Hallo verehrte Captain-Huk-Leser,
nachfolgend gebe ich Euch ein interessantes Berufungsurteil des Landgerichtes Mönchengladbach bekannt. Es geht um die Schadensabrechnung bei einem Fiktivabrechner. Die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung meinte, entgegen § 249 BGB bei der fiktiven Schadensabrechnung nicht nur die Umsatzsteuer, sondern auch die Lohnnebenkosten und Sozialabgaben abziehen zu müssen. Dem ist die Berufungskammer des LG Mönchengladbach unter Hinweis auf den Wortlaut des § 249 BGB entschieden entgegen getreten. Gleichwohl hat die Kammer die Revision zugelassen, damit die umstrittene Frage höchstrichterlich durch den Senat beim BGH geklärt würde. Auf die angebotene Revision des Landgerichts hat die WWK dann aber verzichtet. Das Urteil ist die Antwort auf Kürzungsschreiben der WWK (siehe CH vom 17.11.2011). Lest das Urteil selbst und gebt bitte Eure Kommentare ab.
Viele Grüße
Willi Wacker
5 S 62/12 Verkündet am 22. Januar 2013
5 C 149/12
AG Mönchengladbach
Landgericht Mönchengladbach
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
des Herrn …
Berufungskläger und Kläger,
gegen
die W W K Allgemeine Versicherung AG, vertreten durch den Vorstand, dieser durch den Vorsitzenden Herrn Jürgen Schrameier, Marsstraße 37, 80335 München,
Berufungsbeklagte und Beklagte,
hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach auf die mündliche Verhandlung vom 11. Dezember 2012 durch den Vizepräsidenten des Landgerichts … , die Richterin am Landgericht … und den Richter …
für R e c h t erkannt:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 5. Juli 2012 (5 C 149/12) a b g e ä n d e r t und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 160,05 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20! Februar 2012 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
I.
Der Kläger hat mit der vorliegenden Klage restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfallereignis vom 5. Februar 2012 beim Amtsgericht geltend gemacht. Die grundsätzliche Haftung des Versicherungsnehmers der Beklagten für das Verkehrsunfallereignis ist zwischen den Parteien außer Streit.
Für die Reparatur der durch das Unfallereignis entstandenen Schäden am Fahrzeug des Klägers ist ein Betrag von insgesamt 2.671,80 € netto erforderlich. Die Beklagte erstattete diese Reparaturkosten vorprozessual gekürzt um einen Betrag von 160,65 € mit der Begründung, dass in den Reparaturkosten Arbeitslohn enthalten sei, von dem Sozialabgaben und Lohnnebenkosten abzuführen wären, die bei einer fiktiven Schadensabrechnuhg nicht anfallen würden.
Der Kläger ist der Meinung gewesen, dass dieser Abzug unter Hinweis auf die von ihm zitierte Rechtsprechung nicht gerechtfertigt sei.
Er hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 160,05 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20. Februar 2012 zu zahlen.
die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung des Klägers unter Bezugnahme auf anderslautende Entscheidungen entgegengetreten.
Das Amtsgericht hat sich mit dem angefochtenen Urteil der Meinung der Beklagten angeschlossen und die Klage abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die zugelassene Berufung des Klägers.
Er beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 5. Juli 2012 die Beklagte zu verurteilen, an ihn 160,05 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20. Februar 2012 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Beide Parteien haben ihre erstinstanzlich geäußerte Rechtsauffassungen im Berufungsverfahren wiederholt.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers hat auch in der Sache Erfolg.
Der Kläger kann gemäß den §§ 7, 17, StVG, § 115 VVG, § 249 Abs. 2 S. 1 BGB restlichen Schadensersatz aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall in Höhe von 160,05 € verlangen.
