Hallo verehrte Captain-Huk-Leserschaft,
heute stellen wir Euch hier noch ein historisches Urteil des VI. Zivilsenates des BGH vom April 1993 vor, das an Aktualität auch bis heute nichts eingebüßt hat. Es geht um die Grundsatzentscheidung des BGH zum Restwert und zur Restwertbörse. Der Leitsatz des Urteils vom 6.4.1993 – VI ZR 181/92 – gilt auch heute noch: Der Geschädigte darf bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis des § 249 S. 2 BGB die Veräußerung seines beschädigten Kfz grundsätzlich zu demjenigen Preis vornehmen, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger als Wert auf dem allgemeinen Markt ermittelt hat. Auf höhere Ankaufpreise spezieller Restwertaufkäufer braucht er sich in aller Regel nicht verweisen zu lassen. Lest selbst das Restwert-Urteil des BGH und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab.
Viele Grüße
Willi Wacker
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 181/92 Verkündet am: 06. April 1993
In dem Rechtsstreit
…
Der Geschädigte darf bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis des § 249 S. 2 BGB die Veräußerung seines beschädigten Kfz grundsätzlich zu demjenigen Preis vornehmen, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger als Wert auf dem allgemeinen Markt ermittelt hat. Auf höhere Ankaufpreise spezieller Restwertaufkäufer braucht er sich in aller Regel nicht verweisen zu lassen.
Tatbestand:
Die Klägerin, ein Energie-Versorgungsunternehmen, verlangt von den Beklagten restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall.
Der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherte Beklagte zu 1) fuhr am 12. Juni 1990 mit seinem Pkw aus Unachtsamkeit auf ein Fahrzeug der Klägerin des Typs Mercedes 260 E auf. Die volle Einstandspflicht der Beklagten für die Unfallschäden der Klägerin ist außer Streit. Die Parteien streiten allein um die Höhe des bei der Schadensberechnung zu berücksichtigenden Restwertes des Fahrzeugs der Klägerin.
Die Klägerin beauftragte am 14. Juni 1990 das Ingenieurbüro … mit der Erstellung eines Gutachtens. Nach Besichtigung des Fahrzeugs am 19. Juni 1990 erstattete der Sachverständige unter dem 20. Juni 1990 ein Gutachten, in dem er – jeweils brutto – die Reparaturkosten auf 26. 668, 53 DM, die Wertminderung auf 2.000 DM, den Wiederbeschaffungswert auf 31.000 DM und den Restwert auf 7.500 DM schätzte. Die Klägerin verkaufte daraufhin am 21. Juni 1990 das Fahrzeug an ihren Mitarbeiter Karl-Otto G. für 7.500 DM.
Die von der Klägerin am 20. Juni 1990 über den Unfall unterrichtete und am 26. Juni 1990 um eine Vorschußzahlung angeschriebene Beklagte zu 2) teilte der Klägerin am 3. Juli 1990 mit, daß nach den Angaben eines von ihr eingeschalteten Sachverständigen der Restwert des Fahrzeugs 14.500 DM betrage und ihr auch ein entsprechendes Angebot eines Restwertwertaufkäufers vorliege. Mit der Veräußerung des Fahrzeugs für 7.500 DM habe die Klägerin gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen. Die Klägerin errechnet ihren mit der Klage geltend gemachten Restschaden unter Berücksichtigung der ihr zustehenden Befugnis zum Vorsteuerabzug aus den jeweiligen Nettobeträgen wie folgt: 27. 19298 DM (Wiederbeschaffungswert) abzüglich 6.578, 95 DM (Restwert) abzüglich 14.500 DM (vorprozessuale Zahlung der Beklagten zu 2) = 6.114, 03 DM. Hierauf begehrt sie 8, 5 % Verzugszinsen ab 7. Juli 1990.
