Hallo verehrte Captain-Huk-Leserschaft,
spät, aber nicht zu spät, veröffentlichen wir heute auch noch ein Urteil aus Lahnstein zu den Sachverständigenkosten gegen die bei der Barmenia Versicherung versicherte Schädigerin. In der Urteilsbegründung hat das erkennende Gericht zunächst – zutreffend – Bezug genommen auf § 249 Abs. 1 BGB. Das entspricht auch der BGH-Rechtsprechung aus dem Urteil vom 23.1.2007 – VI ZR 67/06 -. Danach gehören die Sachverständigenkosten zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, sofern eine Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist. Leider erfolgte dann im weiteren Verlauf der Schwenk auf § 249 Abs. 2 BGB. Ansonsten hat das Gericht die Sache aber aus dem Blickwinkel des Schadensersatzrechtes bzw. des Geschädigten völlig korrekt abgearbeitet und die Rechtsprechung des BGH aus dem Urteil VI ZR 50/15 (= Pinocchio-Urteil) strikt abgelehnt sowie auch das JVEG als Schätzungsgrundlage für die Nebenkosten.
Bravo!!
Der Tatrichter ist eben doch nicht so frei, wie der VI. Zivilsenat rechtsirrig meint, um im Rahmen des § 287 ZPO den dokumentierten und belegten Schadensbetrag nach JVEG eigenmächtig zu kürzen. Mit der Vorlage der Rechnung hat der Geschädigte seinen sich aus dem Verkehrsunfallereignis ergebenden Vermögensnachteil belegt, dargelegt und bewiesen, so dass es keiner Schätzung der Schadenshöhe mehr bedarf. Schön, dass ein Amtsgericht dem VI. Zivilsenat einmal zeigt, wie Schadensersatz geht. Die Hervorhebungen stammen vom Autor. Lest selbst das Urteil des AG Lahnstein und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab.
Viele Grüße
Willi Wacker
Aktenzeichen:
24 C 59/17
Amtsgericht
Lahnstein
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
des Herrn E. R. aus B.
– Kläger –
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte I. & P. aus A.
gegen
Frau E. V. aus B.
– Beklagte –
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte H. R. aus W.
hat das Amtsgericht Lahnstein durch den Richter am Amtsgericht B. am 18.04.2017 ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495a ZPO für Recht erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 224,93 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten jährlich über dem Basiszinssatz seit 14.09.2016 zu zahlen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Berufung gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Tatbestand
Beim Betrieb des durch die Beklagte geführten Kraftfahrzeuges im öffentlichen Straßenverkehr wurde das Kraftfahrzeug des Klägers nicht unerheblich beschädigt. Der Kläger beauftragte einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Schadensgutachtens und entrichtete sodann die mit Rechnung des Sachverständigen vom 09.08.2016 abgerechneten Entgelte (Anlage K2, Bl. 41 d.A.).
Der Kläger verfolgt den nach Teilzahlung der Beklagten verbleibenden Schadensersatzanspruch weiter.
Der Kläger beantragt,
wie erkannt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte macht geltend, die Klageforderung sei erfüllt, da allenfalls ein Sachverständigenhonorar in der gezahlten Höhe nach Maßgabe des dortigen Prüfberichtes (Bl. 68 d. A.) erforderlich gewesen sei, was namentlich ein Vergleich mit den im JVEG aufgeführten Nebenkostengrößen ergebe.
Wegen des weiteren Prozessstoffes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Dem Kläger steht der erhobene Anspruch aus §§ 7 Abs. 1,181 Satz 1 StVG, 249 Abs. 1, Abs. 2 BGB zu, wonach der Führer eines Kraftfahrzeuges den bei Betrieb desselben im öffentlichen Straßenverkehr entstandenen Schaden zu erstatten hat, soweit der aufgewandte Betrag zur Schadensbeseitigung erforderlich ist.
Die hier zur Erstattung begehrten Sachverständigenkosten zählen zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen.
Die Erforderlichkeit der Einschaltung des Sachverständigen in die vorgerichtliche Begutachtung des entstandenen Sachschadens als solche steht außer Streit.
Die Beurteilung, welcher Herstellungsaufwand eines Sachverständigengutachtens im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlich ist, hat sich einerseits danach auszurichten, dass der Kläger vorliegend nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten war, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlichsten Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwenden Kosten beeinflussen konnte, andererseits jedoch daran, welche Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten insoweit unter Rücksichtnahme auf die spezielle Situation des Klägers als Geschädigtem überhaupt bestanden, sogenannte subjektbezogene Schadensbetrachtung.
Nach ständiger, höchstrichterlicher Rechtsprechung war der Kläger nicht gehalten, vor Beauftragung des Sachverständigen eine Marktforschung nach dem honorargünstigsten Sachverständigen zu betreiben. Etwas anderes konnte nur dann gelten, wenn der Kläger vorliegend erkennen konnte, dass der von ihm ausgewählte Sachverständige Honorarsätze für seine Tätigkeit verlangt, die die in der Branche üblichen Preise offensichtlich willkürlich übersteigen. Auch überhöhte Honorarforderungen des Sachverständigen sind grundsätzlich schadensrechtlich erstattungs-pflichtig, sofern nicht der Geschädigte mit dem Sachverständigen ein offensichtlich überhöhtes Honorar vereinbart, ihm ein Auswahlverschulden zur Last fällt oder er grobe und offensichtliche Unrichtigkeiten der Vergütungsberechnung missachtet oder gar selbst verursacht hat.
