Dem Unfallopfer ist kein Wechsel zum Mietwagenangebot des Haftpflichtversicherers zuzumuten (LG Dresden – 4 S 247/08 vom 08.10.2008)

Landgericht Dresden, Aktenzeichen: 4 S 247/08 (Amtsgericht Dresden 104 C 6633/07)

Wegen Schadensersatz erlässt d. 4. Zivilkammer d. Landgerichts Dresden durch Richter am Landgericht – als Einzelrichter – auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 17.09.2008, am 08.10.2008 folgendes Urteil:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichtes Dresden vom 02.04.2008 (104 C 6633/07) wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagten haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Gründe:

I. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird nach § 540 Abs. 2 LV.m. § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

II. Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

1. Die wiederholt auf ein Abstreiten der Aktivlegitimation zielende Vermutung, wonach der Beklagte die Mietwagenkostenrechnung nicht beglichen habe, ist unbeachtlich. Ausweislieh der Sicherungsabtretungserklärung des Klägers gegenüber dem Mietwagenunternehmer bleibt die persönliche Haftung des Klägers durch die Abtretung unberührt. Der Kläger verpflichtet sich darin ausdrücklich dazu, seinen Schadensersatzanspruch selbst beizutreiben.

2. Das Amtsgericht ist mit zutreffender Begründung davon ausgegangen, dass das Verschulden des Beklagten zu 1) die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges vollständig zurücktreten läßt und deshalb eine vollständige Einstandspflicht der Beklagten dem Grunde nach zu bejahen ist.

Entgegen der Berufung liegt dem Verkehrsunfall keine „Parkplatzsituation“ mit ihrem besonderen Gepräge und eingezeichneten Stellplätzen zugrunde. Vielmehr liegt eine normale Straße im verkehrsberuhigten Bereich vor, auf der – aus Fahrtrichtung des Klägers betrachtet – Fahrzeuge im rechten Winkel abgestellt werden. Damit ist für den Beklagten zu 1) § 10 StVo mit der Folge maßgebend, dass eine vollständige Haftung der Beklagten anzunehmen ist (vgl. Grüneberg, Haftungsquoten, Vorbemerkung zu Rn. 85). Der Beklagte zu 1) ist gerade nicht aus der Parkbucht eines Parkplatzes herausgefahren (vgl. Grüneberg, Haftungsquoten Vorbemerkung zu Rn. 272).

Da die Sicht für den Beklagten zu 1) auch nach dem Beklagtenvortrag in Folge des Fahrbahnverlaufes eingeschränkt war und er sich mithin gegebenfalls hätte einweisen lassen müssen, liegt ein besonders schwerer Verstoß gegen § 10 StVO vor. Dass demgegenüber davon auszugehen sei, dass der Kläger gegen das Sichtfahrgebot verstoßen habe, bleibt ebenso spekulativ wie die in erster Instanz behauptete Geschwindigkeitsüberschreitung des Klägers.

3. Der Kläger hat entgegen der Berufung nicht dadurch gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen, dass er nicht auf das „Angebot“ der Beklagten zu 1) in ihrem Schreiben vom 16.04.2007 eingegangen ist. Darin heißt es auszugsweise: Wenn Sie einen Mietwagen benötigen, ist die Anmietung eines gleichwertigen Fahrzeuges zu einem Tagespreis von brutto EUR 45,00 möglich (incl. aller Kilometer und Haftungsbefreiung). Im Bedarfsfall rufen Sie uns bitte an. Zu diesem Preis kann z.B. von den Mietwagenfirmen ein Ersatzfahrzeug gestellt werden. Sollte bei der Anmietung eine Vorschusszahlung erforderlich sich sein, bitten wir um Kontaktaufnahme.“

Auch nach Auffassung des Berufungsgerichtes war der Kläger vorliegend unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht nach § 254 BGB nicht gehalten, aufgrund des Schreibens der Beklagten zu 2) das Mietfahrzeug wieder zurückzugeben und zu einem günstigeren Anbieter zu wechseln. Zum einen war das Schreiben der Beklagten sehr allgemein gehalten. Zum anderen hat die Beklagte, die insoweit jedoch die Darlegungs-und Beweislast trägt, nicht vorgetragen, dass dem Kläger in seiner Situation ein Wechsel zu einem günstigen Anbieter möglich und zumutbar war.

a) Entsprechende Überlegungen des Geschädigten zu einem Wechsel des Anbieters können erst dann geboten sein, wenn es sich um ein -hier nicht vorliegendes -Mietverhältnis von ungewöhnlich langer Dauer handelt, weil es etwa zu erheblichen Verzögerungen bei den Reparaturarbeiten oder der Ersatzbeschaffung gekommen ist (vgl. hierzu Urteil des OLG Dresden vom 28.05.2008 -1 0 1439/07). Ein solcher Fall liegt nicht vor, da der Kläger das Schreiben der Beklagten erst mehrere Tage später erhalten hat und die „Restlaufzeit“ des nach bestrittenem Klägervortrag auf einen festen Zeitraum abgeschlossenen Mietvertrages nicht unverhältnismäßig lang war.

