Häufig streiten die Unfallbeteiligten, bzw. die hinter dem Unfallverursacher stehende Kfz-Haftpflichtversicherung, wenn es bei dem Unfall zu einer Verletzung des Geschädigten gekommen ist, über das Ob des Schmerzensgeldes und die Höhe desselben. Bei einem Auffahrunfall wurde die Klägerin bei dem Aufprall verletzt. Die Aufprallgeschwindigkeit war gering, gleichwohl trat bei der Klägerin ein HWS-Schleudertrauma auf. Die Parteien streiten nunmehr darüber, ob bei einer geringen Aufprallgeschwindigkeit überhaupt eine HWS-Distorsion auftreten kann und über die Höhe des Schmerzensgeldes. Das Amtsgericht in Neunkirchen gab der Klägerin Recht und sprach ihr ein Schmerzensgeld zu. Das Urteil des Amtsgerichts Neunkirchen vom 29.10.2010 – 5 C 791/08 – ist rechtskräftig geworden.
Nachfolgend die Entscheidungssgünde des rechtskräftigen Urteils:
Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die Klägerin durch den Unfall eine HWS-Distorsion erlitten hat. Der Nachweis des Haftungsgrundes, also die Frage, ob sich die Klägerin bei dem Unfall die behauptete HWS-Distorsion zugezogen hat (haftungsbegründende Kausalität) unterliegt grundsätzlich den strengen Beweisanforderungen des § 286 ZPO.
Der Geschädigte muss grundsätzlich den Vollbeweis für die behauptete Primärverletzung erbringen, ohne dass ihm Beweiserleichterungen, etwa das geringere Beweismaß des § 287 ZPO, das nur die haftungsausfüllende Kausalität betrifft, oder gar ein Anscheinsbeweis zu Gute kommen. Die nach § 286 ZPO erforderliche Überzeugung des Gerichtes erfordert indes keine absolute oder unumstößliche Gewissheit und auch keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet. Da gerade leichtere HWS-Verletzungen mit bildgebenden Verfahren regelmäßig nicht nachweisbar sind und ein Anscheinsbeweis für die Ursächlichkeit eines Auffahrunfalls für ein behauptetes HWS-Syndrom wegen fehlender Typizität verneint wird, kommt es für die Überzeugungsbildung des Gerichts entscheidend darauf an, ob die Angaben des Klägers und die angegebenen Beschwerden insgesamt glaubhaft sind. Dabei hat sich das Gericht im Rahmen der gebotenen Würdigung aller Gesamtumstände auch über eine persönliche Anhörung der Geschädigten einen Eindruck über dessen Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Daneben dürfte in aller Regel jedenfalls auch eine medizinische, gegebenenfalls sogar eine technische Beratung durch Sachverständige erforderlich sein, deren tatsächliche Grundlagen rechtzeitig zu sichern sind (LG Saarbrücken Urt. vom 20. Juni 2008 – 13 S 43/08 -; OLG Saarbrücken Urt. vom 08.06.2010 – 4 U 468/09-134 -). Vorliegend geht das erkennende Gericht bei einer umfassenden Gesamtwürdigung der Umstände davon aus, das die Klägerin unfallbedingt eine HWS-Distorsion erlitten hat.
Zwar hat der Sachverständige sowohl in seinem Gutachten als auch in seinem Ergänzungsgutachten erklärt, dass bei strenger Auslegung der der Beurteilung zugrunde liegenden Kriterien eine HWS-Distorsion alleine aufgrund der medizinisch relevanten Anknüpfungstatsachen nicht mit dem notwendigen Beweisniveau zu belegen sei, wobei er, der gerichtlich bestellte Sachverständige, der dem Gericht als zuverlässig und genau arbeitender Sachverständiger bekannt ist, eine HWS-Distorsion durchaus für möglich hält.
Der Sachverständige führt zunächst aus, dass es sich – was zwischen den Parteien auch unstreitig ist – um einen Heckaufprall gehandelt hat, und ein solcher Heckaufprall generell geeignet ist, eine HWS-Distorsion herbeizuführen, wobei auch die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung als Wertungsgesichtspunkt einbezogen werden müsse.
