AG Neuss sieht die Werkstatt als Erfüllungsgehilfe des Schädigers und urteilt, dass das Werkstatt- und Prognoserisiko zu Lasten des Schädigers geht, mit Urteil vom 9.8.2016 – 77 C 1425/16 -.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leserschaft,

hier und heute stellen wir Euch ein Urteil aus Neuss zum Prognose- bzw. Werkstattrisiko bei einer konkreten Werkstattrechnung, das eindeutig zu Lasten des Schädigers geht mit Verweis auf den Vorteilsausgleich vor. Bei den Werkstattkosten funktioniert die rechtliche Betrachtung schadensersatzrechtlicher Forderungen offensichtlich einwandfrei, nachdem bereits der BGH (in BGH BGHZ 63, 182 ff. und BGH NJW 1992, 302 ff.) entschieden hatte, dass der Schädiger das Werkstatt- und Prognoserisiko trägt. Bei den Sachverständigenkosten ist die Rechtsprechung leider oftmals diesen Gesichtspunkten nicht gefolgt, obwohl auch bei den Sachverständigenkosten eine konkrete Rechnung vorliegt und sowohl die Werkstatt als auch der Sachverständige jeweils Erfüllungsgehilfen des Schädigers bei der Wiederherstellung des vormaligen Zustands sind. Es stellt sich daher die Frage: Wo bitte schön ist der Unterschied zwischen Werkstatt und Sachverständigen? Auch die Sachverständigenkosten gehören zum (konkreten) Wiederherstellungsvorgang, sind also Wiederherstellungskosten gem. § 249 I BGB (vgl. BGH VI ZR 67/06 Rn. 11). Mögliche Fehler des Sachverständigen (auch bei der Rechnungslegung) gehen demzufolge nicht zu Lasten des Geschädigten, sofern kein Auswahlverschulden vorliegt (vgl. OLG Naumburg DS 2006, 283 ff.). Aber der VI. Zivilsenat des BGH sieht – obwohl dies keineswegs zwingend ist – die Sachverständigenkosten über § 249 II BGB auszugleichen, was unserer Ansicht nach falsch ist. Denn: Genau so wie bei den Werkstattkosten mit entsprechender Reparaturkostenrechnung handelt es sich bei den Sachverständigenkosten mit entsprechender Rechnung um konkrete Schäden, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Unfallschaden stehen und die dementsprechend nach § 249 I BGB auszugleichen sind. Obwohl es im vom AG Neuss zu entsscheidenden Fall um konkrete Wiederherstellungskosten gemäß der Reparaturrechnung ging, und damit um einen konkreten Vermögensnachteil, der über § 249 I BGB hätte beurteilt werden müssen, werden die konkreten Kosten leider  wieder mit § 249 II BGB abgehandelt. Lest aber selbst das Urteil des AG Neuss und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab. Das Urteil ist übrigens veröffentlicht in DAR 2016, 589.

Viele Grüße und ein schönes Wochenende.
Willi Wacker

77 C 1425/16                                                                                       Verkündet am 09.08.2016

AMTSGERICHT NEUSS

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt,

1. an den Kläger 372,13 EUR nebst jährliche Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.12.2015 zu zahlen Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die Reparaturwerkstatt B. GmbH, in N. wegen etwaiger unnötiger Reparaturarbeiten am Unfallfahrzeug des Klägers mit dem amtlichen Kennzeichen … , die mit der Rechnung vom 27.08.2015, Nr. … abgerechnet worden sind, an die Beklagten als Gesamtgläubiger;

2. den Kläger von Anwaltskosten gegenüber den Rechtsanwälten L. u. a. in Höhe von 83,54 EUR freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden den Beklagten auferlegt.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

Ohne Tatbestand nach § 313a Abs. 1 ZPO.

Die zulässige Klage ist zum ganz überwiegenden Teil begründet.

Dem Kläger steht gegen die Beklagten dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch gem. §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG i. V m. § 1 PflVG in voller Höhe zu, da der Beklagte zu 1) den Verkehrsunfall unstreitig allein verursacht hat.

