Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,
von Düsseldorf kehren wir wieder nach Siegen zurück. Zum Wochenbeginn veröffentlichen wir hier für Euch ein Urteil aus Siegen zu den restlichen Sachverständigenkosten aus abgetretenem Recht gegen die LVM Versicherung. Zutreffend hat das erkennende Gericht festgestellt, dass der Geschädigte bei einem unverschuldeten Verkehrsunfall nicht verpflichtet ist, vor der Beauftragung des von ihm ausgewählten Kfz-Sachverständigen, die DEKRA oder den TÜV oder andere Prüforganisatiuonen zu kontaktieren. Eine derartige Pflicht kennt das BGB für den Geschädigten nicht. Im Übrigen geht auch die Schadensgeringhaltungspflicht des Geschädigten nicht so weit, dass er zu Gunsten des Schädigers sparen müsste. Das hat eindeutig die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits entschieden. Daran sollte sich doch die LVM in Münster orientieren. Lest selbst das Urteil des AG Siegen und gebt dann bitte Eure Kommentare ab.
Viele Grüße und eine schöne Woche.
Willi Wacker
14 C 821/15
Amtsgericht Siegen
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
des Herrn … ,
Klägers,
gegen
den LVM Landwirtschaftlicher Versicherungsverein Münster a.G., vertreten durch den Vorstand, dieser vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden Jochen Herwig, Kolde-Ring 21-26, 48126 Münster,
Beklagter,
hat das Amtsgericht Siegen
im schriftlichen Verfahren gemäß § 495a ZPO am 27. Oktober 2015
durch die Richterin am Amtsgericht B.
für R e c h t erkannt:
I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 44,79 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.04.2015 zu zahlen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von der Abfassung eines Tatbestands
wird gemäß §313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
A.
Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.
I.
Dem Kläger steht gegen den Beklagten aus abgetretenem Recht ein Anspruch auf Zahlung restlicher Sachverständigenkosten in Höhe von 44,79 EUR aus §§ 7, 17 StVG, 115 Abs. 1 VVG, 249 ff, 398 ff BGB zu.
1.
Der Kläger ist aktivlegitimiert.
Der Geschädigte D. A. S. hat seinen Schadensersatzanspruch auf Erstattung der Sachverständigenkosten – wie sich aus der Abtretungsvereinbarung vom 13.01.2015 ergibt – an den Kläger erfüllungshalber abgetreten.
2.
Dem Kläger stehen über den bereits von der Beklagten gezahlten Betrag von 712,81 EUR entgegen der Ansicht des Beklagten weitere 44,79 EUR Sachverständigenkosten zu.
Dem Geschädigten stand gegen den Beklagten unstreitig dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch zu, denn bei dem Betrieb des beim Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeugs ist der im Eigentum des Zedenten stehende PKW Citroen beschädigt worden. Dieser Schadensersatzanspruch umfasst auch die Kosten für die Einholung eines Sachverständigengutachtens, denn diese Kosten gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist (BGH, U. v. 23.01.2007, NJW 2007, 1450 ff). Dies wird dem Grunde nach von dem Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen, streitig ist allein, ob die Sachverständigenkosten in voller Höhe ersatzfähig sind.
a)
Dahinstehen kann insoweit, ob der Zedent mit dem Kläger eine Vergütungsvereinbarung getroffen hat, da hinsichtlich der Höhe allein maßgeblich ist, ob sich die an den Sachverständigen gezahlten Kosten nach den anzuwendenden schadensrechtlichen Gesichtspunkten im Rahmen des zur Wiederherstellung Erforderlichen halten (vgl. BGH, U. v. 23.01.2007, NJW 2007, 1450 ff).
Als erforderlich sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs diejenigen Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten machen würde (vgl. BGH, U. v. 11.02.2014, NJW 2014, 1947 f). Es kommt mithin für die Höhe des Schadens nicht auf den tatsächlichen Aufwand an, der sich im Nachhinein als erforderlich herausstellt. Entscheidend ist vielmehr, welcher Aufwand zur Schadensbeseitigung erforderlich ist, wobei der tatsächliche Aufwand (ex post gesehen) bei der Schadensschätzung nach § 287 BGB oft einen Anhalt zur Bestimmung des zur Herstellung „erforderlichen“ (ex ante zu bemessenden) Betrages im Sinne von §249 Abs. 2 Satz 1 BGB darstellt (vgl. BGH, U. v. 11.02.2014, NJW 2014, 1947 f).
