Hallo verehrte Captain-Huk-Leser,
zum sonnigen und superheißen Wochenende noch ein Urteil zur Literatur im Schatten. Nachfolgend geben wir Euch noch ein Urteil aus Waiblingen zur fiktiven Abrechnung gegen die Zurich Versicherung bekannt. Interessant ist das Urteil wegen des Zeitpunkts, bis zu dem der Schädiger den Geschädigten auf eine billigere Alternativreparaturmöglichkeit verweisen kann. Bekanntlich hatte der BGH entschieden, dass dies auch noch während des Rechtsstreites erfolgen könne. Der VI. Zivilsenat hat dabei bedauerlicherweise aber nicht so sehr auf die dem Geschädigten zustehende Dispositionsfreiheit abgestellt, worauf die junge Richterin der 9. Zivilabteilung des AG Waiblingen zutreffend hinweist. Für die Entscheidung des Waiblinger Rechtsstreits war das BGH-Urteil daher nicht entscheidend. Die Argumente der Richterin aus Waiblingen überzeugen meines Erachtens. Lest aber selbst und gebt Eure Kommentare ab. Das Urteil wurde erstritten und der Redaktion eingereicht durch die Kanzlei Andreas Gursch aus Böblingen.
Viele Grüße und ein schönes Wochenende.
Willi Wacker
Aktenzeichen:
9 C 521/13
Verkündet am:
03.07.2013
Amtsgericht Waiblingen
Im Nameri des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
…
gegen
…
wegen Schadensersatz
hat das Amtsgericht Waiblingen
durch die Richterin …
am 03.07.2013 auf die mündliche Verhandlung vom 05.06.2013
für Recht erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 240,22 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.04.2013 zu bezahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 240,22 € festgesetzt.
(abgekürzt nach § 313a Abs. 1 ZPO)
Entscheidungsgründe
Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren oach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
Die Parteien streiten wegen restlicher Schadenersatzansprüche, die der Kläger aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 19.07.2012 in … ereignet hat. Die vollständige und alleinige Haftung der Beklagtenseite ist zwischen den Parteien unstreitig. In Streit stehen noch restliche Reparaturkosten.
Der Kläger hatte einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Schadensgutachtens beauftragt. Aus dem Gutachten geht hervor, dass sich die erforderlichen Reparaturkosten auf insgesamt 3.940,16 € belaufen. Der Kläger hat seinen unfallbeschädigten Pkw in Eigenleistung repariert.
Seitens der Beklagten wurde eine Zahlung in Höhe von 3.664,00 € an den Kläger erbracht. Mit Schreiben vom 05.12,2012 teilte die Beklagte mit, dass sich aus einem Prüfbericht ergebe, dass der eingetretene Schaden in einer anderen Werkstatt zu einem Preis von 3.639,94 € repariert werden hätte können.
Die von der Klagerseite gesetzte Zahlungsfrist für die Bezahlung der restlichen Reparaturkosten in Höhe von 240,22 € war ergebnislos verstrichen.
I.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Dem Kläger stehen gemäß §§ 7, 18 StVG, 823 BGB i.V.m. § 115 VVG restliche Ansprüche auf Schadensersatz in Höhe von 240,22 € zu.
Die im Kostenvoranschlag angegebenen Stundenverrechnungssätze sind vorliegend ersatzfähig.
1.
Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB kann ein Geschädigter vom Schädiger den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag für die Beschädigung einer Sache verlangen. Die Erforderlichkeit des hierfür notwendigen Geldbetrags richtet sich danach, was ein verständiger wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten getan hätte. Der Geschädigte bewegt sich für gewöhnlich im Rahmen der Erforderiichkeit, wenn er der Schadensabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legt, die ein von ihm beauftragter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (vgl. BGH NJW 2010, 606).
Im Rahmen der Schadensminderungspflicht ist dann zu überprüfen, ob es dem Geschädigten zumutbar ist, eine Abrechnung auf der Basis billigerer Stundensätze einer freien Werkstatt zugrunde zu legen.
Das Gericht geht im vorliegenden Fall davon aus, dass kein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vorliegt. Der Verweis auf eine billigere freie Werkstatt erfolgte nach Ansicht des Gerichts verspätet. Der Geschädigte hatte seine Dispositionsentscheidung zu diesem Zeitpunkt bereits getroffen, indem er bereits im September 2012 die Schäden am Fahrzeug in Eigenregie beseitigt hatte.