b) Darüber hinaus wäre dem Beklagten ein Wechsel zu einem von der Beklagten zu 2) im Übrigen auch im Nachgang nicht konkret benannten Vermieter deshalb nicht zuzumuten gewesen, weil der Tarif nach Höhe und Formulierung des Schreibens der Beklagten zu 2) nur bei Inanspruchnahme von deren Vermittlungsdiensten zugänglich gewesen wäre. Hierauf muss sich der Geschädigte nicht einlassen. Im Rahmen der §§ 249 ff. BGB ist der Geschädigte Herr des Restitutionsgeschehens. Wo, bei wem und zu welchen Konditionen er einen Mietwagen anmietet, darf ihm nicht aufgezwungen werden (vgl, Urteil des Bundesgerichtshofes vom 30.11.1999, VI ZR 219/98, Rn. 26, zitiert nach Juris). Derartige Vermittlungsdienste der Unfallgegnerseite worden darüber hinaus die Gefahr bergen, dass bei der Schadensregulierung im Übrigen wegen des „Entgegenkommens“ und der Inanspruchnahme des „Schadensservice“ versucht werden könnte, Einfluss auf den Geschädigten zu nehmen. Diese Gefahr besteht insbesondere dann, wenn wie vorliegend auch die Haftungsquote in Streit steht.

. c) Dem Umstand, dass der Kläger vorliegend zu einem unabhängig vom Schreiben der Beklagten zu 2) weit überteuerten Tarif angemietet hat, ist dadurch Rechnung zu tragen, dass er ~ wie vom Amtsgericht vorgenommen -lediglich einen geschätzten „Normaltarif‘ ersetzt verlangen kann, der als erforderlich im Sinne von § 249 BGB anzusehen ist Die ausführlichen Erörterungen der Beklagten zur Notwendigkeit eines „Unfallersatztarifes“ können dahinstehen, weil das Amtsgericht gerade keinen „Unfallersatztarif‘ zugesprochen hat. Aus diesem Grund geht auch die Argumentation fehl, dass der Kläger zu diesem Tarif nicht hätte anmieten dürfen. Vorliegend wurde eine fiktive Betrachtung vorgenommen, im Rahmen derer der Rückgriff auf einen geschätzten “Normaltarif‘ zulässig ist.

4. Auch nach Auffassung des Berufungsgerichtes konnte das Amtsgericht vorliegend für die durch § 287 ZPO eröffnete Schätzung des nach § 2496GB erforderlichen Aufwandes auf die Schwackeliste 2007 zurückgreifen,

Die Eignung von Listen und Tabellen, die bei der SchadensSchätzung Verwendung finden können, bedarf nur der Klärung, wenn mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass geltend gemachte Mängel sich auf den zu entscheidenden Fall auswirken (Urteil des BGH vom 11.03.2008, VI ZR 164/07, Leitsatz 1; zitiert nach Juris). Die Schadenshöhe darf nicht auf der Grundlage falscher oder offenbar unsachlicher Erwägungen festgesetzt werden. Es ist jedoch nicht Aufgabe des Tatrichters, lediglich allgemein gehaltenen Angriffen gegen eine Schätzgrundlage nachzugehen. Voraussetzung ist, dass mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass geltend gemachte Mängel der betreffenden Schätzgrundlage sich auf den entscheidenden Fall auswirken. Hieran fehlt es.

a} Soweit im Schriftsatz vom 16.09.2008 die Erhebungsmethode der Schwackeliste unter Bezugnahme auf eine gutachterliche Stellungnahme von , in Zweifel gezogen wird, ist darauf hinzuweisen, dass diese Erhebungsmethode bereits bei der Schwackeliste 2003 zur Anwendung gekommen ist, die der Bundesgerichtshof ausdrücklich als Schätzungsgrundlage anerkannt hat. Soweit darin das von der Schwackeliste ausgewiesene Preisniveau als überhöht kritisiert wird, wird kein konkreter Zusammenhang zum vorliegend zu entscheidenden Sachverhalt hergestellt.

