Mit Entscheidung vom 31.01.2006 (7 C 420/05) wurde die eintrittspflichtige Versicherung durch das Amtsgericht Halle zur Zahlung weiterer Reparaturkosten verurteilt. Umfang der Klage war die Erstattung der Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt im Rahmen der fiktiven Abrechnung. Zwar schon eine etwas ältere Entscheidung, aber inhaltlich immer noch aktuell.
Aus den Gründen:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 284,47 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über Basiszins ab 20.08.2005 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger verlangt restlichen Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls vom 16.07.2005 in Steinhagen. Für die Unfallschäden des Klägers ist die Beklagte als Haftpflichtversicherung des Unfallgegners in vollem Umfange dem Grunde nach eintrittspflichtig.
Bei dem Unfall wurde der Pkw des Klägers am Kotflügel vorne rechts, den beiden rechten Türen und der Seitenwand hinten rechts sowie an der Vorder- und Hinterachse rechtsseitig beschädigt. Bei dem Pkw des Klägers handelt es sich um einen VW Passat Kombi TDI Comfort-Line, Erstzulassung Juli 1998 mit einer Laufleistung von 277.579 Kilometer zum Unfallzeitpunkt. Der Kläger ist als dritter Halter dieses Fahrzeugs eingetragen.
Der vom Kläger beauftragte Sachverständige … schätzte in seinem Gutachten vom 19.07.2005 (Blatt 6 ff. d.A.) die Reparaturkosten auf netto 1.791,17 €. Diesen Betrag machte der Kläger mit Anwaltschreiben vom 02.08.2005 gegenüber der Beklagten geltend. Die Beklagte regulierte am 24.08.2005 lediglich Reparaturkosten in Höhe von 1.506,70 €. Die Differenz ist die Klageforderung. Die Beklagte wies den Kläger im Schreiben vom 24.08.2005 darauf hin, dass er bei einer Firma … in Bielefeld den Unfallschaden für netto 1.506,70 € vollständig und fachgerecht reparieren lassen könne.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 284,47 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über Basiszins ab 20.08.2005 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bestreitet, dass der Sachverständige … in seinem Gutachten wie von ihm angegeben für die Lohnkosten ein mittleres ortsübliches Lohnniveau zugrunde gelegt habe. Sie verweist insoweit auf die niedrigeren Stundenverrechnungssätze der Firmen K. in Bielefeld, S. in Melle, K. und S. in Gütersloh.
Die Beklagte meint, bei fiktiver Abrechnung des Schadens müsse sich der Kläger auf die ihm mit Schreiben vom 24.08.2005 von der Beklagten aufgezeigte günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit verweisen lassen, weil sie ihm mühelos zugänglich gewesen sei.
Der Kläger ist demgegenüber der Auffassung, er sei berechtigt, nicht nur wie vom Sachverständigen … vorgenommen, auf dem mittleren ortsüblichen Lohnniveau aller Werkstätten fiktiv abzurechnen, sondern dürfe sogar die fiktiven Kosten eines VW-Händlers zugrunde legen. Die Lohnkosten einer VW-Vertragswerkstatt lägen in Bielefeld zwischen 77,95 € bei der Firma … und 88,- € bei der Firma … . Der Mittelwert der Stundenverrechnungssätze aller repräsentativen Marken und freien Fachwerkstätten in der Region Bielefeld für Karosseriearbeiten liege nach der DEKRA-Erhebung aktuell bei 77,50 €. Letzteres ist von der Beklagten nicht mehr bestritten worden.
Der Kläger behauptet, die Firma K. in Bielefeld, auf deren Dienste ihn die Beklagte verwiesen habe, biete Karosseriearbeiten zu 66,00 € pro Stunde und Lackierarbeiten zu 67,00 € pro Stunde allenfalls deshalb an, weil sie von der Versicherungswirtschaft dazu gedrängt werde. Als Geschädigter sei er nicht verpflichtet, sein Auto dort reparieren zu lassen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet gemäß § 7 StVG, 3 Pflichtversicherungsgesetz in Verbindung mit § 249 BGB.
