Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,
nachdem wir Euch Ende letzter Woche hier ein Berufungsurteil des LG Neubrandenburg bekannt gegeben hatten, stellen wir Euch zu Beginn dieser Woche ein weiteres Urteil der Berufungskammer des LG Neubrandenburg hier vor. In diesem Rechtsstreit musste erneut aus abgetretenem Recht wegen gekürzter Sachverständigenkosten gegen die HUK-COBURG gerichtlich vorgegangen werden. Die Berufungskammer hat dann im Ergebnis richtig die HUK-COBURG Allgemeine Versicherungs AG zur Zahlung verurteilt, aber in der Begründung mit BVSK argumentiert, obwohl nach höchstrichterlicher Rechtsprechung der Geschädigte die Ergebnisse der BVSK-Umfrage nicht kennen muss (BGH VI ZR 225/13 – = BGH NJW 2014, 1947 = DS 2014, 90). Im Übrigen nimmt die Berufungskammer eine Einzelpositionenüberprüfung nach § 287 ZPO vor, obwohl § 287 ZPO eine Schadenshöhenschätzung darstellt. Lediglich der Gesamtbetrag der Rechnung ist von Bedeutung, wie das LG Hamburg zutreffend festgestellt hat. Lest selbst das Berufungsurteil aus Neubrandenburg und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab.
Viele Grüße und eine schöne Woche.
Willi Wacker
Aktenzeichen:
1 S 29/15
101 C 159/14 AG Neubrandenburg
Landgericht Neubrandenburg
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
…
– Kläger und Berufungskläger –
gegen
HUK-Coburg Allgemeine Versicherung AG, vertreten durch den Vorstand, dieser vertreten durch den Vorsitzenden Dr. Wolfgang Weiler, Lohmühlenweg 1, 18052 Rostock
– Beklagte und Berufungsbeklagte –
hat das Landgericht Neubrandenburg – 1. Zivilkammer – durch den Präsidenten des Landgerichts R., den Richter Dr. B. und die Richterin am Landgericht S.-N. am 27.01.2016 für Recht erkannt:
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Neubrandenburg vom 23.12.2014, Az. 101 C 159/14, abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 118,11 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.01.2014 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 118,11 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten um die Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten aus abgetretenem Recht. Die Beklagte ist nach einem Verkehrsunfall in vollem Umfang schadensersatzpflichtig. Die Geschädigte hatte ihren Erstattungsanspruch gegen die Beklagte bezüglich der Sachverständigenkosten an diesen, den Kläger, abgetreten. Die Beklagte hat die von dem Sachverständigen in Rechnung gestellten Kosten nicht vollständig ausgeglichen. Den Differenzbetrag macht der Sachverständige hier aus abgetretenem Recht gegenüber dem Versicherer geltend. Dieser hat inhaltliche Einwände gegen die Höhe der Abrechnung erhoben. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Beklagte berechtigt ist, inhaltliche Einwendungen gegen die Kostenrechnung, die sie gegenüber ihrer Versicherungsnehmerin hätte nicht geltend machen können, gegenüber dem Sachverständigen direkt zu erheben und ob die vom Sachverständigen in Rechnung gestellten Nebenkosten (Fahrt-, Schreib-, Kopier- und Fotokosten) in voller Höhe gerechtfertigt waren.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Beklagte könne die erhobenen Einwendungen auch gegenüber dem Kläger als Zessionar erheben. Diese seien auch der Sache nach gerechtfertigt, da die in Rechnung gestellten Nebenkosten tatsächlich überhöht seien.
Das Amtsgericht hat die Berufung zugelassen. Mit der Berufung verlangt der Kläger 118,11 €. Er trägt vor, dass die in der ersten Instanz abgewiesenen Nebenkosten tatsächlich entstanden und für die Fertigung des Gutachtens notwendig gewesen seien. Zudem bewegten sie sich sämtlich im Rahmen der BVSK Honorarbefragung.
Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Berufung und behauptet, die entstandenen Fahrtkosten seien nicht notwendig gewesen, Schreibarbeiten seien unter Berücksichtigung der EDV-ge-stützten Herstellung des Gutachtens nicht angefallen, die Kopier- und Fotokosten seien überhöht.
II.
1. Die Berufung ist zulässig, gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO und auch in der Sache begründet.
2. Die von der Beklagten erhobenen Einwendungen sind hier grundsätzlich auch gegen den Kläger als Zessionar eröffnet. Die Kammer schließt sich insoweit den zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts an.