Bei der Prüfung, ob der Geschädigte den Aufwand zur Schadensbeseitigung in vernünftigen Grenzen gehalten hat, ist auf eine subjektbezogene Schadensbetrachtung abzustellen, somit Rücksicht zu nehmen auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten (vgl. AG Siegen, U. v. 10.06.2015 -14 C 1219/15-). Danach sind Gutachterkosten nur dann nicht ersatzfähig, wenn der Geschädigte bei der Auswahl des Sachverständigen schuldhaft seiner Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB nicht nachgekommen wäre.
Der Zedent hat vorliegend mit der Beauftragung des Klägers einen Sachverständigen für die Bewertung von Kraftfahrzeugschäden ausgewählt. Anhaltspunkte für ein Auswahlverschulden sind weder von dem Beklagten dargelegt noch ersichtlich. Insbesondere traf den Geschädigten keine Obliegenheit zur Erkundigung oder Nachforschung bezüglich der Sachverständigenkosten. Dies folgt auch nicht aus der von der Beklagtenseite herangezogene Entscheidung des BGH in NJW 2007, 1450.
Der Geschädigte kann grundsätzlich von der Erforderlichkeit der anfallenden Sachverständigenkosten ausgehen.
Anders als etwa im Mietwagengeschäft fehlt es hier an allgemein zugänglichen und gültigen Preislisten. Es bestand insbesondere auch keine Verpflichtung des Zedenten, sich bei anderen Gutachtern oder auch bei der DEKRA oder dem TÜV nach deren Preisvorstellungen zu erkundigen. Ein Geschädigter ist auch nicht gehalten, die Berechtigung der Ansprüche des Sachverständigen der Höhe nach von einem weiteren Sachverständigen überprüfen zu lassen, was weitere Kosten auslösen würde. Ein solches überobligationsmäßiges Verhalten kann vom Geschädigten nicht verlangt werden, wäre aber die Folge, wenn man ihn hierzu verpflichten würde (vgl. AG Siegen, U. v. 10.06.2015 -14 C 1219/15-; AG Siegen, U. v. 19.08.2015 -14 C 1270/15-).
Zu berücksichtigen ist vielmehr, dass die Auswahl des Sachverständigen gerade nicht ausschließlich anhand der beabsichtigten Art und Höhe der Abrechnung erfolgen kann, die Wahl des Sachverständigen vielmehr auch auf der räumlichen Nähe zum Besichtigungsort, der fachlichen Qualifikation und Reputation sowie der zeitlichen Verfügbarkeit beruht.
Zudem ist der Geschädigte im Regelfall nicht in der Lage, im Voraus abschätzen zu können, ob die vom jeweiligen Sachverständigen abgegebene Kostenschätzung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Kriterien angemessen sein kann. Hierzu fehlen dem Geschädigten sowohl fachliche Kenntnisse als auch die notwendigen Mittel der Informationsbeschaffung – selbst der Beklagte als bundesweit tätiger Versicherer hat sich vorliegend nur mit der Angemessenheit von Einzelpositionen befasst, dazu wie der erforderliche Aufwand für ein Sachverständigengutachten generell zu bemessen ist, fehlt diesbezüglich jeglicher konkrete Vortrag.
Nur wenn aber für den Geschädigten als Laien erkennbar ist, dass der Sachverständige sein Honorar ohne jedwede Berechnung festsetzt und das Preis-Leistungs-Verhältnis ein auffälliges Missverhältnis aufweist, kann der Geschädigte nicht mehr den vollständigen Ausgleich gezahlter Aufwendungen verlangen. Solange einem Geschädigten aber-wie hier, wo bei einem Rechnungsbetrag von 757,60 EUR lediglich 44,79 EUR im Streit stehen – nicht vorgeworfen werden kann, dass er ganz konkrete und für ihn sichtbare Anhaltspunkte ignoriert und das Gutachten oder die Rechnung nicht zurückgewiesen hat, kommt ein Verschulden gegen sich selbst nicht in Betracht (vgl. AG Siegen, U. v. 19.08.2015 -14 C 1270/15-).
b)
Soweit der Beklagte zu einzelnen Positionen der Rechnung des Klägers vorgetragen hat, reicht dieser Vortrag nicht aus, um eine Verletzung der Schadensminderungspflicht seitens des Zedenten feststellen zu können.