Das Landgericht hat nach Einholung eines Gutachtens zum Restwert die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt sie ihre Ansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in ZfS 1993, 12 veröffentlicht ist, meint, die Klägerin könne von den Beklagten keine weitere Zahlung verlangen. Es sei ihr möglich und zumutbar gewesen, das Unfallfahrzeug für brutto 14.500 DM zu verkaufen. Dieser von den Beklagten in Ansatz gebrachte Restwert sei nach dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen marktgerecht. Daß sich der Gutachter bei seiner Wertermittlung auf die Angaben spezialisierter Restwertaufkäufer gestützt habe, sei nicht zu beanstanden; die Klägerin habe als vollkaufmännisches Unternehmen vor der Veräußerung des Fahrzeugs auch bei solchen Aufkäufern Angebote einholen müssen. Dabei sei es ihr als größerem Unternehmen zumutbar gewesen, auch mit räumlich entfernten Restwertaufkäufern in Kontakt zu treten. Zwar brauche die Klägerin für Prognosefehler eines von ihr herangezogenen Privatsachverständigen grundsätzlich nicht einzustehen. Sie sei aber, anders als etwa bei der Frage nach den für eine Reparatur erforderlichen Kosten, wegen des gesteigerten Risikos einer Fehleinschätzung beim Restwert gehalten gewesen, vor der Veräußerung des Fahrzeugs die Beklagte zu 2) von dem Inhalt des eingeholten Privatgutachtens zu unterrichten, um ihr die Möglichkeit zu geben, auf die Unrichtigkeit des Gutachtens hinzuweisen und eine Veräußerung des Fahrzeugs unter dem Marktpreis zu verhindern. Dieser Preis sei von der Klägerin durch die ihr zumutbare Veräußerung des Fahrzeugs an einen spezialisierten Restwertaufkäufer zu erzielen gewesen. Die Beklagte zu 2) habe daher mit Recht bei der Schadensabrechnung für das Unfallfahrzeug einen Nettorestwert von 12.719 DM in Ansatz gebracht.
II.
Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Macht bei der Beschädigung eines Kraftfahrzeugs der Geschädigte von der Ersetzungsbefugnis des § 249 Satz 2 BGB Gebrauch und will er, wie die Klägerin im Streitfall, den Schaden nicht im Wege der Reparatur, sondern durch Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs beheben, was nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats ebenfalls eine Form der Naturalrestitution darstellt.
(BGHZ 115, 364, 368; 115, 375, 378), [BGH 15.10.1991 – VI ZR 67/91] dann ist bei der Bemessung des erforderlichen Betrages, den der Geschädigte zur Finanzierung des Aufwands für die Ersatzbeschaffung verlangt, der Restwert des beschädigten Fahrzeugs vom Wiederbeschaffungswert abzuziehen (BGHZ 115, 364, 372; Senatsurteil vom 21. Januar 1992 – VI ZR 142/91 – VersR 1992, 457 [BGH 21.01.1992 – VI ZR 142/91]). Dieser Ausgangspunkt ist zwischen den Parteien nicht umstritten.
2. Die im Streitfall entscheidende Frage, nach welchen Kriterien der den Wiederbeschaffungsaufwand verringernde Restwert des Unfallfahrzeugs zu bemessen ist, muß auf der Grundlage beantwortet werden, daß bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis des § 249 Satz 2 BGB der Geschädigte der Herr des Restitutionsgeschehens ist. Ebenso wie bei einer von ihm in Eigenregie durchgeführten Reparatur die Einhaltung des aus dem Begriff des Schadens zu entnehmenden und in dem Tatbestandsmerkmal der „Erforderlichkeit“ des § 249 Satz 2 BGB noch zusätzlich betonten Wirtschaftlichkeitsgebots unter Berücksichtigung der besonderen Situation des Geschädigten mit seinen individuellen Erkenntnis- und Einflußmöglichkeiten und den dabei möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu beurteilen ist (BGHZ 115, 364, 369 f; Senatsurteil vom 21. Januar 1992 = aaO), so ist auch die Frage, in welcher Höhe dem Geschädigten bei einer Ersatzbeschaffung unter einer ihm möglichen und zumutbaren Verwertung seines Unfallfahrzeugs ein Schaden entstanden ist, subjektbezogen, d.h. nach der besonderen Lage des Geschädigten zu beurteilen. Will er also sein Fahrzeug etwa der ihm vertrauten Vertragswerkstatt oder einem angesehenen Gebrauchtwagenhändler bei dem Erwerb eines Ersatzfahrzeugs in Zahlung geben, dann kann ihn der Schädiger gegenüber deren Ankaufangeboten nicht auf einen höheren Restwerterlös verweisen, der nur auf einem dem Geschädigten erst durch den Schädiger eröffneten Sondermarkt, etwa durch Einschaltung spezialisierter Restwertaufkäufer, zu erzielen wäre (Senatsurteil vom 21. Januar 1992 = aaO).
