AG Koblenz verurteilt die LVM-Versicherung zur Zahlung restlicher Sachverständigenkosten mit lesenswertem Urteil vom 29.3.2016 – 164 C 2621/15 -.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,

zu einer Zeit, wo andere schon vor dem Fernseher hocken, stellen wir für Euch hier noch ein Urteil aus Koblenz zu den restlichen Sachverständigenkosten gegen die LVM Versicherung vor. Auch in diesem Fall zeigt es sich, dass es wichtig ist, einen erfahrenen Anwalt für Schadensersatzrecht mit der Geltendmachung der Schadensersatzansprüche zu beauftragen. Das gilt dann auch für die gerichtliche Geltendmachung. Gegen schlüssigen Klagevortrag kommt dann auch die LVM nicht mehr gegen an. Das erkennende Gericht konnte relativ kurz und knapp den Rechtsstreit um den restlichen Schadensersatz nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall entscheiden. Lest selbst das Urteil des AG Koblenz und gebt bitte Eure sachlichen Kommentare ab. 

Viele Grüße
Willi Wacker

Aktenzeichen:
164 C 2621/15

Amtsgericht
Koblenz

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil
(abgekürzt nach § 313a Abs. 1 ZPO)

In dem Rechtsstreit

des Herrn M. A. aus B.

– Kläger –

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte I. & P. aus A.

gegen

LVM Landwirtschaftlicher Versicherungsverein Münster a. G., vertreten.durch d. Vorstand Jochen Herwig, Kolde-Ring 21,48151 Münster

– Beklagter –

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte G. & D. aus A.

wegen Forderung

hat das Amtsgericht Koblenz durch den Richter am Amtsgericht W. am 29.03.2016 ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495a ZPO für Recht erkannt:

1.        Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 74,77 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 27.09.2014 zu zahlen.

2.        Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3,        Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4.        Der Streitwert wird auf 74,77 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

Gestritten wird um restliche Sachverständigenkosten.

I.

Der Beklagte haftet als Haftpflichtversicherer für die Folgen eines Verkehrsunfalls am 3.9.2014, nach dem der Kläger den Gutachter … mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragte. Dafür stellte dieser dem Kläger einen Betrag von 713,80 € in Rechnung.

Der Beklagte regulierte nur 639,03 €. Der Kläger macht nun den Restbetrag geltend.

Der Beklagte ist der Auffassung, die Gutachterkosten seien zu hoch. Insbesondere sei das Grundhonorar deutlich überzogen. Darüber hinaus bestreiten die Beklagten die Anfertigung der in der Rechnung aufgeführten Kopien und Fotos. Die Berechnung von Fahrtkosten- und Telefonpauschale seien unberechtigt, da hier keine Kosten angefallen seien. Die Lichtbilder seien überteuert. Mehr als den bereits regulierten Betrag müsse man daher nicht zahlen.

II.

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Haftung des Beklagten dem Grunde nach ist unstreitig. Streitig ist allein die Höhe der Sachverständigenkosten. Die Einwände des Beklagten tragen insoweit den Abweisungsantrag nicht.

1. Ist wegen der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Sein Anspruch ist auf Befriedigung seines Finanzierungsbedarfs in Form des zur Wiederherstellung objektiv erforderlichen Geldbetrags und nicht etwa auf Ausgleich von ihm bezahlter Rechnungsbeträge gerichtet (BGH, Urteil vom 22.07.2014 Aktenzeichen: VI ZR 357/13). DerGeschädigte ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei. Er darf zur Schadensbeseitigung grundsätzlich den Weg einschlagen, der aus seiner Sicht seinen Interessen am besten zu entsprechen scheint. Denn Ziel der Schadensrestitution ist es, den Zustand wiederherzustellen, der wirtschaftlich gesehen der hypothetischen Lage ohne das Schadensereignis entspricht. Der Geschädigte ist deshalb grundsätzlich berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen (BGH a.a.O.).

Der Geschädigte kann jedoch vom Schädiger nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Er ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Allerdings ist bei der Beurteilung, welcher Herstellungsaufwand erforderlich ist, auch Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (sog. subjektbezogene Schadensbetrachtung). Auch ist der Geschädigte grundsätzlich nicht zu einer Erforschung des ihm zugänglichen Markts verpflichtet, um einen möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen (BGH a.a.O.).

Seiner ihn im Rahmen des § 249 BGB treffenden Dartegungslast genügt der Geschädigte regelmäßig durch Vorlage der Rechnung des mit der Begutachtung seines Fahrzeugs beauftragten Sachverständigen. Ein einfaches Bestreiten der Erforderlichkeit des ausgewiesenen Rechnungsbetrages zur Schadensbehebung reicht dann grundsätzlich nicht aus, um die geltend gemachte Schadenshöhe in Frage zu stellen. Denn der in Obereinstimmung mit der Rechnung und der ihr zugrunde liegenden getroffenen Preisvereinbarung vom Geschädigten tatsächlich erbrachte Aufwand bildet (ex post gesehen) bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung „erforderlichen“ (ex ante zu bemessenden) Betrages im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. In ihm schlagen sich die beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten regelmäßig nieder (BGH a.a.O.).

