sog. Prüfgutachten vom 18.02.2011 (Bl. 51, 52 d. A.) kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreites hingegen nicht an. Dieses stellt gerade keine sachverständige Untersuchung des Unfallfahrzeuges dar, zumal das Unfallfahrzeug von der Firma… nicht begutachtet worden ist. Vielmehr ist das Prüfgutachten durch die Benutzung eines automatisierten EDV-Kürzungsprogramm (sog. intelligente, IT-gestützte Belegprüfung) entstanden, dessen benutzerseitige Vorgaben (Kürzung um x % oder Kürzung um mindestens x Euro) vom erkennenden Gericht nicht nachvollzogen werden können und von der Beklagten auch nicht offengelegt worden sind.
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AG Mitte Urteil vom 25.9.2014 – 108 C 3118/14 -).
… Der Prüfbericht ist im wesentlichen eine abstrakte Aufzeichnung von geringeren Stundenlöhnen ohne hinreichenden Bezug auf den konkreten Schadensfall.
Diesem Prüfbericht kommt keinerlei Beweiswert zu. Es stellt nicht einmal ein nach der ZPO zulässiges Beweismittel dar.
Ein Sachverständigengutachten ist es – schon vom eigenen Anspruch her – nicht. Eine Urkunde kann es mangels Erkennbarkeit des Ausstellers und Unterzeichnung durch denselben nicht sein. Ein Zeugenbeweisantritt, der den Anforderungen des § 373 ZPO genügt, kann darin nicht erblickt werden. Der Prüfbericht ist ein Computerausdruck ohne jeden Aussagewert.
Usw..
Wehpke Berlin
Hallo SV Wehpke,
das haben die beiden Richter/innen in Leipzig und Berlin hervorragend festgestellt.
Viele Grüße
Kai