AG Otterndorf weist die von der Kfz-Haftpflichtversicherung des Schädigers vorgenommene Kürzung der konkret angefallenen und berechneten Reparaturkosten als zu Unrecht vorgenommen zurück mit Urteil vom 23.12.2016 – 2 C 339/16 -.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leserschaft,

nachfolgend stellen wir Euch hier ein Urteil zur konkreten Schadensabrechnung vor, bei der die – uns leider nicht bekannte – Versicherung versucht hatte, die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten, die durch die Reparaturkostenrechnung belegt sind,  zu kürzen. Die Versicherer versuchen daher jetzt auch schon, bei der konkreten Schadensabrechnung zu kürzen. Dabei vergessen sie aber, dass die Rechnungen der Abschleppunternehmer, der Mietwagenunternehmer, der Werkstattinhaber und der Sachverständigen die Rechnungen ihrer Erfüllungsgehilfen sind. Die Abschlepper, Mietwagenunternehmer, Werkstätten und Sachverständigen werden im Wiederherstellungsinteresse des Schädigers, also als deren Erfüllungsgehilfen, tätig. Dementsprechend gehen Fehler der Erfüllungsgehilfen gemäß § 278 BGB  zu Lasten des Schädigers. Folgerichtig hat das erkennende Amtsgericht den Kürzungsversuch des Versicherers strikt zurückgewiesen. Allerdings ist das Urteil, das im Ergebnis zutreffend ist, nicht frei von Mängeln. Zwar hat das Gericht die Stellung der Werkstatt als Erfüllungsgehilfe des Schädigers bei der Wiederherstellung des vormaligen Zustandes erkannt und konsquent auch den BGH zitiert (BGH VI ZR 42/73 = BGHZ 63, 182 ff). Da es sich folglich um eine Wiederherstellung durch den Schädiger handelt, hätte § 249 I BGB angewendet werden müssen. Das ergibt sich auch daraus, dass die Werkstatt Erfüllungsgehilfe des Schädigers bei der Wiederherstellung gemäß § 249 I BGB ist. Denn durch den Erfüllungsgehilfen des Schädigers erfolgte eine physische Wiederherstellung des vor dem Schadensereignis bestehenden Zustandes. Der Geschädigte beansprucht daher die Freistellung der durch die Hinzuziehung des Erfüllungsgehilfen entstandenen Kosten, die als mit dem Unfall zusammenhängende Vermögensnachteile im Sinne des § 249 I BGB anzusehen sind. Sollte die Werkstatt als Erfüllungsgehilfe des Schädigers überhöhte Preise oder Zuvielleistungen berechnet haben, so hat der Schädiger einen Regressanspruch gegenüber seinem Erfüllungsgehilfen. Er kann sich dazu den vermeintlichen Bereicherungsanspruch gem. § 255 BGB analog abtreten lassen und den Vorteilsausgleich suchen. Jedoch muss er dem Gesachädigten aus schadensersatzrechtlichen Grundsätzen den Wiedereherstellungsaufwand gemäß der vorgelegten Reparaturrechnung erstatten (vgl. Imhof/Wortmann DS 2011, 149 ff.). Obwohl das erkennende Amtsgericht zutreffend auf die Werkstattrisiko-Entscheidung des BGH (BGHZ 63, 182 ff) und – zu Recht – dem Schädiger das Werkstattrisiko angelastet hat, hat es den Begriff des Erfüllungsgehilfen mit keinem Wort in den Urteilsgründen erwähnt. Das wäre aber der entscheidende Punkt gewesen. Man kann aber gespannt sein, ob die Versicherer tatsächlich flächendeckend die konkret angefallenen Wiederherstellungskosten gemäß § 249 I BGB bestreiten werden. Bei ihrer momentanen schlechten finanziellen Situation gehe ich davon aus. Das AG Otterndorf  wird nicht alleine bleiben. Noch eine Bitte zum Schluss: Gebt bitte bei der Einsendung der Urteile den Versicherer mit bekannt, damit wir die Urteile zuordnen können. Lest selbst das Urteil des AG Otterndorf und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab. 