Zwar ist der vom Geschädigten aufgewendete Betrag nicht notwendig mit dem zu ersetzenden Schaden identisch. Liegen die mit dem Sachverständigen vereinbarten oder von diesem berechneten Preise für den Geschädigten erkennbar erheblich über den üblichen Preisen, so sind sie nicht geeignet, den erforderlichen Aufwand abzubilden (BGH a.a.O.).

2.  Bei Beachtung dieser Grundsätze ist die Klageerwiderung nicht geeignet, den klägerischen Anspruch in Frage zu stellen. Die Beklagten haben nicht substantiiert vorgetragen, dass die von dem Sachverständigen berechneten Preise für den Geschädigten erkennbar erheblich über den üblichen Preisen liegen. Sie bestreiten vielmehr einzelne Positionen in der Rechnung des Sachverständigen. Darauf indes kommt es nicht an. Ausschlaggebend ist, ob der Geschädigte einem Sachverständigen einen Auftrag erteilt hat, der für den Geschädigten (bei Auftragserteilung!) erkennbar erheblich überdurchschnittlich hoch abrechnet. Insoweit fehlt es völlig an Vortrag der Beklagten, und zwar in mehrfacher Hinsicht:

–  Es ist nicht substantiiert dargestellt, dass der Sachverständige überhaupt insgesamt überdurch-schnittlich hoch abrechnet. Insoweit ist der Vortrag zu einzelnen Positionen der Sachverständigenrechnung schon vom Ansatz her ungeeignet, denn ein einheitliches Abrechnungssystem bei Sachverständigen gibt es nicht. Für die Frage, ob eine Rechnung über den üblichen Preisen liegt, muss der Gesamtbetrag der Rechnung betrachtet werden. Der Vergleich mit Anwalts- und Gerichtskosten bei demselben „Streitwert“ ist untauglich – es geht hier um Gutachterkosten.

– Es fehlt an jeder Darstellung, dass der Geschädigte die (unterstellte) überdurchschnittliche Höhe bei Auftragserteilung erkennen konnte.

3. Der Kläger hat auch einen Zahlungsanspruch und nicht lediglich einen Freistellungsanspruch, obgleich er den Sachverständigen noch nicht bezahlt hat. Er hat auf den Hinweis des Gerichts vom 9.3.2016 ausführlich vorgetragen, dass der Beklagte die Freistellung ausdrücklich abgelehnt hat. Der Beklagte ist dieser Darstellung nicht entgegengetreten. Einer Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung nach § 250 S. 1 BGB bedurfte es daher nicht mehr. Der Freistellungsanspruch hat sich nach § 250 S. 2 BGB in einen Zahlungsanspruch verwandelt.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, der Ausspruch zu vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

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3 Antworten zu AG Koblenz verurteilt die LVM-Versicherung zur Zahlung restlicher Sachverständigenkosten mit lesenswertem Urteil vom 29.3.2016 – 164 C 2621/15 -.

  1. Heinrich Quaterkamp sagt:

    Beanstandungen gegen die Rechtsprechung der Münsteraner Justiz häufen sich augenfällig, wenn es um Klagen gegen die LVM-Versicherung wegen rechtswidriger Schadenersatzkürzung entstandener Gutachterkosten nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall geht.

    Auf auf Grund zahlreicher aktueller Informationen aus Kreisen betroffener Sachverständiger muss man den Eindruck gewinnen, dass das AG und LG Münster sich als Bollwerk verstehen, was Klagen wegen rechtswidriger Honorarkürzungen gegen die LVM in Münster angeht.

    Es ist mit dem deutschen Schadensersatzrecht allerdings nicht vereinbar, dass der eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherer in einer unüberprüfbaren ex post Betrachtung die Höhe des zu leistenden Schadensersatzes von sich aus nach eigenen Tabellen bzw. eigenen Vorstellungen bestimmt.

    Solche Art von Einwendungen ist auch schadenersatzrechtlich nicht e r h e b l i c h .

    Die vereinfachende Argumentationsstruktur in den Entscheidungsgründen der zu beanstandenen Urteile fragt danach nicht, wie auch nicht nach einem Auswahlverschulden in Vernüpfung mit einem Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht und übersieht, dass der BGH entschieden hat, dass ein Gericht von rechts wegen nicht befugt ist, in einer ex post Betrachtung einen gerechten Preis festzulegen, zumal der vom Geschädigte beauftragte Sachverständige nicht dessen Erfüllungsgehilfe ist. Unabhängig davon geht es letztlich auch nur um die Frage, ob ein Versicherer nach der Gesetzeslage (auch Grundgesetz) ex post befugt ist, die entstandenen Kosten für eine von Verantwortung getragene Auftragserledigung nach eigenen Vorstellungen und Gutdünken zu beschneiden bzw. zu kürzen, was bei der Münsteraner Gerichtsbarkeit zu Gunsten der LVM-Versicherung bis rauf zur Berufungskammer am Landgericht Münster offenbar mit System ignoriert wird.

