Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,
wir setzen undere Serie mit kritisch zu betrachtenden Urteilen fort. Von München geht es nach Pasewalk. Bei dem Amtsgericht Pasewalk handelt es sich um ein nachgeordnetes Amtsgericht im Landgerichtsbezirk Neubrandenburg im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Diese Information für diejenigen, die Pasewalk nicht kennen. In diesem Fall war es die Württembergische Versicherung, die den Rechtsstreit um die restlichen Sachverständigenkosten aus abgetretenem Recht als restlichen Schadensersatz nach einem vom Fahrer des bei der Württembergischen Versicherung versicherten Kraftfahrzeuges verursachten Unfalls provozierte, indem sie nicht vollständigen Schadensersatz leistete, obwohl eine volle Haftung bestand. Der erkennende Amtsrichter scherte sich nicht um die Rechtsprechung des BGH und des OLG München, sondern rechtfertigte die von der Versicherung vorgenommenen Kürzungen insoweit, als er die Nebenkosten auf der Grundlage des JVEG kürzte. Auch hier macht das erkennende Gericht wiederum den Fehler, dass es im Rahmen der Schadensschätzung einzelne Schadenspositionen schätzt, nicht jedoch, wie es § 287 ZPO vorsieht, eine Schadenshöhenschätzung des Gesamtbetrages. Das verstößt gegen den klaren Wortlaut des Gesetzes. Mit der Schätzung der einzelnen Nebenkosten nach dem JVEG übergeht der erkennende Richter auch noch die BGH-Rechtsprechung sowie auch die Rechtsprechung des OLG München. Da schwingt sich ein „kleiner“ Amtsrichter dazu auf, sich gegen die höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung zu stellen. Das ist eine unbrauchbare juristische Leistung, wie wir meinen. Was denkt Ihr? Gebt bitte Eure Kommentare zu diesem Urteil ab.
Viele Grüße
Willi Wacker
Aktenzeichen:
100 C 11/14
Amtsgericht Pasewalk
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
…
– Kläger –
gegen
Württembergische Versicherung AG, vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden Norbert Hei-nen, Friedrich-Scholl-Platz, 76137 Karlsruhe
– Beklagte –
hat das Amtsgericht Pasewalk durch den Richter am Amtsgericht F. im vereinfachten Verfahren nach § 495 a ZPO am 13. Mai 2015 für Recht erkannt:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 100,55 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11. Februar 2014 zu zahlen.
2.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 30 % und die Beklagte zu 70 %.
4.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Entscheidungsgründe
Vom Tatbestand wird nach § 313 a Absatz 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
Die zulässige Klage ist in dem aus der Tenorierung ersichtlichen Umfang begründet. Insoweit kann der Kläger von der Beklagten aus abgetretenem Recht Zahlung restlichen Sachverständigenhonorars aus §§ 823 Absatz 1, 249, 398 BGB, 7, 17, 18 StVG, 115 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 VVG fordern.
Da die Abtretung des Schadensersatzanspruches durch den Geschädigten an den Kläger den Inhalt der Forderung nicht verändert und die Beklagte dem Kläger (lediglich) die Einwendungen entgegensetzen kann, die sie auch dem Geschädigten als Zedent gegenüber zu erheben im Stande gewesen wäre, § 404 BGB, war zu prüfen, inwieweit der Geschädigte einen ergänzenden Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte hat.
Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung kann der Geschädigte eines Verkehrsunfalls einen Sachverständigen mit der Begutachtung der entstandenen Schäden und der Berechnung der voraussichtlichen Kosten der Schadensbeseitigung beauftragen und die angefallenen Kosten als Schadensersatz geltend machen. Nach § 249 Absatz 2 Satz 1 BGB kann der Geschädigte (jetzt der Kläger) den zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag verlangen. Bei der Beauftragung eines Sachverständigen ist der Geschädigte eines Verkehrsunfalls grundsätzlich nicht zu einer Marktforschung verpflichtet, um die Kosten für den Schädiger möglichst gering zu halten und auf dem Markt einen möglichst günstigen Sachverständigen zu finden. Vielmehr ist er berechtigt, auf dem ihm zugänglichen Markt einen zur Begutachtung bereiten Sachverständigen zu beauftragen und die entsprechenden Kosten als Schadensersatz zu verlangen, wenn sich ihm nicht aufdrängt und aufdrängen muss, dass der Sachverständige erheblich übersetzte Vergütung fordert. Allerdings trägt der Geschädigte im Rahmen der vorstehenden Ausführungen das verbleibende Risiko, dass sich ein Sachverständiger im nachfolgenden Rechtsstreit als zu teuer erweist. Den Nachweis der Erforderlichkeit der angefallenen Kosten im Sinne des § 249 Absatz 2 Satz 1 BGB führt der Geschädigte (nach Abtretung der neue Gläubiger) grundsätzlich durch Vorlage der Rechnung des Sachverständigen. Diese hat Indizwirkung für die Erforderlichkeit der Herstellungskosten insoweit. Es obliegt sodann dem Schädiger, darzutun und zu beweisen, warum der Geschädigte gleichwohl gegen seine Schadensminderungspflicht des § 254 Absatz 1 BGB verstoßen habe oder sonst die geltend gemachte Schadensposition zur Wiederherstellung nicht erforderlich gewesen sei.