§ 404 BGB besagt, dass der Schuldner dem neuen Gläubiger die Einwendungen entgegenhalten kann, die er auch dem alten gegenüber hatte. Die Vorschrift besagt aber nicht, dass er nur diese Einwendungen erheben kann. Der Wortlaut spricht also schon gegen eine Beschränkung. In der Kommentarliteratur besteht auch Einigkeit, dass über die mangelnde Rechtsinhaberschaft hinaus dem Schuldner uneingeschränkt alle anderen Einwendungen offen stehen, die in der Person des Zessionars begründet sind (MüKo/Roth BGB, 6. Auflage, § 404 Rn. 16; Staudinger/Busche, BGB, Neubearbeitung 2005, § 404 Rn. 4; Erman/Westermann, BGB, 11. Auflage, § 404 Rn. 7). Es gibt auch diverse obergerichtliche Entscheidungen, die in diese Richtung gehen (BGH, Urteil vom 04.07.2002, IX ZR 97/99; BGH NJW 2002, 1859). Entscheidendes Argument ist, dass § 404 BGB in erster Linie den Schutz des Schuldners bezweckt, nicht aber seine Verteidigungsmöglichkeiten beschränken soll (Erman/Westermann, a.a.O, § 404 Rn. 7; OLG Köln, Urteil vom 18.02.1987,13 U 170/86, zitiert nach juris Rn. 9).
3. Die Einwendungen der Beklagten sind jedoch in der Sache nicht gerechtfertigt. Fest steht und wird auch von keiner der Parteien bezweifelt, dass der Geschädigten dem Grunde nach ein Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz der Kosten des eingeholten Sachverständigengutachtens zustand, der durch die Abtretung auf den Kläger übergegangen ist. Denn diese Kosten gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruches erforderlich und zweckmäßig ist.
a. Der Geschädigte kann jedoch vom Schädiger nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Er ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Allerdings ist bei der Beurteilung, welcher Herstellungsaufwand erforderlich ist, auch Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (sogenannte subjektbezogene Schadensbetrachtung). Auch ist der Geschädigte grundsätzlich nicht zu einer Erforschung des ihm zugänglichen Markts verpflichtet, um einen möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen (BGH, Urteil vom 22.07.2014, VI ZR 357/13, zitiert nach juris Rn. 15).
Seiner ihn im Rahmen des § 249 BGB treffenden Darlegungslast genügt der Geschädigte regelmäßig durch Vorlage der Rechnung des mit der Begutachtung seines Fahrzeugs beauftragten Sachverständigen. Diese Rechnung bildet bei der nach § 287 ZPO gebotenen Schadensschätzung ein Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Betrages im Sinne von § 249 Abs. 2 S. 1 BGB (BGH, a.a.O., zitiert nach juris Rn. 16).
Allerdings ist der tatsächlich in Rechnung gestellte Betrag nicht mit dem zu ersetzenden Schaden identisch. Liegen die von dem Sachverständigen berechneten Preise für den Geschädigten erkennbar erheblich über den üblichen Preisen, so sind sie nicht geeignet, den erforderlichen Aufwand abzubilden. Bei der Bemessung der Schadenshöhe hat der Tatrichter allerdings zu beachten, dass der Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO tragfähige Anknüpfungspunkte zugrunde liegen müssen. Die Schätzung darf nicht völlig abstrakt erfolgen, sondern muss dem jeweiligen Einzelfall Rechnung tragen (BGH, a.a.O., zitiert nach juris Rn. 17).
b. Die von dem Kläger hier in Rechnung gestellten Nebenkosten bewegen sich sämtlich im Rahmen der BVSK Honorarbefragung 2013 (Blatt 38 a GA). Dies ist jedenfalls ein starkes Indiz dafür, dass die geltend gemachten Forderungen sich im Rahmen des Üblichen halten.
Die BVSK-Honorarbefragung 2013, auf die sich der Kläger bezieht, wurde zwischen März und Juni 2013 an 840 Standorten der BVSK- Mitglieder durchgeführt. Die Teilnehmerzahl entsprach einer Quote von über 95 % der Mitglieder des BVSK (Quelle: Vorwort der Honorarbefragung 2013). Damit wird man ihr die grundsätzliche Eignung, die Angemessenheit bzw. Üblichkeit einzelner Honorarforderungen einzuschätzen, wohl kaum absprechen können, auch wenn sie keine rechtliche Verbindlichkeit wie eine Gebührenordnung oder ein qualifizierter Mietspiegel für sich in Anspruch nehmen kann.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich aus der bereits zitierten BGH-Entscheidung vom 22.07.2014 nichs anderes. Der BGH hat darin nicht gesagt, dass die BVSK Honorarbefragung grundsätzlich ungeeignet sei, die angemessenen Beträge zu ermitteln. Er hat lediglich ausgeführt, dass das Berufungsgericht in jenem Fall das Ergebnis dieser Befragung in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise nicht als geeignete Schätzgrundlage für die Nebenkosten angesehen habe. Dem ist folglich nur zu entnehmen, dass die bloße Feststellung, dass sich Nebenkosten im Rahmen dieser Befragung bewegen, allein nicht ausreicht, ihre Ersatzfähigkeit anzunehmen, sondern dass es der bereits erwähnten tragfähigen Anknüpfungspunkte für die Vornahme der Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO bedarf.
