Hallo verehrte Captain-Huk-Leser,
nachfolgend gebe ich Euch ein Urteil aus Wolfsburg bekannt, in dem es um den merkantilen Minderwert und die Sachverständigenkosten ging. Kläger ist der Unfallgeschädigte. Beklagter ist der Unfallverursacher. Die hinter dem Beklagten stehende Kfz-Haftpflichtversicherung war der Ansicht, dass bei geringfügigen Schäden ein merkantiler Minderwert nicht eintreten würde. Weiterhin war die hinter dem Beklagten stehende Haftpflichtversicherung der Ansicht, dass bei geringfügigen Schäden ein Gutachten nicht erforderlich gewesen sei. Ein Kostenvoranschlag hätte ausgereicht. In beiden Punkten wurde die hinter dem Beklagten stehende Kfz-Haftpflichtversicherung eines Besseren belehrt. Lest selbst und gebt Eure Kommentare ab.
Viele Grüße
Euer Willi Wacker
Amtsgericht Verkündet am: 14.09.2011
Wolfsburg
Geschäfts-Nr.:
12 C 102/11
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
des Herrn …
Kläger
gegen
Herrn …
Beklagter
hat das Amtsgericht Wolfsburg auf die mündliche Verhandlung vom 14.09.2011 durch den Richter am Amtsgericht …
für Recht erkannt:
1.) Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 495,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.01.2011 zu zahlen.
2.) Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Die Parteien streiten wegen der Folgen eines Verkehrsunfalles, der am 22.12.2010 in Wolfsburg stattgefunden hat und unstreitig allein verursacht worden ist von dem Beklagten.
Auf der Basis einer unstreitigen Haftung dem Grunde nach in Höhe von 100 % hat der Beklagte vorgerichtlich den dem klägerischen Unfall entstandenen Schaden reguliert mit Ausnahme folgender bleibender Restbeträge:
restliche Auslagenpauschale in Höhe von 5,00 €
merkantiler Minderwert 83,00 €
Gutachterkosten 372,47 €
Summe 460,47 €
Der Kläger verlangt darüber hinaus Erstattung restlicher vorgerichtlicher Anwaltsgebühren in Höhe von weiteren 34,62 €, nachdem der Beklagte vorgerichtlich bereits 120,67 € gezahlt hat.
Der Kläger hat die Haftpflichtversicherung des Beklagten vorgerichtlich durch seinen Prozessbevollmächtigten unter Fristsetzung zum 21.02.2011 vergeblich zur Zahlung aufgefordert.
Art und Umfang der an dem Fahrzeug des Klägers durch den streitgegenständlichen Unfall entstandenen Schäden sind unstreitig.
Der Kläger beantragt,
wie erkannt.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich des Vortrages des Beklagten wird Bezug genommen auf den Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 10.05.2011 (Blatt 44 bis 46 der Akte) nebst Anlagen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist dem Grunde nach unstreitig begründet, weil der Beklagte unstreitig mit einem von ihm geführten Fahrzeug auf ein im Eigentum des Klägers stehendes Fahrzeug aufgefahren ist und dieses dadurch beschädigt hat.
Hinsichtlich der Höhe der Klagforderung gilt Folgendes:
Die dem Grunde nach allgemein anerkannte Auslagenpauschale für den Aufwand zur Abwicklung eines Verkehrsunfalls wird vom Amtsgericht Wolfsburg seit Jahren in ständiger Rechtsprechung mit 25,00 € beziffert. Der streitgegenständliche Sachverhalt bietet keine Anhaltspunkte, hiervon abzuweichen.
Ein merkantiler Minderwert ist ein zu ersetzender Vermögensschaden auch nach einer technisch einwandfrei durchgeführten Reparatur im Hinblick darauf, dass ein Kraftfahrzeug, das einen Unfallschaden von einigem Gewicht erlitten hat, im Verkehr unter Umständen trotz ordnungsgemäßer Reparatur geringer bewertet wird als ein unfallfreies Fahrzeug (vergleiche dazu Palandt-Grüneberg, 70. Auflage, § 251 BGB, Randnote 14 mit weiteren Nachweisen).