Viele Grüße
Willi Wacker

Amtsgericht
Otterndorf

2 C 339/16

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

Klägerin

gegen

Beklagte

hat das Amtsgericht Otterndorf im Verfahren gem. §495a ZPO am 23.12.2016 durch die Richterin am Amtsgericht Dr. B. für Recht erkannt:

1.    Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 222,53 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.10.2016 zu zahlen.

2.    Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3.    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4.    Die Berufung wird nicht zugelassen.

Von der Darstellung des

Tatbestandes

wird gemäß § 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

I.

Die Klägerin kann von der Beklagten weiteren Schadensersatz in Höhe von 222,53 EUR verlangen.

Über die bereits gezahlten 3.724,22 EUR ist dem Kläger tatsächlich ein weiterer Schaden in Form weiterer Reparaturkosten in Höhe von 222,53 EUR entstanden, der von der Beklagten ebenfalls zu ersetzen ist.

1.
Dem Kläger stehen die mit Rechnung vom 30.03.2016 durch die Reparaturwerkstatt Autohaus … geltend gemachten Reparaturkosten in voller Höhe zu. Die Beklagte hat die Kürzung der Reparaturkosten zu Unrecht vorgenommen.

Nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB hat der Schädiger den zur Wiederherstellung der beschädigten Sache erforderlichen Geldbetrag zu zahlen (BGH, Urteil vom 23.01.2007, Az. VI ZR 67/06, Rz. 13). Er hat hierzu den Finanzierungsbedarf des Geschädigten in Form des zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrags zu befriedigen (BGH, Urteil vom 23.01.2007, Az. VI ZR 67/06, Rz. 13). Erforderlich in diesem Sinne sind alle Aufwendungen, die „vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen“ (BGH, Urteil vom 15.02.2005, Az. VI ZR 70/04, Rz. 9).

a) Als erforderlich anzusehen sind vorliegend ohne Prüfung ihrer Angemessenheit die der Klägerin von der Reparaturwerkstatt in Rechnung gestellten Instandsetzungskosten.

