Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,
damit ihr heute abend oder gleich sofort morgen früh eine interessante Lektüre habt, geben wir Euch hier noch ein Urteil aus Otterndorf zur merkantilen Wertminderung und zu den Sachverständigenkosten gegen die Bruderhilfe bekannt. Sehr christliches Verhalten der „Bruderhilfe“, die hier versucht hatte, dem Geschädigten eine fette Kollekte abzuringen, ist in dem Verhalten dieser kirchlichen Versicherung nicht zu erkennen. Was früher mit mittelaltertlichem „Ablass“ erreicht wurde, wird offenbar nun auf die moderne Art mit Hilfe des „Schadenmanagements der Versicherer“ erreicht, nämlich Geld einzusammeln, auf das kein Anspruch besteht. Der kleine „Bruder“ der HUK-COBURG ist mit diesem Ansinnen am Ende aber genauso kläglich gescheitert wie tausendfach der „große Bruder“ in Coburg. Erfreulich ist die Feststellung des Gerichts, dass auch bei Fahrzeugen über 100.000 km Laufleistung eine merkantile Wertminderung anfallen kann. Die 100.000 km-Grenze existiert daher nach überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur nicht mehr. Lest selbst das Urteil von der Unterelbe und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab.
Viele Grüße
Willi Wacker
Amtsgericht
Otterndorf
2 C 50/15
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
…
Klägerin
gegen
Bruderhilfe Sachversicherung AG im Raum der Kirchen, vertr.d.d. Vorstand Jürgen Mathuis und Jürgen Stobbe, Kölnische Straße 108 -112, 34108 Kassel
Beklagte
hat das Amtsgericht Otterndorf im Verfahren gem. § 495 a ZPO mit einer Erklärungsfrist bis zum 13.03.2015 am 23.04.2015 durch die Richterin K. für Recht erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 376,77 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.02.2015 zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 376,77 EUR festgesetzt.
Von der Darstellung des
Tatbestandes
wird gemäß § 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz weiterer Sachverständigenkosten in Höhe von 126,77 € gemäß §§ 7, 17 StVG, 823, 249 BGB i.V.m. § 115 VVG.
Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Nach dem Vortrag der Klägerin, dem die Beklagte letztlich nicht entgegengetreten ist, erfolgte die Abtretung von Schadensersatzansprüchen an den Sachverständigen erfüllungshalber und nicht an Erfüllung statt, so dass es der Klägerin unbenommen bleibt, die Forderung selbst geltend zu machen.
Der Geschädigte kann gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB als Herstellungsaufwand nur den Ersatz derjenigen Sachverständigenkosten verlangen, die objektiv erforderlich waren. Als erforderlich sind nach der st. Rspr. des BGH diejenigen Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten machen würde. Die Aufwendungen des Geschädigten müssen sich im Rahmen wirtschaftlicher Vernunft halten (BGH NJW, 2000, 80). Das Gebot zu wirtschaftlich vernünftiger Schadensbehebung verlangt von dem Geschädigten jedoch nicht, zu Gunsten des Schädigers zu sparen oder sich in jedem Fall so zu verhalten, als ob er den Schaden selbst zu tragen hätte (BGH, Urteil vom 11.2. 2014 – VI ZR 225/13 = NJW 2014, 1947). Bei der Frage, ob der Geschädigte einen vernünftigen Aufwand zur Schadensbehebung betrieben hat, ist auf die individuellen Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten Rücksicht zu nehmen (BGH a.a.O.). Bei der Beauftragung eines Kfz-Sachverständigen darf der Geschädigte einen für ihn ohne weiteres erreichbaren Sachverständigen beauftragen, ohne zuvor eine Marktforschung nach dem honorargünstigsten Sachverständigen zu betreiben (BGH a.a.O.). Nur wenn der Geschädigte erkennen kann, dass der von ihm ausgewählte Sachverständige Honorarsätze für seine Tätigkeit verlangt, welche die in der Branche üblichen Preise deutlich übersteigen, gebietet das schadensrechtliche Wirtschaftlichkeitsgebot, einen zur Verfügung stehenden günstigeren Sachverständigen zu beauftragen (BGH a.a.O.).
Die Klägerin ist der Pflicht zur Darlegung der Schadenshöhe durch Vorlage der Rechnung vom 07.10.2014 ausreichend nachgekommen. Die ausgestellte Rechnung bildet ein Indiz für die Bestimmung des erforderlichen Betrages bei einer Schadensschätzung nach § 287 ZPO.
Andererseits ist zu berücksichtigen, dass der „erforderliche“ Geldbetrag im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB auch durch die rechtliche Verpflichtung des Geschädigten gegenüber dem von ihm mit der Schadensbehebung Beauftragten bestimmt wird: Die geschuldete Vergütung bildet die Obergrenze des zur Herstellung erforderlichen Geldbetrages (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 13.11.2014 – 8 0 1426/14). Nur zur Zahlung des geschuldeten Betrages ist der Geschädigte gegenüber dem von ihm mit der Schadensbehebung Beauftragten rechtlich verpflichtet. Die Zahlung eines höheren Betrages wäre nicht „erforderlich“ im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB (BGH, Urteil vom 15.10.2013 – VI ZR 528/12). Ist, wie hier, eine bestimmte Vergütung zwischen dem Geschädigten und dem Sachverständigen nicht vereinbart, kann dieser vom Besteller nur die übliche Vergütung verlangen (§ 632 Abs. 2 BGB). Das Gericht orientiert sich bei der Überprüfung der Üblichkeit der Sachverständigenkosten an der BVSK-Honorarbefragung 2013 (vgl. auch LG Arnsberg, Urteil vom 21.01.2015 – 3 S 210/14; LG Nürnberg-Fürth, a.a.O.). Dabei wird der Honorarkorridor HB V zu Grunde gelegt wird, innerhalb dessen Rahmen zwischen 50 % und 60% der BVSK-Mitglieder ihr Honorar berechnen. Wegen der größeren örtlichen Genauigkeit wird die Erhebung betreffend den Postleitzahlenbereich 2 herangezogen.