Ausgehend hiervon ergibt sich im vorliegenden Streitfall folgendes:
Der Kläger als neuer Gläubiger hat als Anlage zur Anspruchsbegründung die von ihm erstellte Rechnung vorgelegt. Es wäre daher an der Beklagten gewesen, darzutun und gegebenenfalls zu beweisen, dass der geltend gemachte Betrag überhöht, nicht erforderlich oder sonst gegen die Schadensminderungspflicht des Geschädigten verstoßend sei.
Ihrer diesbezüglichen Darlegungslast ist die Beklagte bereits nur im Ansatz nachgekommen. In ihrer umfänglichen Klagerwiderung vom 24.04.2014 beschränkt sich die Beklagte im wesentlichen auf allgemeine Rechtsausführungen und Rechtsbehauptungen, die sie sodann unter Sachverständigenbeweis stellt. Konkrete, auf den Schadensfall und auf die Rechnung des Klägers bezogene Einwendungen fehlen weitgehend. Dass sich die Beklagte in ihrer Klagerwiderung auch ersichtlich nicht zur Sache gehöriger Textbausteine bedient, folgt eindrücklich insbesondere aus Seite 6/7 der Klagerwiderung, wo umfänglich dargetan wird, warum der Kläger keine außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten geltend machen könne, was er indes weder im streitigen Verfahren noch im vorhergehenden Mahnverfahren getan hat. Das Gericht hatte daher zunächst zu prüfen, inwieweit die Beklagte konkrete, auf den vorliegenden Fall bezogene Einwendungen erhebt.
Soweit die Beklagte dartut, der Aufwand zur Erstellung des streitigen Gutachtens habe allenfalls eine Stunde betragen, ist dies ohne Bedeutung. Auch für eine etwa einstündige Arbeit eines Sachverständigen kann bei entsprechender Qualifikation und Güte der Leistung ein hohes Honorar angemessen sein. Soweit die Beklagte behauptet, die Rechnung des Klägers weise „keinerlei realen Leistungsbezug zum erbrachten Werk“ auf, ist dies nicht mehr als eine polemische Behauptung, die dem angebotenen Sachverständigenbeweis ersichtlich nicht zugänglich ist.
Lediglich soweit die Beklagte auf Seite 6 der Klagerwiderung Einwendungen gegen die berechneten Nebenkosten in Form von Schreibkosten und Fotokosten erhebt, waren ihre Einwendungen erheblich und vom Gericht zu überprüfen. Gegen die sonstigen aus der Rechnung des Klägers ersichtlichen Einzelpositionen hat die Beklagte nichts konkret erinnert, wie vorstehend ausgeführt wurde.
In dem vorstehend bezeichneten Rahmen der durch die Beklagten veranlassten gerichtlichen Überprüfung haben die Einwendungen der Beklagten allerdings teilweise Erfolg. Die vom Kläger geltend gemachten Foto-und Schreibkosten erscheinen als übersetzt. Es geht hierbei nicht – wie der Kläger meint – um die Angemessenheit seiner Vergütung, sondern um die Angemessenheit des begehrten Aufwendungsersatzes, der zusätzlich zur Grundvergütung beansprucht wird. Ob die Grundvergütung üblich im Sinne des § 632 Absatz 2 BGB ist, wofür allerdings einiges spricht, hatte das Gericht wegen diesbezüglich fehlender substantiierter Einwendungen der Beklagten nicht zu prüfen.