In der Werkstatt, in die die Klägerin ihr verunfalltes Fahrzeug verbracht hat, ist die Reparatur durchgeführt worden und der Klägerin mit der Rechnung vom 20.05.2016 in Rechnung gestellt worden. Soweit die Beklagte ausführt, der von der Reparaturwerkstatt gewählte Weg sei hinsichtlich verschiedener Positionen nicht erforderlich bzw. doppelt berechnet und erfordere über das Erforderliche hinausgehende Kosten, so steht dies der Erstattungspflicht nicht entgegen. Die Reparatur ist der Klägerin durch die Werkstatt in Rechnung gestellt worden und die Kosten hierfür sind ihr gegenüber mit der Rechnung vom 20.05.2016 geltend gemacht worden. Die Klägerin ist mit dem Betrag also tatsächlich belastet. Die Beklagte hat damit die in Rechnung gestellten Reparaturkosten im Rahmen der konkreten Schadensabrechnung zu erstatten. Selbst wenn der von der Werkstatt gewählte Reparaturweg überteuert bzw. doppelt abgerechnet gewesen wäre, so hätte die Beklagte die Kosten hierfür zu ersetzen. Die Ersatzpflicht des Schädigers erstreckt sich nämlich auch auf Mehrkosten, die ohne Schuld des Geschädigten durch unsachgemäße Maßnahmen der von ihm beauftragten Werkstatt verursacht worden sind (Palandt/Grüneberg, BGB, § 249, Rn. 13; OLG Hamm, Urteil vom 31.01.1995, Az. 9 U 168/94; BGH, Urteil vom 29.10.1974, Az. VI ZR 42/73, Rz. 12). Dem Schädiger wird ein eventuelles Fehlverhalten Dritter, die der Geschädigte zur Schadensbeseitigung hinzuzieht, zugerechnet; dieses unterbricht namentlich nicht den Zurechnungszusammenhang (Palandt/Grüneberg, BGB, Vorb v § 249, Rn. 47). Maßgeblich sind die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten, wenn der Geschädigte insoweit seine Obliegenheiten zur Schadensminderung berücksichtigt hat (BGH, Urteil vom 29.10.1974, Az. VI ZR 42/73). Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung wird „der danach erforderliche Herstellungsaufwand nicht nur durch Art und Ausmaß des Schadens, die örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten für seine Beseitigung, sondern auch von den Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten mitbestimmt, so auch durch seine Abhängigkeit von Fachleuten, die er zur Instandsetzung des Unfallfahrzeugs heranziehen muss“ (BGH, Urteil vom 29.10.1974, Az. VI ZR 42/73, Rz. 9). Denn zur Schadensregulierung muss der Geschädigte das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten übergeben, denen er den Reparaturauftrag erteilt hat. Die Schadensbeseitigung muss damit in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden, so dass kein Grund ersichtlich ist, dem Schädiger im Rahmen des § 249 BGB das Werkstattrisiko abzunehmen (BGH, Urteil vom 29.10.1974, Az. VI ZR 42/73, Rz. 10). Dem Schädiger ist damit die Möglichkeit entzogen, den Geschädigten darauf zu verweisen, einer übersetzten Forderung seine Einwände entgegen zu halten, vielmehr ist er durch die Möglichkeit der Abtretung möglicher Ausgleichsansprüche gegen die Reparaturwerkstatt ausreichend geschützt (BGH, Urteil vom 29.10.1974, Az. VI ZR 42/73, Rz. 13).

Die von der Reparaturwerkstatt in Rechnung gestellten Kosten sind begrifflich nur ein Anhalt zur Bestimmung des erforderlichen Reparaturaufwands im Sinne des § 249 Abs. 2 BGB, der sich danach richtet, was zur Instandsetzung des Unfallfahrzeugs von dem Geschädigten bei wirtschaftlich vernünftigem Vorgehen aufgewendet werden muss (BGH, Urteil vom 29.10.1974, Az. VI ZR 42/73, Rz. 10). Deshalb kann die Reparaturkostenrechnung der Werkstatt dem nach § 249 Abs. 2 BGB für die Instandsetzung des Fahrzeugs geschuldeten Betrag nicht ungeprüft gleichgesetzt werden, so dass der Geschädigte nachzuweisen hat, dass er wirtschaftlich vorgegangen ist, also bei der Beauftragung und Überwachung der Reparaturwerkstatt den Interessen des Schädigers an der Geringhaltung des Herstellungsaufwandes Rechnung getragen hat (BGH, Urteil vom 29.10.1974, Az. VI ZR 42/73, Rz. 14).

b) Entgegen der Auffassung der Beklagten steht die oben dargelegte Rechtslage im Einklang mit ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, insbesondere der Entscheidung des BGH vom 19.07.2016 (Az. VI ZR 491/15), in der es im Übrigen nicht um eine Reparaturrechnung, sondern um eine Sachverständigenrechnung und Abtretung des Schadensersatzanspruchs an den Sachverständigen erfüllungshalber ging. Auch der BGH macht deutlich, dass der Geschädigte zunächst nach § 249 Abs. 2 BGB Anspruch auf Befriedigung seines Finanzierungsbedarfs in Form des zur Wiederherstellung objektiv erforderlichen Geldbetrags und nicht auf Ausgleich von Rechnungsbeträgen hat (BGH, Urteil vom 19.07.2016, Az. VI ZR 491/15, Rz. 15). Im Rahmen seiner Freiheit bei der Wahl der Mittel zur Schadensbeseitigung hat der Geschädigte zu berücksichtigen, dass er nur die Kosten erstattet verlangen kann, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen, so dass er im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen hat, wobei im Wege der subjektbezogenen Schadensbetrachtung Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen ist (BGH, Urteil vom 19.07.2016, Az. VI ZR 491/15, Rz. 16). Seiner Darlegungslast hinsichtlich der Wahl des wirtschaftlichen Weges zur Schadensbeseitigung genügt der Geschädigte regelmäßig durch Vorlage der Rechnung, welcher eine Indizwirkung des vom Geschädigten tatsächlich erbrachten Aufwands bei der Schadensschätzung zukommt (BGH, Urteil vom 19.07.2016, Az. VI ZR 491/15, Rz. 19).

