Das Bundesverfassungsgericht hat unter dem AZ: 1 BvR 2682/03 am 26.05.2004 zur Nichtzulassung der Berufung betreffend Sachverständigenhonorars Stellung genommen

Angesichts dessen, dass nach wie vor das eine oder andere Amtsgericht abweichend vom jeweiligem Landgericht, Oberlandesgericht und mittlerweile  auch vom  BGH entscheidet, was mithin der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung entgegensteht, ist das nachfolgend aufgeführte  Beschwerdeurteil hervorragend geeignet, dem – durch  Zulassung der Berufung – entgegenzuwirken.

Ein Unfallgeschädigter verklagte den Versicherer auf Zahlung von 600,00 Euro Sachverständigenhonorar.  Der Sachverständige hatte sein Honorar  nach dem Gesamtschaden und nicht nach den aufgewandten Stunden berechnet. Das Amtsgericht war der Ansicht, dass die Rechnung deswegen nicht nachvollziehbar sei. Die Berufung gegen das Urteil hatte das Gericht sodann nicht zugelassen. Dagegen legte der Kläger am Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht gab dem Beschwerdeführer Recht und führt in der Urteilsbegründung aus:

„Das Urteil des Amtsgerichts München vom 10. Oktober 2003 – 344 C 21368/03 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit die Berufung nicht zugelassen worden ist. Es wird insoweit aufgehoben.

Mit der vom Amtsgericht im angegriffenen Beschluss erörterten sachlichen Unabhängigkeit des Gerichts (Art. 97 Abs. 1 GG) hat die Frage der Zulassung der Berufung nichts zu tun.

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT, 1 BvR 2682/03

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

des Herrn B.

gegen

a) den Beschluss des Amtsgerichts München vom 13. November 2003 – 344 C 21368/03 -,
b) das Urteil des Amtsgerichts München vom 10. Oktober 2003 – 344 C 21368/03 –

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch

die Richterin Jaeger
und die Richter Hömig,
Bryde

am 26. Mai 2004 einstimmig beschlossen:

Das Urteil des Amtsgerichts München vom 10. Oktober 2003 – 344 C 21368/03 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit die Berufung nicht zugelassen worden ist. Es wird insoweit aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Der Beschluss des Amtsgerichts München vom 13. November 2003 – 344 C 21368/03 – ist damit gegenstandslos.

Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die ihm im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 7.000 € (in Worten: siebentausend Euro) festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Nichtzulassung der Berufung in einem Zivilrechtsstreit.

1. Der Beschwerdeführer verklagte im Ausgangsverfahren als Geschädigter eines Verkehrsunfalls die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners auf Zahlung von Sachverständigenkosten in Höhe von knapp 600 €. Der Sachverständige hatte diese Kosten nach dem Gesamtschaden und nicht nach den aufgewandten Stunden berechnet. Das Amtsgericht wies in der mündlichen Verhandlung darauf hin, dass die Rechnung deswegen nicht nachvollziehbar sei.

Mit dem angegriffenen Urteil hat das Gericht die Klage abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Ein Sachverständiger habe die Höhe seines Honorars nach dem zeitlichen Aufwand auszurichten. Dies würde seine Rechnung nachprüfbar machen. Ein Geschädigter verstoße gegen seine Schadensminderungspflicht, wenn er nach dem Motto „das zahlt ja die Versicherung“ eine nicht nach dem Zeitaufwand aufgeschlüsselte Rechnung einfach bezahle.

Daraufhin hat der Beschwerdeführer wegen der Nichtzulassung der Berufung die Verfahrensrüge nach § 321 a ZPO erhoben. Die Berufung habe gemäß § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen werden müssen, da nicht nur mehrere andere Richter des gleichen Amtsgerichts, sondern auch das zuständige und ein anderes Berufungsgericht in der Sache die gegenteilige Rechtsansicht verträten und Abrechnungen von Sachverständigen in der streitgegenständlichen Art und Weise als ausreichend ansähen.

Das Amtsgericht hat die Verfahrensrüge mit dem weiter angegriffenen Beschluss zurückgewiesen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör sei nicht verletzt, weil das Gericht vor Ergehen des Urteils auf seine Rechtsauffassung hingewiesen habe. Im Übrigen sei die Berufung nur zuzulassen, wenn eine für den Rechtsstreit entscheidungserhebliche Rechtsfrage durch das Berufungsgericht noch nicht geklärt sei. Hier habe das Berufungsgericht aber schon in mehreren Fällen die Rechtsfrage entschieden. Das Amtsgericht sei insoweit anderer Auffassung. Eine rechtliche Bindung bestehe nicht. Ein Richter sei sachlich unabhängig und daher an Entscheidungen eines Landgerichts nicht gebunden. Ließe man stets die Berufung zu, würden die Vorschriften der Zivilprozessordnung umgangen werden, da für die Zulassung einer Berufung ein bestimmter Beschwerdewert erforderlich sei.

2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem die Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot. Der Amtsrichter habe aus unsachlichen Motiven die bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zwingende Berufungszulassung verweigert. Er habe die Berufungszulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht einmal in Betracht gezogen.