3. Im Streitfall hat die Klägerin ihr Unfallfahrzeug zwar nicht in dieser Weise in Zahlung gegeben, sondern es an einen ihrer Mitarbeiter verkauft. Sie hat dies aber erst nach Einholung eines Gutachtens auf der Grundlage des darin ausgewiesenen Restwertes getan, der nach den Angaben des Sachverständigen „basiert auf Angeboten von Interessenten“. Damit hat die Klägerin dem oben bereits erwähnten Wirtschaftlichkeitspostulat (BGHZ 115, 364, 368 f) hinreichend Genüge getan.
a) Wie der Senat schon mehrfach ausgesprochen hat, darf sich der Geschädigte bei der Überlegung, ob er nach einem Unfall sein Fahrzeug wieder instandsetzen lassen oder sich ein Ersatzfahrzeug anschaffen soll, zur voraussichtlichen Höhe der Reparaturkosten grundsätzlich auf das Gutachten eines Sachverständigen verlassen. Anderes gilt nur dann, wenn dem Geschädigten bei der Beauftragung des Sachverständigen ausnahmsweise ein) (Auswahl-Verschulden zur Last fällt oder für ihn aus sonstigen Gründen gegenüber dem Gutachten Anlaß zu Mißtrauen besteht (vgl. Senatsurteile vom 20. Juni 1972 – VI ZR 61/71 – VersR 1972, 1024, 1025 und vom 21. Januar 1992 = aaO S. 458; zum Prognoserisiko allgemein s. BGHZ 63, 182, 185 f; 115, 364, 370; zur Schadensabrechnung auf Gutachtenbasis vgl. Senatsurteil vom 20. Juni 1989 – VI ZR 334/88 – VersR 1989, 1056, 1057).
b) Diese Grundsätze sind entgegen dem Beruf ungsurteil auch bei der Bemessung des Restwertes eines beschädigten Fahrzeugs anzuwenden. Zwar ist dem Berufungsgericht dahin zu folgen, daß hier die Gefahr einer Fehleinschätzung größer ist als bei den anhand bewährter Kalkulationsmodelle ermittelten Reparaturkosten. Gerade dies zeigt aber, daß der Geschädigte bei der Restwertermittlung umso mehr auf das Gutachten eines Fachmannes angewiesen ist, auf dessen Sachkunde er dann grundsätzlich auch vertrauen können muß. Bei anderer Sicht würde die dem Geschädigten in § 249 Satz 2 BGB eröffnete Möglichkeit der Schadensbehebung in eigener Regie mit der ihr immanenten subjektbezogenen Schadensbetrachtung in einer mit dem Gesetz nicht zu vereinbarenden Weise eingeschränkt werden.
c) Dafür, daß die Klägerin hier etwa Grund gehabt hätte, der Wertschätzung ihres Sachverständigen zu mißtrauen, ist nichts ersichtlich. Bei dem von ihr beauftragten Gutachter handelte es sich nach dem von den Beklagten nicht bestrittenen Vortrag der Klägerin um ein renommiertes und allgemein anerkanntes Sachverständigenbüro. Besondere Umstände, aus denen sich der Klägerin dennoch die Unrichtigkeit der Restwertschätzung von 7.500 DM hätte aufdrängen müssen, sind von den Beklagten nicht aufgezeigt worden. Die Beklagten kommen allein deshalb zu einem höheren Restwertbetrag, weil sie von Werten ausgehen, die auf einem speziellen Restwertmarkt gezahlt werden. Diese Werte hat auch der gerichtliche Sachverständige seinem Gutachten zugrunde gelegt. Auf sie muß sich die Klägerin aber nicht verweisen lassen. Der von ihr eingeschaltete Sachverständige hat vielmehr mit Recht auf denjenigen Kaufpreis abgestellt, der auf dem allgemeinen Markt für das unfallbeschädigte Kraftfahrzeug zu erzielen war. Mehr als eine Schadensberechnung auf dieser Grundlage kann vom Geschädigten im Rahmen des Wirtschaftlichkeitspostulats nicht verlangt werden, ohne die ihm nach § 249 Satz 2 BGB zustehende Ersetzungsbefugnis auszuhöhlen.