Die allgemein anerkannten Ausschlusskriterien für die Annahme eines merkantilen Minderwertes (vergleiche dazu Palandt, aaO, Randnote 16 mit weiteren Nachweisen), liegen hier nicht vor. Das Fahrzeug des Klägers war zum Zeitpunkt des Unfalles erst knapp eineinhalb Jahre alt und wies eine Laufleistung von gut 40.000 Kilometern auf und hatte keine sichtbaren Vorschäden im Schadensbereich. Die Höhe der kalkulierten Reparaturkosten von 890,69 € belief sich auf etwas mehr als 10 % des kalkulierten Wiederbeschaffungswertes von 8.300,00 € und lag damit nicht mehr im Bagatellbereich, innerhalb dessen üblicherweise ein merkantiler Minderwert nicht mehr angenommen wird. Die Höhe des Minderwertes von 83,00 € ist in dem von dem Kläger in Auftrag gegebenen Gutachten nachvollziehbar berechnet und von dem Beklagten nicht substantiiert bestritten worden.
Schließlich ist der Beklagte auch verpflichtet, die dem Kläger durch die Einschaltung dieses Gutachtens entstandenen Kosten zu erstatten. Der Schädiger hat Kosten von Sachverständigengutachten zu ersetzen, soweit diese zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sind. Eine Ersatzpflicht besteht in der Regel auch dann, wenn das Gutachten ungeeignet ist oder seine Kosten übersetzt sind. Auch bei Kfz-Unfällen darf der Geschädigte -von Bagatellschäden bis 700,00 € abgesehen- einen Sachverständigen hinzuziehen (vergleiche dazu Palandt, aaO, § 249 BGB, Randnote 58 mit weiteren Nachweisen).
Die eingereichten und unstreitig authentischen Fotos der Schäden an dem Fahrzeug des Klägers zeigen, dass die Stoßstange an dem Fahrzeug des Klägers gebrochen ist und Teile herausgebrochen sind (Fotos Blatt 24 und 25 der Akte). Der Kläger konnte als Laie nicht beurteilen, ob nur die Stoßstange in Mitleidenschaft gezogen war oder durch den Anstoß möglicherweise auch weitere nicht sichtbare Teile an seinem Pkw beschädigt worden waren. Unter diesen Umständen und im Hinblick hierauf war der Kläger berechtigt, ein Sachverständigengutachten einzuholen und nicht verpflichtet, lediglich einen Kostenvoranschlag erstellen zu lassen.
Eine Ersatzpflicht des Schädigers im Hinblick auf die durch ein derartiges Gutachten entstehenden Kosten besteht grundsätzlich auch, wenn dessen Kosten teilweise und nicht offensichtlich deutlich übersetzt sind (vergleiche dazu Palandt, aaO, § 249 BGB, Randnote 58 mit weiteren Nachweisen). Die Frage, ob die von dem Beklagten beanstandete und in der Sachverständigenrechnung enthaltene Pauschale für Porto/Telefon/Schreibkosten in Höhe von 50,00 € zuzüglich Mehrwertsteuer angemessen ist, kann deshalb dahingestellt bleiben. Es konnte dem Kläger nicht zugemutet werden, im Hinblick hierauf einen Teil der Sachverständigenrechnung nicht zu bezahlen und es auf eine Auseinandersetzung mit dem Gutachter ankommen zu lassen.
Aus der Höhe des Gesamtschadens von 1.147,45 € ergibt sich auf der Grundlage einer 1,3fachen Gebühr gemäß § 13 RVG 2300 VV die Höhe der von dem Kläger ersetzt verlangten vorgerichtlichen Anwaltskosten von insgesamt 155,20 €, auf die vorgerichtlich 120,67 € gezahlt worden sind, sodass noch ein offenstehender Betrag in Höhe von 34,62 € verbleibt.