Der Kläger hat auch gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB Anspruch auf restliche Reparaturkosten i. H. v. 372,13 EUR. Selbst wenn, wie von den Beklagten behauptet, einige der durchgeführten Reparaturmaßnahmen – Austausch der Brustleiste vorne außen links CHROM, Fensterschachtabdichtung außen links, Dichtung Tür vorne links, Fensterschachtabdichtung außen links, Brustleiste hinten außen links CHROM – aus technischer Sicht zur Behebung des Unfallschadens nicht notwendig gewesen sein sollten, so sind sie gleichwohl gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB dem Kläger zu ersetzen. Die Frage der Notwendigkeit der vom Beklagten gerügten Reparaturmaßnahmen kann daher im vorliegenden Fall dahinstehen.

Das erkennende Gericht schließt sich insoweit den überzeugenden Ausführungen des Amtsgerichts Düsseldorf in seinem Urteil vom 21.11.2014 – 37 C 11789/11 an. Dort lautete es:

„Gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann der Geschädigte den zur Wiederherstellung „erforderlichen“ Geldbetrag verlangen. Erforderlich sind nur Aufwendungen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte (Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Auflage 2014, § 249 Rn. 12 m. w N.).

Dem Geschädigten sind in diesem Rahmen auch Mehrkosten zu ersetzen, die ohne Schuld des Geschädigten durch unsachgemäße Maßnahmen der Reparaturwerkstatt entstehen. Der Schädiger trägt das sog. Werkstatt- und Prognoserisiko, falls den Geschädigten nicht ausnahmsweise hinsichtlich der gewählten Fachwerkstatt ein Auswahlverschulden trifft (vgl. BGH, NJW 1992, S. 302, 304). Die Reparaturwerkstatt ist nicht Erfüllungsgehilfe i. S. v. § 278 BGB des Geschädigten. Da der Schädiger gem. § 249 Abs. 1 BGB grundsätzlich zur Naturalrestitution verpflichtet ist und § 249 Abs. 2 S. 1 BGB dem Geschädigten lediglich eine Ersetzungsbefugnis zuerkennt, vollzieht sich die Reparatur vielmehr in der Verantwortungssphäre des Schädigers. (Hervorhebung durch Fettschrift durch den Autor!) Würde der Schädiger die Naturalrestitution gem. § 249 Abs. 1 BGB selbst vornehmen, so träfe ihn gleichfalls das Werkstattrisiko. Allein die Ausübung der Ersetzungsbefugnis durch den Geschädigten gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann daher nicht zu einer anderen Risikoverteilung führen. Hierbei sind auch die begrenzten Kenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten in den Blick zu nehmen: Sobald der Geschädigte das verunfallte Fahrzeug der Reparaturwerkstatt zwecks Reparatur übergeben hat, hat er letztlich keinen Einfluss mehr darauf, ob und inwieweit sodann unnötige oder überteuerte Maßnahmen vorgenommen werden. Dies darf nicht zulasten des Geschädigten gehen, welcher ansonsten einen Teil seiner aufgewendeten Kosten nicht ersetzt bekommen würde (vgl. BGH, NJW 1975, S. 160; OLG Hamm, Urteil v. 31.01.1995 – 9 U 168/94, BeckRS 1995, 01930).

Zu den in den Verantwortungsbereich des Schädigers fallenden Mehrkosten gehören auch Kosten für unnötige Zusatzarbeiten, welche durch die Werkstatt ausgeführt wurden (vgl. LG Hamburg, Urteil v. 04.06.2013 – 302 O 92/11, BeckRS 2014, 01082; OLG Hamm, Urteil v. 31.01.1995 – 9 U 168/94, BeckRS 1995, 01930).

Die Ersatzfähigkeit von unnötigen Mehraufwendungen ist nur ausnahmsweise dann ausgeschlossen, wenn dem Dritten ein äußerst grobes Verschulden zur Last fällt, sodass die Mehraufwendungen dem Schädiger nicht mehr zuzurechnen sind (vgl. LG Hagen, Urteil v. 04.12.2009 – 8 O 97/09; BeckRS 2010, 00672; AG Norderstedt, Urteil v. 14.09.2012 – 44 C 164/12, BeckRS 2013, 04473).