Insbesondere ist es von vornherein nicht von Bedeutung, ob einzelne Positionen, die der Kläger als Nebenforderungen abrechnet, aus Sicht der Beklagten überhöht sind oder nicht. Hätte der Zedent ausschließlich die Anfertigung von Fotos oder einer Reparaturkostenkalkulation oder die Durchführung von Fahrten in Auftrag gegeben, wäre zwar zu prüfen, ob diejenigen Kosten, die der Kläger diesbezüglich in Rechnung gestellt hat, erforderlich gewesen sind oder nicht. Dem Zedenten stand jedoch gegen den Beklagten kein Anspruch auf Ersatz der erforderlichen Kosten für die einzelnen beanstandeten Positionen zu, sondern ein Anspruch auf Ersatz der Kosten für die Anfertigung eines Sachverständigengutachtens. Daher sind als Vergleichsmaßstab ausschließlich die Kosten derartiger Gutachten heranzuziehen (vgl. AG Hamburg-Altona, NJW-RR 2013, 1251 f). Diese setzen sich – was dem Beklagten als bundesweit tätigem Versicherer bekannt sein dürfte – jeweils aus verschiedenen Positionen zusammen, die bei verschiedenen Gutachtern jeweils anders kalkuliert werden und aus denen sich der Gesamtaufwand zusammensetzt.
Dann ist es aber – ebenso wenig wie es zulässig ist, bei einem Sachverständigen, der eine (etwa im Verhältnis zum Kläger) höhere „Grundgebühr“ beansprucht, aber dafür im Gegenzug niedrigere Nebenkosten kalkuliert, ausschließlich die Grundgebühr bei der Bemessung der Erforderlichkeit heranzuziehen und dementsprechend zu kürzen – im vorliegenden Falle nicht zulässig, mit der Behauptung, die Nebenkosten seien „überhöht“, diese nicht in voller Höhe zu erstatten, weil sie insoweit nicht erforderlich seien, (vgl. AG Hamburg-Altona, NJW-RR2013, 1251 f).
Da der tatsächlich aufgewendete Betrag nicht notwendig mit dem zu ersetzenden Schaden identisch ist, kann die Berechnung des Schadens grundsätzlich nicht von etwaigen rechtlichen Mängeln der zu seiner Beseitigung tatsächlich eingegangenen Verbindlichkeiten (z.B. einer überhöhten Honorarforderung des Sachverständigen) abhängig gemacht werden. Für die Höhe des Sachverständigenhonorars gilt vielmehr, dass dann, wenn der Geschädigte den Rahmen des zur Wiederherstellung Erforderlichen wahrt, weder der Schädiger noch das Gericht im Schadensersatzprozess berechtigt sind, eine Preiskontrolle durchzuführen (vgl. BGH, NJW 2007, 1450 ff.).
Dass dieser Rahmen vorliegend nicht gewahrt worden ist, ist aber weder dargetan noch ersichtlich. Entscheidend ist, ähnlich wie bei der Ermittlung des Reparaturkostenaufwandes in Fachwerkstätten, welche Vergütung auf dem allgemeinen regionalen Markt verlangt und bezahlt wird (vgl. AG Hamburg-Altona, NJW-RR 2013, 1251 f). Dass bei anderen Sachverständigen in der Region eine vergleichbare Leistung zu einem niedrigeren Preis erhältlich gewesen wäre, ist nicht vorgetragen.
Zudem waren die Kosten für die Anfertigung von Lichtbildern ebenso wie die Schreibkosten und die Fahrtkosten nicht als für den Zedenten erkennbar unüblich anzusehen und zeichnen sich gerade dadurch aus, dass nicht jeder an der Schadenshöhe bemessene Auftrag denselben Arbeits- und Materialaufwand mit sich bringt, sie können – je nach Beschädigung – völlig unterschiedlich ausfallen, daher dann auch gesondert abgerechnet werden (vgl. AG Siegen, U. v. 28.07.2010 -14 C 118/10-).
Die Kosten für die Lichtbilder (2,35 EUR für den 1. Satz und 1,37 EUR für den 2. Satz) kann der Kläger in voller Höhe (29,76 EUR zzgl. MwSt) ersetzt verlangen, § 287 ZPO.