2.
Grundsätzlich kann ein Geschädigter, der Eigentümer eines Fahrzeugs ist, welches älter als 3 Jahre ist, auf eine günstigere und technisch gleichwertige Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne weiteres zugänglichen freien Fachwerkstatt verwiesen werden (vgl. AG Hechingen, Urteil vom 28.06.2012, AZ.: 2 C 416/11). Ein solcher Verweis kommt nicht in Betracht, wenn der Geschädigte nachweisen kann, dass sein Fahrzeug in der Vergangenheit stets in einer Vertragswerkstatt gewartet und repariert wurde. Im vorliegenden Fall war eine Verweisung auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit grundsätzlich zunächst möglich. Das Fahrzeug des Klägers war zum Unfallzeitpunkt bereits mehr als 11 Jahre alt. Dass es sich um ein scheckheftgepflegtes Fahrzeug handelte, wurde von der Klägerseite weder vorgetragen noch nachgewiesen.
3.
Vorliegend erfolgte der Verweis auf die billigere Werkstatt jedoch verspätet.
In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, bis wann ein solcher Hinweis auf eine billigere Werkstatt erfolgen kann. Teilweise wird in der Literatur die Meinung vertreten, dass ein fiktiv abrechnender Geschädigter in zeitlicher Hinsicht nicht schutzwürdig ist und daher ein Verweis auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit jederzeit erfolgen kann (vgl. Figgener NJW 2008, 1349).
Beispielsweise das Landgericht Stuttgart geht davon aus, dass ein Verweis auch noch während des laufenden Prozesses nachgeholt werden kann (vgl. Landgericht Stuttgart, Urteil v. 19.07.2010, Az.: 4 S 48/10)
Das Landgericht Berlin geht dem gegenüber jedoch davon aus, dass ein Verweis nur dann noch erfolgen kann, wenn die Dispositionsentscheidung des Geschädigten noch nicht getroffen worden war. Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht könne nur dann angenommen werden, wenn der Geschädigte vorwerfbar „zum Zeitpunkt seiner Disposition schuldhaft von unzutreffenden Grundlagen, hier insbesondere zu Höhe der Reparaturkosten ausgegangen sei“ (LG Berlin 43 S 41/11). Als Anhaltspunkt, bis wann ein Verweis erfolgen könne, könne auf § 3 a Abs. 1 PflichtversG zurückgegriffen werden.
Auch andere Gerichte gehen davon aus, dass der Verweis vor der Dispositionsentscheidung des Geschädigten erfolgen muss (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.06.2008, Az.: I-1 U 246/07; LG Krefeld, Urteil vom 18.03.2010, Az.: 3 S 30/09; LG Hechingen, Urteil vom 19.09.2008, Az.: 3 S 11/08; LG Kiel, Urteil vom 25.11.2011, Az.: 1 S 37/11).
Die jüngste Entscheidung des BGH geht dahin, dass ein Verweis bei einem fiktiv abrechnenden noch während des Prozesses erfolgen kann (vgl. BGH, Urteil v. 14.05.2013, Az.: VI ZR 320/12).
Das Gericht geht vorliegend davon aus, dass der Verweis verspätet erfolgte. Die Entscheidung des BGH betrifft einen Fall, bei dem keine Reparatur des Fahrzeugs vorgenommen wurde. Hier hatte sich der Kläger zur Eigenreparatur entschieden, sodass nach Ansicht des erkennenden Gerichts eine anderweitige Entscheidung gerechtfertigt ist.
Vorliegend wurde auf fiktiver Basis eine Abrechnung der Reparaturkosten vorgenommen. Es müssen jedoch grundsätzlich die gleichen Grundsätze für die Abrechnung nach tatsächlicher Reparatur wie bei fiktiver Abrechnung gelten (vgl. BGH NJW-RR 09, 1031).. Das Gericht schließt sich den Feststellungen der zitierten Landgerichte an, die nur einen Verweis bis zum Treffen der Dispositionsentscheidung für möglich halten.