Dem Schädiger entsteht hierdurch kein Nachteil, da er nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung Abtretung etwaiger Schadensersatzansprüche gegen die Werkstatt verlangen kann (OLG Hamm, Urteil v. 31.01.1995 – 9 U 168/94, BeckRS 1995, 01930).

Daher waren die Beklagte im vorliegenden Fall nur zur Zahlung Zug um Zug gegen Abtretung eines etwaigen Schadensersatzanspruchs des Klägers gegen die Reparaturwerkstatt Autohaus K. GmbH wegen der Vornahme unnötiger Reparaturarbeiten am Unfallfahrzeug zu verurteilen. Die Grundsätze der Vorteilsausgleichung sind von Amts wegen zu beachten. Hierzu bedarf es nicht der Abgabe einer Gestaltungserklärung oder der Geltendmachung einer Einwendung seitens des Schädigers (BGH, NJW 2013, S. 450, 451, Rz. 21).“

Nach diesen Grundsätzen haben die Beklagte dem Kläger im vorliegenden Fall sämtliche Reparaturkosten zu ersetzen auch soweit diese – wie von der Beklagten behauptet – aus technischer Sicht nicht notwendig zur Schadensbeseitigung waren. Der Kläger hat sein verunfalltes Fahrzeug nach dem Unfall bei der Firma Autohaus B. in N.   zur Reparatur in Auftrag gegeben Die Firma B. GmbH hat den Reparaturauftrag unter dem 27.08.2015 mit einem Gesamtbetrag i. H. v. brutto 4.289,85 EUR abgerechnet. Es ist nicht erkennbar, dass den Kläger bei dieser Vorgehensweise ein Ausführungsverschulden trifft. Nach Übergabe des Fahrzeugs an die Reparaturwerkstatt war das Fahrzeug aus der EinWirkungssphäre des Klägers entlassen. Für den Kläger war nicht erkennbar, dass die Firma gegebenenfalls technisch nicht notwendige Werkarbeiten an dem Kraftfahrzeug vornehmen würde; dies war für den Kläger als technischen Laien auch nicht überschaubar. Zudem stehen hier lediglich unnötige Mehr-Aufwendungen i. H. v.372,13 EUR im Raum, dies entspricht etwa 9% der gesamten Reparaturkosten. Die von der Beklagten behaupteten unnötigen Werkarbeiten stehen zudem sämtlich noch in einem gewissen Zusammenhang mit den Unfallschäden. Es wurden nicht etwa bei Gelegenheit der Fahrzeugreparatur Werkarbeiten vorgenommen, die mit dem streitgegenständlichen Unfall in keinem Zusammenhang mehr stehen, z. B. Arbeiten an Fahrzeugteilen abseits der vom Unfall beeinträchtigten Fahrzeugteile. Von daher liegen hier auch keine grob übersetzten Mehrkosten vor, welche die Beklagten nicht mehr zuzurechnen wären. Die etwaigen Mehrkosten sind vielmehr vergleichsweise gering und stehen in einem gewissen Zusammenhang zum Unfallschaden, sodass die Beklagten dem Kläger auch diese zu ersetzen haben (AG Norderstedt, Urteil v. 14.09.2012 – 44 C 164/12, BeckRS 2013, 04473: 15 % Mehrkosten sind dem Schädiger zurechenbar).

Der geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des Verzuges jedenfalls seit dem 19.12.2015, §§ 286, 288 BGB.

Dem Kläger steht darüber hinaus gegen die Beklagten als Gesamtschuldner ein Anspruch auf Freistellung von den außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 83,54 EUR zu, die zu seiner außergerichtlichen Rechtsverfolgung erforderlich waren, § 249 BGB. Wegen der Berechnung wird auf die Klageschrift Bezug genommen. Dieser Anspruch ist nicht zu verzinsen, da es sich nicht um eine Geldschuld handelt und der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegenüber diesen noch nicht einmal abgerechnet hat.

Die Berufung wird nicht zugelassen, da Gründe nach § 511 Abs. 4 ZPO nicht vorliegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.

Streitwert: 372,13 Euro.

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