Für den Laien ist nicht erkennbar, dass die Kosten für die Lichtbilder überhöht sein könnten. Zwar ist dem Beklagten zuzugeben, dass die Kosten für die Entwicklung eines Digitalfotos oder die Erstellung von fotoausdrucken erheblich geringer sind als der vom Kläger geltend gemachte Betrag. Aufgrund des Mehraufwands, den die Bearbeitung der Bilder durch einen Sachverständigen erfordert, wird aber auch der Laie nicht die vom Sachverständigen in Ansatz gebrachten Kosten mit den Preisen für Farbausdrucke oder mit den Preisen für Verbraucher in Läden und bei Internetanbietern vergleichen. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Sachverständige berechtigt ist, nicht lediglich die Entwicklungskosten umzulegen sondern auch die Kosten, die für Anschaffung, Wartung und etwaige Reparaturen der Kamera entstanden sind bzw. entstehen (vgl. AG Siegen, Urteil vom 19.08.2015 -14 C 1270/15-).
Die Schreibkosten sind in Höhe von 46,68 EUR zzgl. MwSt (Original 2,66 EUR/Seite, Kopie 1,23 EUR/ Seite) ebenfalls erstattungsfähig, § 287 ZPO. Soweit der Beklagte geltend macht, Schreibgebühren würden – auch für den Laien erkennbar – nicht anfallen, überzeugt dieser Einwand nicht. Jedes Gutachten enthält individualisierte Ausführungen. Hierfür fallen auch für den Laien erkennbar Kosten für Schreibkräfte und die verwendete Software an, da die Verwendung von EDV Programmen wie DAT oder Audatex-Schwacke im Regelfall nicht kostenlos erfolgt, die Programme vielmehr käuflich zu erwerben sind bzw. Lizenzgebühren für deren Nutzung anfallen. Zudem ist es dem Sachverständigen gestattet, auch auch Hardware Kosten (Anschaffung, Wartung, Reparatur) als Teil der Schreibegebührten umzulegen.
Erstattungsfähig sind auch die Fahrtkosten in Höhe von 1,08 EUR/km (insgesamt 43,20 EUR zzgl. MwSt), § 287 ZPO.
Soweit der Beklagte sich darauf beruft, dass die Fahrtkosten nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 JVEG 0,25 EUR/km betragen, der Sachverständige einen höheren Betrag nicht geltend machen dürfe, ist darauf hinzuweisen, dass die nach dem JVEG ersetzten Kosten schon nicht den tatsächlich angefallenen Kosten entsprechen. Zudem ist die Anwendbarkeit des JVEG auf die in § 1 JVEG genannten Verfahren beschränkt. Einer analogen Anwendung des JVEG auf Privatgutachter steht schon die mangelnde Vergleichbarkeit aufgrund beispielsweiser unterschiedlicher Haftungsmaßstäbe gerichtlicher Gutachter und Privatgutachter entgegen, (vgl. AG Kassel, U. v. 20.10.2014, Schaden-Praxis 2015, 97 f).
Da nach alledem nicht dargetan oder ersichtlich ist, dass der Zedent den Kläger mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt hat, obwohl begründete Zweifel an dessen Fachkunde oder Neutralität bestanden oder aber dass dem Geschädigten bei Beauftragung konkrete Informationen darüber vorlagen, dass dieses Büro generell oder in seinem Einzelfall überhöht abrechnet, war der Beklagte zur Zahlung der weitergehenden Sachverständigenkosten zu verurteilen.
II.
Der Zinsanspruch des Klägers rechtfertigt sich als Rechtshängigkeitszins aus §§ 288 Abs. 1 S. 2, 291 BGB.
B.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs.1 S. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage §§ 711 Nr. 11, 711 S. 1, 713 ZPO.
Ganz klares sehr gut zum BGB ohne BVSK, danke für die Hoffnung auf Rechtsicherheit aus Siegen zum Vorbild der restlichen Republik.
Die Entscheidungsgründe sind nachvollziehbar. Ein auch für den Nichtfachmann verständliches Urteil, bei dem es mal wieder entgegen der BGH-Rechtsprechung um die unzulässige Begrenzung/Decklung der Nebenkosten gegangen sein dürfte.
Eiderente aus Freckenhorst