Die Frage, ob bei der fiktiven Reparatur-Kostenabrechnung durch den Geschädigten ein Abzug für nicht angefallene Sozialabgaben und Lohnkosten gerechtfertigt ist, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
Während sich die Mehrzahl der Kommentierungen zum BGB und mehrere Amtsgerichte gegen einen solchen Abzug aussprechen (vgl. Urteil AG Worms vom 5.01.2012, Az: 2 C 399/11, Urteil AG Bad Cannstatt, Urteil vom 2.05.2012, Az: 2 C 79/12, Aufsatz des Vorsitzenden Richters am Landgericht a.D. Clos aus München in r + s 2011, Seite 277), wird in der Rechtsprechung auch der Standpunkt vertreten, dass es sich bei den Lohnnebenkosten und Sozialabgeben um sog. durchlaufende Posten handele, die im Falle der fiktiven Schadensabrechnung nicht ersatzfähig seien (vgl. Urteil AG Essen-Borbeck vom 13.2.2012, Az: 14 C 342/11, Urteil AG München vom 5.3.2012, Az: 335 C 562/12, Urteil AG Gummersbach vom 15.5.2012, Az: 11 C 49/12).
Nach der gesetzlichen Bestimmung in § 249 Abs. 2 S. 2 BGB sind bei der fiktiven Schadensabrechnung nur die Umsatzsteuer aus dem kalkulierten Wiederherstellungsbetrag herauszurechnen, nicht jedoch weitere Abgaben und Steuern. Der Wortlaut der Vorschrift ist eindeutig. Diesem formalen Standpunkt ist im Hinblick auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 249 Absatz 2 Satz 2 BGB nach Auffassung der Kammer der Vorzug zu geben. Eine erweiternde Auslegung verbietet sich im Hinblick auf die Begründung des Referentenentwurfes zur Einführung des neuen § 249 Abs. 2 BGB, wonach die Möglichkeit verworfen wurde, nicht nur die Umsatzsteuer sondern alle öffentlichen Abgaben, die durchlaufende Posten darstellen, mit einer Neuregelung zu erfassen. Der Gesetzgeber hat sich sodann darauf beschränkt, dass nur die Umsatzsteuer als der größte Faktor der durchlaufenden Posten bei dem Geschädigten verbleiben soll, wenn er tatsächlich zur Schadensbeseitigung angefallen ist. Zwar hat der Gesetzgeber in den oben genannten Gesetzesmaterialien eine Weiterentwicklung des Schadensrechts nicht ausgeschlossen und sogar ausdrücklich angeregt. Eine obergerichtliche Rechtsprechung zu der Frage, ob ein Abschlag für nicht angefallene Sozialabgaben und Lohnnebenkosten vorzunehmen ist, ist jedoch noch nicht existent.
Die zuerkannten Zinsen rechtfertigen sich aus dem Gesichtspunkt des Verzuges.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.
Gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO hat die Kammer die Revision zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich ist.
Der Streitwert für die Berufung beträgt 160,05 €.
Siehe hierzu auch Captain HUK Beitrag vom 17.11.2011
@ Willi Wacker,
da sieht man’s wieder deutlich.
Gibt man der Versicherungswirtschaft den kleinen Finger (249 BGB Abs. 2), so reißt sie einem den ganzen Arm raus. Die ganze Hand reicht wohl schon lange nicht mehr.
Wo sollte denn das hinführen? Wie sollte den ein SV noch eine Kalkulation erstellen, wenn jetzt – wunschgemäß der Versicherungswirtschaft – auch noch Lohnnebenkosten abzugsfähig sein sollten?
Welche Stundenverrechnungssätzte sollen künftig berücksichtigt werden? Stundensatz des Autohauses abzüglich pauschaler X-Prozent Lohnnebenkosten?
Erstinstanzlich ist man offensichtlich auf diesen Unfug bereits reingefallen. Warten wir mal ab was da noch so vom LG Saarbrücken für eine Farce hinterher kommt.
Grüße aus dem Wilden Süden
Gottlob Häberle
Vielleicht trägt das Urteil ja schon Früchte. Nachdem ich den VN der WWK wegen der gekürzten Lohnnebenkosten vor dem AG Köln verklagt hatte, wurden dieser Tage die gekürzten Lohnnebenkosten (nach Zustellung der Anspruchsbegründung) gezahlt.