c. Bezogen auf die hier streitigen Einzelpositionen ist hierzu folgendes auszuführen:
Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung der entstandenen Fahrtkosten zum Begutachtungstermin. Aus dem Gutachten ergibt sich, dass das verunfallte Fahrzeug sich zum Begutachtungszeitpunkt in der Werkstatt in Woldegk befand. Der Kläger hat jedoch seinen Sitz in Pragsdorf. Kosten sind insofern tatsächlich entstanden.
Dem Sachverständigen obliegt die Entscheidung darüber, wo er das geschädigte Fahrzeug unter Berücksichtigung aller sich aus dem Auftrag ergebenden Aufgabenstellungen begutachtet. Anhaltspunkte dafür, dass die Entscheidung des Klägers, das hier in Rede stehende Fahrzeug in der Werkstatt in Woldegk unter Ausnutzung der dort vorhandenen Einrichtungen zu begutachten, unwirtschaftlich war, liegen nicht vor.
Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass die abgerechneten Fahrtkosten tatsächlich entstanden sind. Dies ergibt sich nämlich aus dem Gutachten selbst. Die tatsächlich abgerechneten Kosten bewegen sich im Rahmen der BVSK Honorarbefragung, die einen Korridor zwischen 0,92 € und 1,16 € pro Kilometer ausweist. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der vom Kläger angesetzte Betrag in der hiesigen Region außergewöhnlich hoch erscheint, liegen nicht vor.
Hinsichtlich der Fotokosten ist ebenfalls die Schätzung nach § 287 ZPO eröffnet. Es geht um die Schadenshöhe. Durch die Angabe zur Anzahl der gefertigten Fotos gibt es auch eine tatsächliche Anknüpfungstatsache für die Schätzung. Es ist jedenfalls ein Indiz für die vollständige Erstattungsfähigkeit, dass die von dem Kläger angesetzten Kosten sich im Rahmen der BVSK Honorarbefragung bewegen. Zwar sind die Erwägungen der Beklagten, dass Ausdrucke von Digitalfotos kostengünstiger herstellbar sind, nicht von der Hand zu weisen; allerdings ist ein Sachverständiger nicht verpflichtet, die für das Gutachten erforderliche Bilddokumentation als „Billigproduktion1′ herzustellen. Hinsichtlich der Schreibkosten gelten dieselben Erwägungen. Hat der Sachverständige einen entsprechenden Auftrag erhalten, so ist das Gutachten in Schriftform herzustellen. Hierfür entstehen Kosten, unabhängig davon, welcher technischen Hilfsmittel der Sachverständige sich hierfür bedient. Gerichtlich beauftragte Sachverständige erhalten Schreibauslagen auch grundsätzlich ersetzt. Das bedeutet, dass Schreibkosten üblicherweise nicht automatisch von dem Grundhonorar umfasst sind. Dies gilt auch für die Kopierkosten.
III.
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
2. Anlass für die Zulassung der Revision besteht nicht. Weder hat die Sache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichtes, § 543 ZPO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruhtauf §§ 47, 48 GKG.
. R. Dr. B. S.-N.
. Präsident Richter Richterin
des Landgerichts am Landgericht
Verkündet am 27.01.2016
Hallo, Willi,
die zeitlich unmittelbare Abfolge von 2 vollständig ausgestalteten Berufungungsurteilen ist ebenso bemerkenswert, wie die davon betroffene gleiche Abteilung des AG Neubrandenburg. Wenn man bösgläubig wäre, könnte man darüber spekulieren, ob damit die Praktikabilität der BVSK-Befragung als eine Art von Gebührenordnung unterfüttert werden sollte, was man sogar dann nicht ins Bereich der Fabel schieben könnte, wenn man die Kommentare zu der ersten Entscheidung richtig liest und versteht.
Gregor