Vom Geschädigten kann nur so lange verlangt werden, den Schaden zu mindern, so lange dieser eine Möglichkeit zur Schadensminderung hat. Diese Möglichkeit besteht nur bis zum Zeitpunkt der Dispositionsentscheidung des Geschädigten. Wenn ein Reparaturauftrag erteilt ist, kann der Geschädigte in der Regel keinen Einfluss mehr auf die Kosten, die entstehen werden nehmen, sodass damit auch die Verpflichtung zur Schadensminderung enden muss (vgl. AG Hechingen, Urteil vom 28.06.2012, Az.: 2 C 416/11). Bei einer tatsächlich vorgenommenen Reparatur kann ein Verweis also nur bis zu dem Zeitpunkt erfolgen, bis der Auftrag an die Werkstatt erteilt wurde.
In Anbetracht dieser Grundsätze könnte zunächst angenommen werden, bei fiktiver Reparaturkostenabrechnung anders vorzugehen, da eine Reparaturentscheidung vorliegend nicht getroffen wird. Dem schließt sich das Gericht jedoch nicht an. Andernfalls würde der fiktiv Abrechnende schlechter gestellt, als derjenige, der sein Fahrzeug tatsächlich reparieren lässt, die Dispositionsentscheidung des Geschädigten wäre hierdurch beeinträchtigt (vgl. AG Hechingen, Urteil vom 28.06.2012, Az.: 2 C 416/11). Auch der fiktiv Abrechnende trifft eine Dispositionsentscheidung. Vorliegend wurde die Dispositionsentscheidung nicht erst mit Einreichung der Klage, sondern bereits mit der Durchführung der Eigenreparatur getroffen.
Der Kläger hat seiner Entscheidung, das Fahrzeug selbst zu reparieren, die vom Sachverständigen ermittelten Reparaturkosten zugrunde gelegt. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass auch bei einer Eigenreparatur Ersatzteile beschafft werden müssen. Auch bei einer Eigenreparatur fallen Kosten an, sodass die Dispositionsentscheidung im Hinblick auf den Abrechnungsbetrag erfolgt. Im Übrigen ist der Geschädigte nicht zu einer Eigen reparatur verpflichtet. Repariert er das Fahrzeug selbst, wird er über obligatorisch tätig. Nimmt nun der Geschädigte aufgrund der vom Sachverständigen ermitteltenden Kosten eine Kalkulation vor, welche Kosten ihm für die Eigenreparatur anfallen, so kann nicht nachträglich eingewendet werden, dass eine Reparatur günstiger möglich gewesen wäre. Bei einer Abrechnung nach günstigeren Stundensätzen wäre die Eigenreparatur für den Geschädigten möglicherweise nicht rentabel gewesen. Dieser hat sich für die Eigenreparatur auf der Grundlage der vom Sachverständigen ermittelten Kosten entschieden. Würde man nun den Verweis auf eine günstigere Werkstatt zulassen, so wäre die Grundlage der Dispositionsentscheidung des Geschädigten beseitigt. Möglicherweise hätte der Geschädigte dann eine andere Entscheidung getroffen.
Ein nachträgliches Ändern der Grundlage für die Dispositionsentscheidung hält das Gericht demnach im vorliegenden Fall für nicht gerechtfertigt. Aufgrund dessen war der Verweis auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit, da dieser erst nach der Eigenreparatur erfolgte, verspätet.
Aufgrund dessen sind auch die restlichen geltend gemachten Reparaturkosten von der Beklagtenseite zu erstatten.
Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
IV.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 3 ZPO, 63 Abs. 2 GKG.
Dieses Urteil fällt ins Auge durch die Konzentration der Entscheidungsgründe auf die Wichtigkeit der zeitlichen Abfolge. Wird diese bei fiktivem Abrechnungsbegehren gleichermaßen beachtet, dürfte eine Fülle von Rechtstreitigkeiten zu diesem Thema zukünftig vielleicht nicht mehr veranlaßt sein.
Mit freundlichen Grüßen
aus Bochum & Hamburg
Dipl.-Ing. Harald Rasche
Das Urteil finde ich richtig, aber es ist nicht zutreffend, dass im BGH-Fall (BGH, Urteil v. 14.05.2013, Az.: VI ZR 320/12) keine Reparatur des Fahrzeugs vorgenommen wurde. Im Tatbestand des BGH-Urteils steht doch „Der Kläger hat eine Reparatur in Eigenregie durchgeführt“.
ist die beklagte hier wegen dieses fehlers des gerichts in berufung gegangen oder hat die zulassung beantragt ?