Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,
mit dem vor einigen Tagen veröffentlichten Urteil hatten wir Nördlingen als weißen Fleck auf der Urteilslandkarte getilgt. Hier und heute veröffentlichen wir noch ein Urteil des Amtsgerichts Nördlingen zu den Sachverständigenkosten aus abgetretenem Recht gegen die VHV Versicherung. Wieder eine positive Entscheidung, wie wir meinen. Lest aber selbst und gebt bitte Eure sachlichen Kommentare ab.
Viele Grüße und ein schönes Wochenende
Willi Wacker
Amtsgericht Nördlingen
Az.: 2 C 696/14
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Rechtsstreit
Kfz-Sachverständigenbüro …
– Kläger –
gegen
1. …
– Beklagter –
2. VHV Allgemeine Versicherung AG, vertreten durch d. Vorstand, Constantinstraße 90, 30177 Hannover
– Beklagte –
wegen Schadensersatz
erlässt das Amtsgericht Nördlingen durch die Richterin S. am 23.01.2015 auf Grund des Sachstands vom 23.01.2015 ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495a ZPO folgendes
Endurteil
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 238,62 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.06.2014 sowie weitere 70,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 27.08.2014 zu bezahlen.
2. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 238,62 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf weiteren Schadensersatz in Höhe von 238,62 € für die restlichen Sachverständigenkosten gemäß §§ 823 BGB, 7 StVG, 115 VVG i.V.m. §§ 249 ff. BGB.
Die grundsätzliche Einstandspflicht der Beklagten für den streitgegenständlichen Verkehrsunfall vom 09.12.2013 in Nördlingen ist unstreitig.
Streitig ist lediglich, in welcher Höhe die Sachverständigenkosten erforderlich waren und der Kläger daher Ersatz für diese restlichen Sachverständigenkosten verlangen kann.
Ein Geschädigter kann sämtliche verauslagte Aufwendungen für ein Sachverständigengutachten ersetzt verlangen, soweit dieses zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen ist. Sachverständigenkosten sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom Schädiger zu ersetzen, soweit diese zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung und damit als Begleitkosten zur Herstellung des Zustandes, der ohne Schädigung bestehen würde, erforderlich sind. Ob und in welchem Umfang Herstellungskosten und damit auch Sachverständigenkosten erforderlich sind, richtet sich danach, ob sie Aufwendungen darstellen, die ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf.
Das Gebot zur wirtschaftlich vernünftigen Schadensbehebung verlangt jedoch vom Geschädigten nicht zugunsten des Schädigers zu sparen oder sich in jedem Fall so zu verhalten, als ob er den Schaden selbst zu tragen hätte. Der Geschädigte ist grundsätzlich nicht zu einer Erforschung des ihm zugänglichen Marktes verpflichtet, um einen für den Schädiger möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen.
In aller Regel wird der Geschädigte von der Erforderlichkeit der anfallenden Sachverständigenkosten ausgehen dürfen, denn es fehlt bezüglich der Sachverständigenkosten an allgemein zugänglichen und allgemein gültigen Preislisten etwa im Gegensatz zum Mietwagengeschäft. Erst wenn für ihn als Laie erkennbar ist, dass der Sachverständige sein Honorar willkürlich festsetzt und Preis und Leistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen oder dem Geschädigten selbst ein Auswahlverschulden zur Last fällt oder er offensichtliche Unrichtigkeit der Begutachtung oder der Honorarabrechnung missachtet, kann er vom Schädiger nicht mehr vollständigen Ausgleich bezahlter Aufwendungen verlangen.
Das berechnete Honorar laut Rechnung vom 13.03.2014 in Höhe von 377,23 € ist nicht erkennbar willkürlich festgesetzt oder überhöht. Die Vereinbarung einer überhöhten Vergütung würde erst dann zur Verneinung der Erstattungsfähigkeit führen, wenn dies für den Geschädigten erkennbar war. Wenn eine Vergütung vereinbart ist, kommt es gar nicht darauf an, ob sich eine übliche Vergütung feststellen lässt, oder ob die Bestimmung der Vergütung billigem Ermessen entspricht. Im Schadensersatzprozess prüft das Gericht nicht, ob die mit dem Sachverständigen vereinbarte, von ihm verlangte, oder an ihn gezahlte Vergütung üblich und angemessen nach Werkvertragsrecht ist, sondern nur, ob der Geschädigte den Rechnungsbetrag aus seiner Sicht als erforderlich zur Wiederherstellung ansehen durfte.
Die geltend gemachten Nebenkosten sind weder der Art noch der Höhe nach so ungewöhnlich, dass Hinweise auf eine fehlende Erforderlichkeit gegeben sind.
Der Geschädigte durfte somit vorliegend die Vergütung als angemessen ansehen und hatte keinen Anlass zu konkreten Zweifeln bzgl. der Höhe der Sachverständigenkosten. Nur dann hätte er gegen seine Schadensminderungspflicht aus § 254 BGB verstoßen, denn der Sachverständige ist nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten.
Ein Bagatellschaden, der die Erstattungspflicht entfallen lassen könnte, ist hier nicht anzunehmen. Die Reparaturkosten belaufen sich auf 1.154,38 €. Etwas anderes ist auch nicht im Hinblick auf den geringen Wiederbeschaffungsaufwand des unfallgeschädigten Fahrzeugs in Höhe von 300,00 € anzunehmen. Denn gerade hier wird ein neutraler Sachverständiger benötigt, um den Wiederbeschaffungswert und die Wiederbeschaffungsdauer ermitteln zu lassen.