Regelmäßig stellt hierbei die Höhe der schriftlichen und ausgeglichenen Honorarberechnung des Sachverständigen das wesentliche Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Betrages nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB und die sich hierin erschöpfenden Erkenntnismöglichkeiten des Klägers dar, was nicht nur für die Berechnung des Grundhonorars, sondern auch für die Veranlagung von sogenannten Nebenkosten gilt. Der in Übereinstimmung mit der Rechnung und der ihr zugrunde liegenden Preisvereinbarung vom Geschädigten tatsächlich erbrachte Aufwand bildet bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung „erforderlichen“ Betrages im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. In ihm schlagen sich die beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten regelmäßig nieder.
Erkenntnismöglichkeiten, welche die Indizwirkung der Honorarberechnung aus Sicht des Klägers hätten in Zweifel ziehen, zeigt der Beklagte nicht auf.
Namentlich ist das Gericht der Auffassung, dass die in Teilen als Vergleichsmaßstab durch die Beklagte herangezogenen Bestimmungen des JVEG dem Kläger nicht hätten bekannt sein müssen, weswegen es – ungeachtet der durch den Bundesgerichtshof zu dessen Aktenzeichen VI ZR 50/15 neuerlich für zulässig erachteten Zuordnung der Nebenkosten zu den Kosten des täglichen Lebens – an einem allgemeinkundigen und hinreichend einheitlichen Maßstab fehlt, anhand dessen ein Geschädigter auf eine etwaige offenkundige Überhöhung von Grundhonorar und/ oder Nebenkosten hätte schließen können.
Auf eine Überhöhung von Kosten kann belastbar nur schließen, wer die tatsächlich gezahlten Kosten auf einen konkreten Vergleichswert hin beurteilt.
Im Bereich der Schadenssachverständigen existiert aber entgegen der Auffassung des Bundesgerichtshofes gerade keine allgemeine Lebenserfahrung, die einen solchen Vergleichswert liefern und damit zu einer auf konkrete Vergleichswerte hin durchzuführenden Abschätzung der Erforderlichkeit von Sachverständigenkosten ohne besondere Sachkunde befähigen würde.
Das etwaig von einer laienhaften Einschätzung des Geschädigten entwickelte Bauchgefühl, hier werde überhöht abgerechnet, ist nicht objektivierbar und ohne Vergleichsmaßstab für sich betrachtet schadensrechtlich ohne Belang. Das Postulat einer allgemeinen und dem jeweils Geschädigten einen konketen Anhalt für den jeweils richtigen Nebenkostentarif liefernden Lebenserfahrung in Sachen Kopie-Entgelt, Lichtbilder-Entgelt, Druck-Entgelt etc. ist nach Einschätzung des Gerichts angesichts des zunehmend digital und papierfrei gehandhabten Alltags abzulehnen. Wie das Beispiel der Fahrtkosten zeigt, mag eine vermeintliche Lebenserfahrung auch irreführen, wo diese etwa suggeriert, ersatzfähig sei nur eine steuerechtliche (aus gänzlich anderen Erwägungen heraus geregelte) Entfernungspauschale von 30 Ct. pro Entfernungskilometer, eine Vergleichsüberlegung, die aufgrund des Gedankens des Ersatzes tatsächlicher Aufwendungen im Schadensersatzrecht fehl am Platz und daher völlig irreführend wäre.
Nach Auffassung des Gerichts ist daher eine Beurteilung der dem Kläger berechneten Entgelte an den Regelungen des JVEG nicht geboten.
Daher hatte der Kläger bereits gegen die Prämisse, dass neben dem Grundhonorar auch Nebenkosten berechnet würden, keinen Argwohn zu hegen, zumal gerichtsbekanntermaßen, wie auch anhand der Branchenbefragungen im Sachverständigenbereich, die Vereinbarung der Vergütung von Nebenkosten zur üblichen Geschäftsgepflogenheit der Sachverständigen zählt.
Die gesonderte Berechnung von Schreibauslagen, Lichtbilderstellung und Kommunikationskosten war aus Sicht des Klägers deshalb weder dem Grunde nach, noch ihrer Höhe nach zu beanstanden. Namentlich die durch die Beklagte für angemessen erachteten Tarife konnten und mussten ungeachtet ihrer Richtigkeit dem Kläger nicht bekannt sein.
Die in der Rechnung veranschlagten Fahrtkosten sind angesichts des unstreitigen Standortes des Fahrzeuges im Begutachtungszeitpunkt in Relation zum Startpunkt der Anfahrt des Klägers gegenüber dem einfachen Bestreiten des Beklagten nicht in Zweifel zu ziehen und ihrer Höhe nach ebenso wenig offensichtlich willkürlich überhöht.
Im Ergebnis ist der bisher nicht regulierte, aus der Rechnung verbleibende Restbetrag durch die Beklagte noch zu erstatten und kraft entsprechend befristeter, vorgerichtlicher, anwaltlicher Mahnung antragsgemäß zu verzinsen, §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
Somit war der Klage mit der Kostenfolge des § 91 Abs. 1 ZPO stattzugeben, bei vorläufiger Vollstreckbarkeit der Entscheidung gemäß §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Die Zulassung der Berufung efolgt aus § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Lichte der vorstehend zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung, deren Prämissen das Gericht wie vorstehend ausgeführt in Teilen nicht folgt.