3. Die Äußerungsberechtigten haben von der Möglichkeit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die entscheidungserheblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind vom Bundesverfassungsgericht schon entschieden (vgl. BVerfGE 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13 f.>). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor.

1. Das angegriffene Urteil ist, soweit das Amtsgericht darin die Berufung nicht zugelassen hat, mit Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot nicht vereinbar.

a) Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes allein macht eine Gerichtsentscheidung allerdings nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in krasser Weise missdeutet wird. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich (vgl. BVerfGE 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13 f.>).

b) Nach diesem Maßstab steht die Nichtzulassung der Berufung im angegriffenen Urteil des Amtsgerichts mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht im Einklang.

Der Beschwerdeführer beantragte vor Erlass dieses Urteils, die Berufung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen (§ 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 ZPO). Das Amtsgericht hat bei seiner Entscheidung, dem nicht zu entsprechen, diesen Zulassungsgrund nicht erwähnt und ihn auch in dem weiter angegriffenen Beschluss nicht erörtert. Es hat in diesem Beschluss vielmehr ausgeführt, die Berufung sei beim Vorliegen eines berufungsunfähigen Urteils nur zuzulassen, wenn eine für den Rechtsstreit entscheidungserhebliche Rechtsfrage durch das Berufungsgericht noch nicht geklärt sei (vgl. § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO), und diese Voraussetzung für das Ausgangsverfahren mit der Begründung verneint, das Berufungsgericht habe die maßgebliche Rechtsfrage – wenn auch abweichend vom Amtsgericht – schon entschieden.

Damit wird der Zulassungsgrund des § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 ZPO übergangen. Dieser war im Ausgangsverfahren einschlägig. Danach ist die Berufung durch das Gericht des ersten Rechtszugs zuzulassen, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Damit soll ausweislich der Gesetzesmaterialien vermieden werden, dass im Zuständigkeitsbereich eines Berufungsgerichts schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen (vgl. BTDrucks 14/4722, S. 93 i.V.m. S. 104; vgl. auch Rimmelspacher, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, Aktualisierungsband ZPO-Reform 2002, 2. Aufl. 2002, § 511 Rn. 73). Von solchen Unterschieden ist bei Abweichung von der Entscheidung eines höherrangigen Gerichts in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage nach überwiegender Auffassung auszugehen, wenn die Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung ist, weil sie in einer Mehrzahl von Fällen auftreten kann (vgl. BTDrucks 14/4722, S. 93; Rimmelspacher, a.a.O., § 511 Rn. 74 ff. i.V.m. Rn. 68; enger, soweit ersichtlich nur, Reichold, in: Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung, 25. Aufl. 2003, § 511 Rn. 21: nur bei Abweichung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs oder eines Oberlandesgerichts).

Hier hat das Amtsgericht mit der Frage nach den Anforderungen an die Aufschlüsselung einer Kraftfahrzeugsachverständigenrechnung eine Rechtsfrage entschieden, die eine Vielzahl von Verkehrsunfallsachen betrifft und äußerst umstritten sowie höchstrichterlich offensichtlich noch nicht geklärt ist (vgl. dazu Heinrichs, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 63. Aufl. 2004, § 315 Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist es von der ihm erklärtermaßen bekannten Rechtsprechung des zuständigen Berufungsgerichts abgewichen. Indem es die Berufung nicht zugelassen hat, hat es damit eine Sicherung der Rechtseinheitlichkeit im Zuständigkeitsbereich dieses Berufungsgerichts vereitelt.

Mit der vom Amtsgericht im angegriffenen Beschluss erörterten sachlichen Unabhängigkeit des Gerichts (Art. 97 Abs. 1 GG) hat die Frage der Zulassung der Berufung nichts zu tun. Der Amtsrichter war unbeschadet der Pflicht, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 ZPO die Berufung zuzulassen („lässt … zu“; vgl. auch Rimmelspacher, a.a.O., § 511 Rn. 79; Albers, in: Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 62. Aufl. 2004, § 511 Rn. 25) nicht gehindert, von der Rechtsauffassung des übergeordneten Berufungsgerichts inhaltlich abzuweichen.

2. Da die Nichtzulassung der Berufung durch das Amtsgericht auf dem festgestellten Verfassungsverstoß beruht, ist das angegriffene Urteil insoweit gemäß § 93 c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Der ebenfalls angegriffene Beschluss des Gerichts wird damit gegenstandslos.

III.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG, die Festsetzung des Werts des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO (vgl. dazu auch BVerfGE 79, 365).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).

Jaeger                                    Hömig                                     Bryde

Urteilsliste “SV-Honorar” zum Download >>>>>

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Eine Antwort zu Das Bundesverfassungsgericht hat unter dem AZ: 1 BvR 2682/03 am 26.05.2004 zur Nichtzulassung der Berufung betreffend Sachverständigenhonorars Stellung genommen

  1. Gottlob Häberle sagt:

    @Virus,

    somit dürfte dann wohl auch die Berufungsgrenze über den Streitwert hinfällig sein und einiger weniger Richterwillkür ein Ende gesetzt sein.

    Beste Grüße aus dem Wilden Süden
    Gottlob Häberle

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