d) Eine Verpflichtung, über die Einholung des Sachverständigengutachtens hinaus noch eine eigene Marktforschung zu betreiben und dabei gar, wie das Berufungsgericht verlangt, die Angebote auch räumlich entfernter Interessenten einzuholen, traf die Klägerin ebenfalls nicht. Anderes gilt auch nicht deshalb, weil sie als vollkaufmännisches Unternehmen einen Gewerbebetrieb von größerem Umfang unterhält und in ihrem Tätigkeitsbereich auch Verträge mit räumlich entfernten Geschäftspartnern abschließt. Die Klägerin betätigt sich als Energie-Versorgungsunternehmen nicht gewerblich mit der Verwertung beschädigter Kraftfahrzeuge. Deshalb war sie als auf diesem Gebiet branchenfremdes Unternehmen auch nicht gehalten, die Angaben des von ihr eingeschalteten Sachverständigen durch eigene Recherchen auf dem Markt zu überprüfen. Darum kann hier auch offen bleiben, ob die Klägerin, wie das Berufungsgericht zu ihren Gunsten unterstellt, vor der Veräußerung des Fahrzeugs außer dem Gutachten des Sachverständigen zusätzlich noch eine (gleichlautende) Wertauskunft bei dem Autohaus … , dem nach ihrer Behauptung größten Daimler-Benz-Vertreter am Sitz ihres Unternehmens, eingeholt hat.
4. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts war die Klägerin schließlich auch nicht verpflichtet, vor der Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs das von ihr eingeholte Gutachten den Beklagten zur Kenntnis zu bringen. Daß angesichts des von ihr sorgfältig ausgewählten Sachverständigen ein von den Beklagten eingeschalteter Gutachter auf der Basis der Preise des allgemeinen Marktes zu einem wesentlich anderen und insbesondere „richtigeren“ Restwert gelangen würde, war nicht zu erwarten. Die Unterrichtung der Beklagten zu 2) hätte deshalb nur den Zweck haben können, ihr die Möglichkeit zu geben, eine ihr günstigere Schadensberechnung auf der Grundlage der Preise professioneller Restwertaufkäufer aufzumachen. Darauf muß sich aber, wie bereits gesagt, der Geschädigte nicht verweisen lassen.
5. Die Klägerin durfte deshalb bei der Schadensberechnung die Wiederbeschaffungskosten um (lediglich) den von ihrem Sachverständigen ermittelten und der Veräußerung zugrunde gelegten Restwert von brutto 7.500 DM = netto 6.578, 95 DM kürzen. Auf den hiernach noch ausstehenden und mit der Klage eingeforderten Schadensbetrag von 6.114,03 DM haben die Beklagten sowohl aus dem Gesichtspunkt des Schuldnerverzuges (§ 288 Abs. 1 Satz 1 BGB) als auch gemäß §§ 849, 246 BGB ab dem von der Klägerin begehrten Zeitpunkt (7. Juli 1990) Zinsen in Höhe von 4 % zu entrichten. Ob sie, wie von der Klägerin verlangt, wegen des von ihr unter Beweis gestellten Entgangs von Anlagezinsen den Klagebetrag mit insgesamt 8, 5 % zu verzinsen haben, bedarf noch der weiteren Aufklärung.
III.
Da die Sache insoweit entscheidungsreif ist, ist gemäß § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO der Klage zur Hauptforderung und in Höhe von 4 % Zinsen stattzugeben. Zur Verhandlung und Entscheidung über den restlichen Zinsanspruch und die Kosten der Vorinstanzen ist der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Kosten der Revision, für die der Ausgang des Rechtsstreits zu dem noch anhängig gebliebenen Zinsbegehren ohne Bedeutung ist, sind gemäß § 91 Abs. 1 ZPO schon jetzt den Beklagten aufzuerlegen.