Dabei sind nach den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Unfälle im Niedrigenergiebereich mit einer geringeren Verletzungswahrscheinlichkeit verbunden als Unfälle mit Geschwindigkeitsänderungen des gestoßen Fahrzeugs von über 15 km/h. Insoweit hat der Sachverständige Dr. P. berechnet, dass unter Berücksichtigung der Beschädigungen und Kontaktpunkte an den beiden Fahrzeugen sich eine mögliche Geschwindigkeitsänderung des klägerischen Fahrzeuges im Stoß von etwa 7-11 km/h ergibt, wobei sich eine mittlere Fahrgastzellenbeschleunigung von 16,2 – 38,2 m/Quadratssekunde ergibt und hat an dieser Einschätzung auch im Rahmen seiner mündlichen Anhörung festgehalten, wobei er auf Vorhalt der Klägerseite, es müsse aufgrund der Tatsache, dass die Motorhaube nach hinten gefaltet war, von einer höheren Geschwindigkeit ausgegangen werden, sogar nachvollziehbar dargelegt hat, dass in diesem Fall sogar von einer geringeren Geschwindigkeitsveränderung ausgegangen werden müsse. Von daher spricht der Gesichtspunkt der Kollisionsenergie eher gegen das unfallbedingte Vorliegen eine HWS-Distorsion. Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine „Harmlosigkeitsgrenze“ nicht festgesetzt werden kann, was auch ausführlich von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen dargestellt worden ist. Der Sachverständige führt insoweit in seinem Ergänzungsgutachten explizit aus, dass eine HWS-Distorsion durch niedrige kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderungen nicht ausgeschlossen sei, sondern ein statistisches Risiko von zumindest 10 – 30 % gegeben sei. Der Sachverständige führt des Weiteren aus, dass objektive Indizien wie eine temporäre Steilstellung im Röntgenbild oder sonstige Unfallfolgen nicht vorliegen, da eine Bildgebung zeitnah zum Unfall unterblieben ist und nachträglich nicht mehr gewonnen werden können. Von daher spreche für die Möglichkeit einer HWS-Symptomatik lediglich die Tatsache, dass eine solche bei einem Heckaufprall nicht ausgeschlossen werden könne. Im Übrigen könne für das Vorliegen einer unfallbedingten HWS-Distorsion herangezogen werden, dass nach Angaben der Klägerin eine Antizipation des Unfallgeschehens nicht vorgelegen habe. Ohne Antizipation des Unfallgeschehens fehle eine schutzreflektorische Anspannung der Nackenmuskulatur, so dass eine HWS-Distorsion entstehen könne. Insoweit hat die Klägerin im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung vor dem erkennenden Gericht glaubhaft und nachvollziehbar und auch in weitgehender Übereinstimmung mit dem Beklagten zu 2 erklärt, dass sie eine Ampel habe überfahren wollen, die gerade auf gelb geschaltet habe und in diesem Moment einen Schlag von hinten bekommen habe. Maßgebend für die Beurteilung des Gerichts war aber weiterhin, dass der Gutachter in seinem Gutachten ausgeführt hat, dass eine erhöhte Vulnerabilität der Halswirbelsäule auf der Basis vorbestehender degenerativer Veränderungen nicht besteht. Insoweit hat die Klägerin, bestätigt durch die Zeugen, glaubhaft und nachvollziehbar geschildert, dass sie vor dem Unfallereignis keine Beschwerden gehabt habe, nach dem Unfall aber den Kopf nicht mehr richtig drehen können und an erheblichen Kopfschmerzen gelitten habe. Auch der erstbehandelnde Arzt hat insoweit im Rahmen seiner Untersuchung eine eingeschränkte Bewegungsfähigkeit feststellen können.
Unter Berücksichtigung dieser Gesamtumstände geht das Gericht davon aus, dass die Klägerin unfallbedingt zumindest eine HWS-Distorsion 1. Grades erlitten hat.
Auch bei Auffahrunfällen mit niedriger Aufprallgeschwindigkeit können durchaus sog. HWS-Distorsionen mit verbundenen Schmerzen eintreten. Eine Harmlosigkeitsgrenze, bis zu der keine HWS-Schleuderverletzungen eintreten können, gibt es nicht. Jeder einzelne Verletzungsfall muss selbstverständlich unterschiedlich betrachtet werden. Das Urteil kann aber auch schon Basis sein, bei geringer Aufprallgeschwindigkeit ein angemessenes Schmerzensgeld zu fordern.