Der Höhe nach liegt zwar das abgerechnete Grundhonorar mit 423,40 € knapp 5 % über dem Höchstsatz des HB V Korridors der BVSk-Teilerhebung für den Postleitzahlenbereich 2 (365 € – 404 € bei Nettoreparaturkosten bis 2.250 €). Bei einer so geringen Abweichung vom Honorarkorridor bestand für die Geschädigte jedoch weder eine Veranlassung, die Liquidation der Sachverständigen zu beanstanden, noch könnte der Geschädigten ein Auswahlverschulden vorgeworfen werden, das zu einer Minderung seiner Ersatzansprüche führt.
Ferner gehören zu den für die Schadensfeststellung erforderlichen Kosten grundsätzlich auch die durch die Begutachtung entstehenden Nebenkosten. Diese bewegen sich mit Ausnahme der Kosten für Porto/Telefon/Fax jedenfalls alle innerhalb der Teilerhebung für den Postleitzahlenbereich 2 und gehören daher als „übliche“ Sachverständigenvergütung zum „erforderlichen“ Geldbetrag im Sinne von § 249 BGB
Position Abrechnung SV BVSK BVSK PLZ 2
Fahrtkosten 15,00 € 22,89-26,73 15,88-19,80
Lichtbilder
(13 St. x 2,20 €) 28,60 € 2,21-2,55 (je Lichtbild) 2,06-2,38 (je Lichtbild)
Porto/Telefon/Fax/
Nebenkosten 19,50 € 14,48-18,17 10,90-18,58
2. SatzLiBi (13 St. x 1,50) 19,50 € 1,32-1,67 je Lichtbild) 1,15-1,96 (je Lichtbild)
Druck- und Schreibkosten 37,50 € 2,45-2,86 je 3,54-3,89 je Seite
(13 Seiten)
Soweit die Kosten für Telefon, Porto und Fax den Honorarkorridor V für den Höchstbetrag des Postleitzahlenbereichs 2 um knapp 5 % übersteigen, gilt das oben zum Grundhonorar Gesagte.
Auch können neben der Grundpauschale Nebenkosten verlangt werden. Diese sind üblich. Zudem umfasst die Grundpauschale, die sich zufässigerweise an der festgestellten Schadenshöhe orientieren kann, offensichtlich die Arbeiten des Gutachters zur Schadensfeststellung am Fahrzeug. Es ist zudem auch im Ergebnis gleichgültig, ob man die Nebenkosten gesondert ausweist oder die Grundpauschale dementsprechend erhöht (vgl. auch AG Berlin-Mitte, Urteil vom 06. Februar 2015 – 119 C 3131/14).
2. Die Klägerin hat darüber hinaus gegen die Beklagte im Rahmen ihres Schadensersatzanspruchs auch einen Anspruch auf Ersatz des merkantilen Minderwerts ihres unfallbeschädigten Fahrzeugs in Höhe von 250,00 €.
Das Gericht schätzt den merkantilen Minderwert gemäß § 287 ZPO auf 250,00 €, wobei dem Gericht ein weites Ermessen zukommt (vgl. BGH NJW 2005, 277). Dabei orientiert sich das Gericht an den Ausführungen des Privatgutachters H., der den Minderwert auf 250 € beziffert.
Dem Anspruch steht nicht entgegen, dass das erstmals im Jahr 2007 zugelassene Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt eine Laufleistung von 104.332 km aufwies. Es entspricht nicht mehr höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass bei Personenkraftwagen im Allgemeinen eine Fahrleistung von 100.000 km als obere Grenze für den Ersatz eines merkantilen Minderwerts anzusetzen ist (OLG Oldenburg, Urteil vom 01.03.2007 – 8 U 246/07). Vielmehr ist in jedem Einzelfall gemäß § 287 ZPO zu prüfen, ob sich der Unfallschaden wertmindernd auswirkt. Dies ist vorliegend der Fall. Der Privatsachverständige hat den merkantilen Minderwert unter Berücksichtigung der Schadensart, des Umfangs, der erforderlichen Reparatur, des Fahrzeugalters, der Laufleistung, des Erhaltungszustandes, der örtlichen Marktlage sowie aller wertbildenden Faktoren ermittelt. Der Unfallschaden, der die Rückverformung der Seitenwand hinten links sowie die Lackierung dieses Bereichs und die Lackierung der Stoßfängerverkleidung hinten links und der linken Tür erfordert, wäre im Fall einer Veräußerung offenbarungspflichtig.
3. Der Zinsanspruch der Klägerin ergibt sich aus §§ 288, 291 BGB. Die Klage wurde der Beklagten am 23.02.2015 zugestellt, so dass der Klägerin Zinsen ab dem 24.02.2015 zustehen (vgl. § 187 BGB).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Der Streitwert wurde gemäß § 3 ZPO festgesetzt.