Hallo Leute,
demnächst werden von den Versicherern bei fiktiver Schadensabrechnung neben den UPE-Aufschlägen und den Verbringungskosten auch noch die kalkulierten Reparaturkosten in Abzug gebracht, denn bei abstrakter Abrechnung fallen die sämtlich nicht an. Was sich die WWK dabei gedacht hat, bleibt wohl ihr eigenes Geheimnis. Oder geht es der Versicherung der Witwen und Waisen so schlecht?
Offensichtlich hat die Clearing-Stelle des GDV der WWK von der Revision abgeraten, damit nicht ein negatives BGH-Urteil im Raume steht? So kann man weiterhin die Lohnnebenkosten und Sozialabgaben bei fiktiver Abrechnung kürzen, da es ja bekanntlich keine einheitliche Rechtsprechung gibt. Vielmehr können nach wie vor die positiven Urteile, die auch im Prozessstoff vorgetragen wurden, angeführt werden.
Die WWK hat offenbar immer noch nicht gemerkt, dass fiktiv das abgerechnet werden kann, was auch konkret berechnet wird, selbstverständlich gem. § 249 II BGB ohne USt. Was konkret, das auch fiktiv.
Das Argument, dass bei fiktiver Abrechnung nur das berücksichtigt werden kann, was auch tatsächlich anfällt, ist eine Milchmädchenrechnung. Keiner wird ernsthaft behaupten, dass die fiktiven Rep-Kosten, die der SV kalkuliert hat, nicht abgerechnet werden können, da sie ja nicht anfallen. Deshalb sind auch andere Schadenspositionen, die bei konkreter Wiederherstellung anfallen, auch fiktiv zu berücksichtigen.
In meinen Augen war die Argumentation der WWK nur peinlich für eine Versicherung. Aber was macht man nicht alles für die Aktionäre und deren Gewinnstreben.
Armes Deutschland
noch einen schönen Tag.
Der Spuk dürfte jetzt wohl zu Ende sein, nachdem der BGH mit Urteilen vom 19.02.2013 – VI ZR 69/12 und VI ZR 401/12 entsprechend der Gesetzesbegründung entschieden hat.
Und im VI ZR 401/12 wird Generelles zu „angefallen“ und „nicht angefallen“ gesagt, Rdnr. 9
In der Begründung unter der Geschäftsnummer VI ZR 401/12 führt der BGH dazu aus:
„Soweit der Gesetzgeber nunmehr durch das Zweite Schadensrechtsänderungsgesetz in § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB die Erstattung nicht angefallener Umsatzsteuer bei fiktiver Schadensabrechnung ausdrücklich vom Schadensersatzanspruch ausgenommen hat, hat er hiermit lediglich einen – systemwidrigen – Ausnahmetatbestand geschaffen, der nicht analogiefähig ist (vgl. Palandt/ Grüneberg, BGB, 72. Aufl., § 249 Rn. 14; Prütting/Wegen/Weinreich/Medicus, BGB, 7. Aufl., § 249 Rn. 29; MünchKomm-BGB/Oetker, 6. Aufl., § 249 Rn. 459;Beck-OK-BGB/Schubert, Stand: 03/2011, § 249 Rn. 226 f.; AG Worms, Urteil vom 5. Januar 2012 – 2 C 399/11; AG Stuttgart – Bad Cannstatt, Urteil vom 2. Mai 2012 – 2 C 79/12; AG Bielefeld, Urteil vom 29. Mai 2012 – 402 C 124/12; AG St. Goar, Urteil vom 16. September 2011 – 33 C 406/11, juris Rn. 9; a.A . Clos, r+s 2011, 277 ff. mwN).“
Wenn der Gesetzgeber „systemwidrige“ Änderungen im Schadensersatzrecht vornimmt, stellt sich natürlich die Frage nach dem Hintergrund hierfür. Mit Sicherheit gab es für diesen Gesetzentwurf „Ghostwriter“ aus interessierten Kreisen.
Wer kann eigentlich so viel essen ……