Die Entscheidung über die Zinsen folgt aus §§ 286, 288 BGB.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreites folgt aus § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr, 11, 713 ZPO.
So richtig ich das Urteil grundsätzlich bzgl. der Wertminderung finde, kann ich nicht verstehen wie ein SV 83,- Euro Wertminderung ermitteln kann.
Welcher potentielle Käufer handelt denn den Kaufpreis um 83,- Euro herunter? Wird er nicht eher eine gerade Summe abziehen wollen?
Und dann heißt es noch: nachvollziehbare Berechnung.
Mich schüttelts…
Viele Grüße
Andreas
Hallo Andreas,
ich glaube, dass der Sachverständige dieses Rechtsstreites eine mathematische Berechnungsmethode angestellt hat, um den Minderwert zu berechnen. Ich meine auch, dass einer gutachterlichen Feststellung mit glatten Beträgen der Vorzug zu geben ist.
Alle Berechnungsmethoden zum Minderwert sind auf ihre Art nachvollziehbar. Leider kommen alle zu anderen Ergebnissen, was zu denken gibt. Deshalb ist einer sachverständigen Feststellung immer der Vorzug zu geben.
Mit freundlichen Grüßen
Willi
@Dipl.-Ing. Andreas Hoppe
Mittwoch, 18.04.2012 um 17:09
So richtig ich das Urteil grundsätzlich bzgl. der Wertminderung finde, kann ich nicht verstehen wie ein SV 83,- Euro Wertminderung ermitteln kann.
Sehr geehrter Herr Kollege Hoppe,
Ihre Empfindung kann ich nachvollziehen und mich schüttelts dann auch.
Der Unfallschaden war unzweifelhaft offenbarungspflichtig, wobei damit nicht generell auch ein Merkantiler Minderwert verifiziert werden kann.
Bei einem Wiederbeschaffungswert von 8.300,00 € würde ein Minderwert von 83,00 € bedeuten, dass das vollständig ausreparierte Unfallfahrzeug dann für 8.217,00 € (!)gleichermaßen wieder problemlos veräußerbar sein müsste, wie ein ansonsten unfallfreies Vergleichsfahrzeug.
Ich bezweifle, dass sich einsolches Verhalten von Teilnehmern am Gebrauchtwagenmarkt verifizieren lässt und darauf deutet schon der Umstand hin, dass hier der Merkantile Minderwert „vorgebend“ mit 1% vom Fahrzeuwert als massgebliche Bezugsgröße berechnet worden ist. Das Beispiel zeigt mal wieder deutlich die Unsinnigkeit von schematisierten Berechnungsmethoden jedweder Art.
Unter Berücksichtigung des Fahrzeugalters und der Laufleistung hätte ich hier nicht mehr die Möglichkeit eines merkantilen Minderwerts in Betracht gezogen unter Einbeziehung der relativen Schadengeringfügigkeit einerseits und der hierzu berücksichtigten Reparaturmaßnahmen andererseits,wobei nach meinen Praxiserfahrungen Minderwerte unter 3% des Objektwertes -abgesehen von Ausnahmen- irrelevant sind.
Aber an diesem Beispiel sieht man wieder einmal deutlich, wie extrem Einschätzungen und tragfähige Begründungen voneinander abweichen können. Offensichtlich sind eine Reihe beurteilungsrelevanter Randbedingungen hierzu nach wie vor noch immer unbekannt und es wäre m.E. deshalb ein Leichtes gewesen, einer solchen Berechung mit einer tragfähigen Begründung erfolgreich entgegen zu treten.
Mit freundlichen Grüßen
aus Bochum & Tangendorf
Dipl.-Ing. Harald Rasche