Insofern hat der Kläger Anspruch auf Erstattung der weiteren Sachverständigenkosten.
Die außergerichtlichen Kosten belaufen sich auf 70,20 € und sind nach §§ 280, 286 BGB zu ersetzen.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Nachfolgende „Erleichterungen“ für Unfallopfer werden in klageabweisenden oder teilweise klageabweisenden Urteilen nie ernsthaft berücksichtigt und das vor allen Dingen nicht am AG Hannover:
A. „Ob und in welchem Umfang Herstellungskosten und damit auch Sachverständigenkosten erforderlich sind, richtet sich danach, ob sie Aufwendungen darstellen, die ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf.“
B. „Das Gebot zur wirtschaftlich vernünftigen Schadensbehebung verlangt jedoch vom Geschädigten nicht zugunsten des Schädigers zu sparen oder sich in jedem Fall so zu verhalten, als ob er den Schaden selbst zu tragen hätte.“
C. „Der Geschädigte ist grundsätzlich nicht zu einer Erforschung des ihm zugänglichen Marktes verpflichtet, um einen für den Schädiger möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen.“
D. „In aller Regel wird der Geschädigte von der Erforderlichkeit der anfallenden Sachverständigenkosten ausgehen dürfen, denn es fehlt bezüglich der Sachverständigenkosten an allgemein zugänglichen und allgemein gültigen Preislisten etwa im Gegensatz zum Mietwagengeschäft.“
Und dann allerdings einschränkend:
„Erst wenn für ihn als Laie erkennbar ist, dass der Sachverständige sein Honorar willkürlich festsetzt und Preis und Leistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen oder dem Geschädigten selbst ein Auswahlverschulden zur Last fällt oder er offensichtliche Unrichtigkeit der Begutachtung oder der Honorarabrechnung missachtet, kann er vom Schädiger nicht mehr vollständigen Ausgleich bezahlter Aufwendungen verlangen.“
Dazu folgende Anmerkungen:
Vor und bei Auftragserteilung kann ein Laie niemals feststellen, ob ein Sachverständiger sein Honorar „willkürlich“ festsetzen würde, denn betragsmäßig abgreifbare Rechnungspositionen liegen noch garnicht vor.
Erst nach Vorlage des Gutachtens mit der Rechnung dazu, wäre ggf. für den Geschädigten eine Beurteilung dahingehend möglich, ob der Sachverständige sein Honorar willkürlich bestimmt hat oder ein auffälliges Missverhältnis zwischen Preis und Leistung vorliegen könnte, wenn beispielsweise die Abrechnung nicht dem Honorartableau des Sachverständigen entspricht oder der Sachverständige einen Kostensatz abrechnet, der vergleichsweise die ermittelte Schadenshöhe gravierend übersteigt. Aber ist nicht auch da noch Vorsicht in der Beurteilung geboten? Beispielsweise kann bei Gerichtsaufträgen der Kostenbedarf den Streitwert deutlich übersteigen und kein vernünftig denkender Mensch würde auch nur ansatzweise auf den Gedanken kommen, dass dies „anrüchig“ und nicht erforderlich sein könnte. Dieses Hintergrundwissen hat ein Gericht auch und umso mehr muss es verwundern, dass die Betrachtungsperspektive dennoch zu Ungunsten der Unfallopfer vielfach mit fragwürdigen Maßstäben verschoben wird, obwohl der Sachverständige nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten ist und die daraus abzuleitenden Rechtsfolgen bekanntlich nicht zu Lasten des Unfallopfers gehen dürfen, denn ansonsten würde bei einer anderen Betrachtungsweise damit diskriminierend impliziert, dass der Geschädigte eben doch nicht angesehen werden könnte als ein vernünftiger und wirtschaftlich denkender Mensch, obwohl das Gericht nicht den Vorzug hatte, diesen überhaupt kennen zu lernen, um das beurteilen zu können. Dazu muss dann ein fiktiver Dritter mit den ihm vom Gericht zuerkannten Idealeigenschaften herhalten, der eingebildete Dritte. In jeder Spielart handelt es sich dabei um einen normativen Modellmenschen, den der Richter mit dem Ziel konstruiert, einen Maßstab verfügbar zu haben für die Bewertung von Handlungen, für die Interpretation von Gesetzen oder Verträgen, für die „Kontrolle“
von Ansprüchen und last not least übergreifend für eine Normanwendung. Dieser Dritte wird gebraucht, um bestimmte Annahme zu generalisieren, zu vereinheitlichen und wiederholen zu können.
Es fällt auf, dass ein Auswahlverschulkden in der Betrachung ausgeblendet wird, weil es beabsichtigten Ablauf der Betrachtung stört und auch der ansonsten unterstellten Schadenminderungspflicht entgegensteht.
Was soll schlussendlich unter einer offensichtlichen Unrichtigkeit der Rechnung verstanden werden?
Das kann sich m.E. nur auf Rechenfehler und einer falschen Mengenabrechnung beziehen, nicht jedoch auf die Behauptung einer „Nichterforderlichkeit“ oder einer „Überhöhung“, denn dafür gibt es tatsächlich keine schadenersatzrechtlich beurteilungsrelevanten Kriterien, die angeblich allgemeine Lebeserfahrung wohl am wenigsten. Deshalb hat wohl auch das zuständige Amtsgericht mit diesem Urteil der Schadenersatzverpflichtung Rechnung getragen und die gekürzten Gutachterkosten zugesprochen.
HR