Bei der von der Beklagten gerügten Angemessenheit der geltend gemachten Schreib- und Fotokosten hat das Gericht die Angemessenheit der Aufwendungen des Klägers nach § 287 Absatz 1 ZPO geschätzt und sich dabei an den Vorschriften des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen (JVEG) orientiert. Nach § 12 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2, 3 JVEG kann ein gerichtlich bestellter Sachverständiger für jedes zur Vorbereitung und Erstattung des Gutachtens erforderliche Foto 2 Euro und, wenn die Fotos nicht Teil des schriftlichen Gutachtens sind, 0,50 Euro für den zweiten Abzug fordern, weiterhin für die Erstellung des schriftlichen Gutachtens 0,90 Euro je angefangene tausend Anschläge. Ausgehend von diesen Beträgen kann der Kläger aus abgetretenem Recht für die 9 Seiten der ersten Ausfertigung seines Gutachtens je 0,90 Euro fordern, was einen Gesamtbetrag von 8,10 Euro ergibt. In Anbetracht der üblichen Kopierkosten auf dem Markt erschien es als angemessen, pro kopierter Seite 0,20 Euro zuzusprechen, was bei 9 Seiten einen Betrag von 1,80 Euro ergibt.
Hinsichtlich der Fotosätze gilt folgendes: Soweit die Beklagte rügt, 3 Fotosätze seien nicht erforderlich gewesen zur Schadensdokumentation (Seite 6 der Klagerwiderung) handelt es sich hierbei auch um einen nicht zur Sache gehörigen Textbaustein, da der Kläger lediglich 2 Fotosätze abgerechnet hat. Für die 6 Fotos des ersten Satzes waren ihm jeweils 2 Euro, also insgesamt 12,00 Euro zuzusprechen, für die 6 Fotos des 2. Satzes jeweils 0,50 Euro, mithin insgesamt 3,00 Euro.
Dass dem Kläger über diese Beträge hinaus die geltend gemachten Aufwendungen entstanden seien, hat er trotz insoweit substantiierten Bestreitens der Beklagten nicht dargetan.
Hiernach ergibt sich folgender Anspruch:
,
Grundhonorar 250,00 Euro
Fahrtkosten 60,50 Euro
1. Fotosatz 12,00 Euro
2. Fotosatz 3,00 Euro
Schreibkosten Original 8,10 Euro
Schreibkosten Kopie 1,80 Euro
Sonstige Auslagen 18,00 Euro
ergibt in der Summe 353,40 Euro
zzgl. 19,00 % Mehrwertsteuer = 420,55 Euro
abzgl. gezahlter 320,00 Euro
ergibt Restforderung 100,55 Euro
Die weitergehende Klage konnte keinen Erfolg haben.
Der Zinsausspruch beruht auf §§ 291, 288 Absatz 1, 187 Absatz 1 BGB, 696 Absatz 3 ZPO.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Absatz 1 Satz 1, 708 Nummer 11, 713 ZPO.
Anlass zur Zulassung der Berufung bestand nicht, insbesondere nicht aufgrund des weitgehend standardisierten und nicht auf den vorliegenden Fall bezogenen Vortrages der Beklagten.
Hei Willi,
wirklich ein grottenfalsches Urteil.
Die Arbeit, das Urteil hier einzustellen, hätte ich mir erspart. Solche Urteile kann man nur mit Nichtbeachtung strafen.
Heinz-Werner K.
„Mit der Schätzung der einzelnen Nebenkosten nach dem JVEG übergeht der erkennende Richter auch noch die BGH-Rechtsprechung sowie auch die Rechtsprechung des OLG München.“
Vielleicht hat der erkennende Richter auch nur ein Seminar des BGH-Richters W. besucht? Nach LG Saarbrücken vom 19.12.2014 sowie der Rechtsprechung des AG München u. LG München vom Anfang des Jahres war der Weg zum JVEG wohl vorgezeichnet? Dumm gelaufen, dass dieser Komplott aufgedeckt wurde. Und dann noch der Fernsehbeitrag vom 17.08.2015 zur „Befangenheit von BGH-Richtern (ab Minute 34). Das Rechtssystem ist so was von versicherungsverseucht. Deshalb ist es kein Wunder, wenn der eine oder andere Richter die Krätze bekommt.
Hallo, Willi Wacker,
da ist aber wohl auf Klägerseite mit Angemessenheitsgesichtspunkten gerührt worden und da geht dann der Schuß nach hinten los, wie man hier sieht.
Wildente
Hallo Wildente,
was von Klägerseite vorgetragen wurde, ist mir nicht bekannt. Selbst wenn der Kläger zutreffend mit der Erforderlichkeit argumentiert, lenken die Versicherer bewußt das Augenmerk auf die Angemessenheit, obwohl diese im Schadensersatzrecht nichts zu suchen hat.
Umgekehrt kann argumentiert werden, dass die von den Versicherern erbrachten Schadensersatzleistungen unangemessen gering sind und diese daher zu verurteilen sind, den erforderlichen Schadensersatz zu leisten. Der besteht bei einhundertprozentiger Haftung auch in einhundertprozentiger Schadensersatzleistung in voller Höhe.
Mit freundlichen Grüßen
Willi Wacker