    Darf sich die Justiz – speziell am Unternehmensstandort in Münster – als eine Art Westwall berechtigten Schadenersatzansprüchen offensichtlich absprachegemäß mit fragwürdigen Interpretationen entgegenstellen, zumal es fast immer n u r um Nebenkosten geht, welche die LVM-Vers. aus Münster
    auf 100 € begrenzt wissen will, ohne dass es dafür eine gesetzliche Grundlage gibt und selbst der BGH eine solche Begrenzung bekanntlich nicht gebilligt hat?

    Heinrich Quaterkamp

  2. Zacharias Zorngiebel sagt:

    @ Heinrich Quarterkamp

    „Darf sich die Justiz – speziell am Unternehmensstandort in Münster – als eine Art Westwall, berechtigten Schadenersatzansprüchen offensichtlich absprachegemäß mit fragwürdigen Interpretationen entgegenstellen, zumal es fast immer n u r um Nebenkosten geht, welche die LVM-Vers. aus Münster
    auf 100 € begrenzt wissen will, ohne dass es dafür eine gesetzliche Grundlage gibt und selbst der BGH eine solche Begrenzung bekanntlich nicht gebilligt hat?

    Hallo, Heinrich, auch vor dem Hintergrund des BGH-Beschlusses vom 24.07.2003 (IX ZR 131/00) ist von
    einer Rechtfertigung für eine solche Handhabung nicht auszugehen, wenn man die damit angesprochenen Eckpfeiler für eine schadenersatzrechtliche Betrachtung nicht mit Vorsatz vernachlässigen will:

    1) „Honorarvereinbarungen dürfen im Hinblick auf die Verfassungsgarantie der Berufsausübung (Artikel 12 Abs. 1 Grundgesetz) in ihrer Rechtswirksamkeit nicht ohne ausreichenden Sachgrund beschnitten werden.

    2.) Eine Honorarvereinbarung kann grundsätzlich das Sittengesetz nicht verletzen, wenn sie zu einem aufwandsangemessenen Honorar führt (BGH Urteil vom 03.04.2003 aaO).

    3) Die äußerste Grenze eines angemessenen Honorars ist überschritten, wenn der Auftragnehmer seinen Aufwand in grober Weise eigensüchtig aufbläht und das Wirtschaftlichkeitsgebot wissentlich außer Acht lässt.

    4) Das ist der Fall, wenn die äußerste Grenze eines aufwandsangemessenen Honorars um etwa das Doppelte überschritten wird.“

    Verbleibe bei Pkt.4 und unterstelle einfach mal das von der LVM-Versicherung zugebilligte geringere Honorar als „aufwandsangemessen“, dann ist das Doppelte davon um ein Vielfaches größer als der rechtswidrig gekürzte Betrag im Nebenkostenbereich. Ergo sind die pauschalierten Einwendungen schadenersatzrechtlich unerheblich, denn flankierend ergibt sich auch nach den Punkten nach den 1) – 3) keine andere Betrachtungsweise.

    Solche Rechnungskürzungen ist laut unserer Verfassung bekanntlich auch verboten (Willkür); siehe auch Beschluss des sächsischen Verfassungsgerichts.
    Von einer starren Toleranzgrenze ist nicht auszugehen.
    Allein das Übersteigen eines Betrags von 100,00 € bedeutet nicht losgelöst von den konkreten Umständen des Einzelfalls, dass diese erkennbar überhöht und deshalb nicht erstattungsfähig sind (BGH, a.a.O.; BGH, Urt. v. 22.07.2014 – VI ZR 357/13).
    Auch in seiner Entscheidung vom 22.07.2014, Az.: VI ZR 357/13, beanstandet der BGH eine Pauschalierung der Höhe der Nebenkosten.

    Die, losgelöst von den Umstanden des Einzelfalls erfolgte Beurteilung des Tatrichters, die von einem Sachverständigen zusätzlich zu einem Grundhonorar berechneten Nebenkosten, seien in Routinefällen grundsätzlich in Höhe von 100,00 EUR erforderlich, während sie, soweit sie diesen Betrag übersteigen, erkennbar überhöht und deshalb nicht ersatzfähig seien, entbehrt einer tragfähigen hinreichenden Grundlage (BGH a.a.O., Leitsatz Nr. 3).

    Zacharias Zorngiebel

  3. H.J.S. sagt:

    „Solche Rechnungskürzungen sind laut unserer Verfassung bekanntlich auch verboten (Willkür); siehe auch Beschluss des sächsischen Verfassungsgerichts.“

    Sehr interessanter Ansatz! Letztens wies mich ein Jura-Professor (Exzellenz Uni in Berlin) darauf hin, dass die tatrichterliche Erkenntnis in Ihrer Dispositionsfreiheit durch die Verfassung, deren Gerichtsbarkeit und deren Entscheidungen absolut limitiert wird!
    Frage also an den geneigten Leserkreis:
    Wie könnte man Schrotturteilen dann also noch begegnen, ausser der üblichen einfachen zivilrechtlichen Berufung und Revision sowie dem folgendem, oftmaligem Verzetteln aller Beteiligten dann in verwirrenden Details?
    BG

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