c) Die Klägerin hat vorliegend die Instandsetzungsarbeiten unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze veranlasst. Insbesondere ist die Klägerin im Rahmen ihrer Erkenntnismöglichkeiten wirtschaftlich vorgegangen. Sie hat bei der Auftragsvergabe das Gebot der Wirtschaftlichkeit beachtet. Dass die Reparaturrechnung möglicherweise überzogen ist, konnte sie bei der Auftragsvergabe nicht erkennen.

Die Beklagte hat vorprozessual gegenüber der Klägerin keine Angaben zu ihren Bedenken und Zweifeln am Reparaturweg bzw. den Reparaturkosten gemacht. Soweit die Beklagte nunmehr im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens einwendet, dass die vom Reparaturbetrieb kalkulierten Verbringungskosten und einzelne Rechnungspositionen überflüssig bzw. überteuert oder doppelt berechnet seien, insbesondere der Arbeitsaufwand für das Ersetzen der Seitenscheibe in der abgerechneten Erneuerung der Tür enthalten sei und die Kosten für die Fahrzeugreinigung nicht zu ersetzen seien, weil diese nicht unfallbedingt sei, so kann dies nicht mehr dazu führen, der Klägerin als Geschädigter das Risiko möglicherweise überzogener Kosten aufzubürden. Denn der Klägerin kann nicht zugemutet werden, die Rechnung hinsichtlich sämtlicher Positionen auf ihre Richtigkeit und Schlüssigkeit zu überprüfen. Hierfür fehlt dem Geschädigten in der Regel schon allein die fachliche Kenntnis. Es ist nicht ersichtlich, dass sich der Klägerin Zweifel an der Erforderlichkeit der Reparaturpositionen bzw. der Richtigkeit der Reparaturrechnung hätten aufdrängen müssen. Insbesondere kann ihr nicht vorgeworfen werden, dass gewisse Positionen schon in den Herstellerpreisen für bestimmte Arbeiten inbegriffen sind. Dies kann ein durchschnittlicher Geschädigter nicht wissen. Darüber hinaus sind diese Positionen der Klägerin nunmehr in Rechnung gestellt worden und sie ist mit der Forderung belastet. Die Beklagte hat hingegen nichts dazu vorgetragen, dass die Klägerin bei der Beauftragung der Reparaturwerkstatt ihrer Schadensminderungspflicht nicht genügt hätte. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass für die Klägerin zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe Anhaltspunkte dafür bestanden hätten, dass die Reparaturwerkstatt unwirtschaftlich vorgehen würde.

2.
Soweit die Beklagte ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht hat, so ist eine Zug-um-Zug-Verurteilung nicht mehr auszusprechen, da die Klägerin die Abtretung möglicher Schadensersatz- und  Bereicherungsansprüche gegen  das Reparaturunternehmen in der mündlichen Verhandlung vom 05.12.2016 bereits erklärt hatte.

II.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 708 Nr. 11, 711 S. 1, 2 ZPO.

Die Berufung war nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 511 Abs. 4 ZPO liegen nicht vor. Die obigen Rechtsausführungen entsprechen der aktuellen einschlägigen BGH-Rechtsprechung.

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