Nach § 249 Abs. 1 BGB hat der Kläger Anspruch darauf, dass der Zustand wieder hergestellt wird, der bestehen würde, wenn es zum Unfall nicht gekommen wäre. Nach § 249 Abs. 2 Ziff. 1 BGB muß die Beklagte bei Beschädigung einer Sache den für die Wiederherstellung der Sache erforderlichen Geldbetrag zahlen,
Die vom Sachverständigen … zugrunde gelegten Lohnkosten für Karosserie- und Lackierarbeiten sind zur Wiederherstellung mindestens erforderlich. Der Sachverständige hat seinem Gutachten das mittlere ortsübliche Lohnniveau zugrunde gelegt. Dies ist von der Beklagten nicht in substantiierter Weise bestritten worden. Die Beklagte hat lediglich die Kosten von 3 besonders günstigen Reparaturfirmen aufgelistet und dem Kläger nicht einmal den Mittelwert aus den Reparaturkosten dieser 3 Firmen erstattet, sondern auch noch die mit Abstand billigste Firma K. herausgesucht und deren besonders niedrige Kosten bei der Berechnung der gezahlten Entschädigung zugrunde gelegt. Den Hinweis des Klägers im Schriftsatz vom 04.01.2006, dort Seite 2 Mitte, dass die 84 DEKRA-Niederlassungen und 114 Außenstellen die repräsentativen markengebundenen und markenungebundenen Fachwerkstätten der Region zu ihren Stundenverrechnungssätzen befragt habe und der Mittelwert der Stundenverrechnungssätze in der Region Bielefeld derzeit bei 77,50 € für Karosseriearbeiten liege, hat die Beklagte nicht bestritten. Dieses Vorbringen des Klägers gilt mithin als zugestanden. Die vom Sachverständigen … für die Karosseriearbeiten zugrunde gelegten Verrechnungssätze von 74,44 € pro Stunde liegen noch unter den vom DEKRA ermittelten Stundenverrechnungssätzen von 77,50 € für Karosseriearbeiten. Gegen das Gebot wirtschaftlichen Verhaltens kann der Kläger insoweit nicht verstoßen haben.
Unsubstantiiert ist das Vorbringen der Beklagten im Hinblick auf die Höhe der Lackierungsarbeiten. Der Sachverständige … hat die anfallenden Reparaturkosten auf 95,00 € pro Stunden inklusive Material geschätzt. Die Beklagte trägt dazu vor, die von ihr aufgeführten Firmen K., S. und S. nähmen die Lackierung für 67,00 €, 72,00 € bzw. 72,50 € vor. Die Beklagte trägt aber nicht dazu vor, ob in den Verrechnungssätzen dieser drei Firmen auch sämtliche Lackiermaterialien mitenthalten sind.
Der vom BGH entschiedene Porsche-Fall, Urteil vom 29.04.2003 – VI ZR 398/02, NJW 2003, Seite 2086, steht dem vom Kläger geltend gemachten Schadensersatzanspruch nicht entgegen. Der BGH hat dort die Lohnkosten eines Porsche-Zentrums als ersatzfähig angesehen. Der Kläger verlangt im vorliegenden Fall nicht einmal die Kosten eines VW-Fachhändlers sondern nur auf Grundlage des Sachverständigengutachtens L. fiktiven Ersatz auf der Grundlage des mittleren ortsüblichen Lohnniveaus aller Werkstätten. Weil der Kläger nicht einmal die Stundenverrechnungssätze der VW-Vertragswerkstätten beansprucht, kann ihm ein Verstoß gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht vorgehalten werden.
Keinesfalls erfordert das Gebot des wirtschaftlichen Verhaltens, dass der Geschädigte bei fiktiver Abrechnung seines Schadens nur die Lohnkosten zugrunde legen darf, die die billigste von der gegnerischen Versicherung herausgesuchte Werkstatt anbietet. Dies widerspräche dem Grundsatz der Dispositionsfreiheit, die dem Geschädigten zugute kommt. Nach § 249 Abs. 2 Ziff. 1 BGB hat der Geschädigte Anspruch auf Ersatz des erforderlichen Geldbetrages. Es bleibt der freien Entschließung des Geschädigten überlassen, ob und ggf. in welcher Weise er den entstandenen Schaden überhaupt reparieren läßt. Der Schädiger hat darauf keinen Einfluss zu nehmen.
Der Erwägung des BGH, am angegebenen Ort Seite 2087 oben, der Geschädigte, der mühelos eine ohne weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit hat, müsse sich auf diese verweisen lassen, kann, wenn sie im Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe betrachtet wird, keinesfalls entnommen werden, dass ein Geschädigter sich auf die ihm von der Haftpflichtversicherung des Gegners angezeigte Möglichkeit der Inanspruchnahme einer außerordentlich billigen Werkstatt verwiesen werden darf. In diesem Sinne hat der BGH den Porsche-Fall gerade nicht entschieden. Der BGH hat vielmehr dem Porsche-Halter, der sein Fahrzeug unrepariert weiter veräußerte, fiktiv die gesamten Reparaturkosten zugesprochen, die ihm bei Reparatur in einer Porsche-Fachwerkstatt entstanden wären. Ansprüche in vergleichbarer Höhe hat der Kläger im vorliegenden Fall gar nicht erhoben.
Der Zinsanspruch des Klägers ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des Verzuges.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Ziff. 11, 711 ZPO.
Hallo Hans Dampf,
bei den Urteilsgründen dieses Urteil muss man m.E. Vorsicht walten lassen. Heute in Ansehung der neueren Rechtsprechung des 6. Zivilsenates des BGH kann das Urteil nicht mehr 1 zu 1 übertragen werden. Gleichwohl sind einige Argumente des Gerichtes auch auf die neuere Rechtsprechung zu übernehmen. Trotzdem schön, dass Du das schon ergraute Urteil hier eingestellt hast.
Mit freundlichen Grüssen
Willi Wacker