b) Soweit in der Berufungsbegründung auf den „Marktpreisspiegel Mietwagen Deutschland 2008“ des Fraunhofer Instituts Arbeitswirtschaft und Organisation verwiesen wird, ist festzustellen, dass sich diese Erhebung zu einem Großteil auf sog. „Internetpreise“ stützt und damit zumindest teilweise Tarife erfaßt sind, die eine Vorbuchzeit voraussetzen, was bei so genannten „Vor Ort-Tarifen“ regelmäßig nicht der Fall ist. Der „Marktpreisspiegel“ des Fraunhofer Institutes räumt zudem unbestritten ein, dass die Datenbereitstellung der Studie ohne Anspruch auf Richtigkeit, Aktualität und Vollständigkeit erfolgt ist. Schließlich ist zu beobachten, dass dieser „Marktpreisspiegel“ Durchschnittspreise für sehr viel weiträumigere Postleitzahlengebiete zusammenfasst, als dies bei der Schwackeliste 2007 der Fall ist, die nach den ersten 3 Ziffern differenziert. Daraus folgt zugleich, dass mit der Behauptung, wonach für die vorliegend streitgegenständliche Mietwagenklasse 4 ein Mittelwert für die wochenweise Anmietung in Höhe von nur 267,94 EUR anzunehmen sei, keine tauglichen Tatsachen für Mängel der konkret entscheidenden Schätzgrundlage aufgezeigt werden. Die aufgezeigten Unterschiede können auf der unzureichenden Differenzierung der Preisgebiete des „Marktpreisspiegels“ beruhen.

Die von der Berufung angeführte Entscheidung des Oberlandesgerichtes München gebietet keine andere Betrachtung. Es ist von der Berufung nicht dargetan. warum die im Raum München herrschenden Marktverhältnisse auf den vorliegend zu entscheidenden Fall übertragbar sind und weshalb auch hier der „Marktpreisspiegel“ des Frauenhofer Institutes als Schätzgrundlage vorzugswürdig sein soll. Die auf den konkreten Fall bezogene Argumentation der Berufung gebietet die Anwendung einer anderen Schätzgrundlage als der vom Amtsgericht herangezogenen jedenfalls nicht.

c) Sich auf den zu entscheidenden Fall auswirkende Zweifel an der Schätzgrundlage ergeben sich auch nicht aus den im Schriftsatz vom 16.09.2008 beigefügten Angeboten. Diese Auflistung stellt weder eine repräsentative Erhebung dar noch erhebt sie diesen Anspruch. Sie zeigt die auch nach Auffassung des Berufungsgerichts gegebene -und sich im Übrigen auch aus der Schwackeliste selbst ergebende Möglichkeit auf, zu günstigeren Konditionen als den Mittelwerten der Schwackeliste anzumieten. Dies ändert jedoch nicht daran, dass sich der bei der Schätzung des nach § 2498GB erforderlichen Aufwandes im Rahmen von § 287 ZPO freie Tatrichter Schätzgrundlagen bedienen kann. Die Maßgeblichkeit von Mittel-oder Durchschnittswerten ist hierbei ebenfalls anerkannt.

5. Vorliegend ist das Amtsgericht auch mit zutreffender Begründung davon ausgegangen, dass der Kläger die volle Haftungsbefreiung ersetzt verlangen kann. Zwar hatte der Kläger für sein eigenes Fahrzeug keine Vollkaskoversicherung abgeschlossen, weshalb teilweise vertreten wird, dass lediglich die hälftigen Kosten der Haftungsbefreiung ersetzt verlangt werden können. Allerdings übernimmt der Geschädigte, der – wie vorliegend -nur ein älteres Fahrzeug sein Eigen nennt, durch die Anmietung eines Mietfahrzeuges ein besonderes Haftungsrisiko. Der Fuhrpark der Mietwagenunternehmen besteht überwiegend aus Neuwagen. Im Hinblick hierauf ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes der Ersatz der vollen Haftungsbefreiung im Einzelfall gerechtfertigt (Urteil des Bundesgerichtshofes vom 15.02.2005, VI ZR 74/04, 2. Leitsatz; zitiert nach Juris).

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4 Antworten zu Dem Unfallopfer ist kein Wechsel zum Mietwagenangebot des Haftpflichtversicherers zuzumuten (LG Dresden – 4 S 247/08 vom 08.10.2008)

  1. downunder sagt:

    hi zimper
    super urteil!
    eine wahre freude zu lesen,wie die richter den fraunhofermüll in die tonne kloppen!
    der urteilserspähdienst bei CH klappt hervorragend,danke dafür!!
    didgeridoos,play loud

  2. Friedhelm S. sagt:

    Hallo Herr SV Zimper,
    schön begründetes Urteil. Prima. Wieder einmal wurde deutlich aufgezeigt, was von den Mietpreisen in der Fraunhofer-Tabelle zu halten ist. Nämlich nichts.
    MfG
    Friedhelm S.

  3. Schwarzkittel sagt:

    Ein sauber strukturiertes, sich mit der gesamten Problematik gut argumentativ auseinandersetzendes Urteil.

    Ein wichtiger Punkt war die klare Absage an die Direktvermittlungsversuche der Versicherung, nämlich den Geschädigten zu zwingen, nicht auf dem freien Markt anzumieten, sondern sich auf das Schadensmanagment der Versicherer einzulassen.

    Hierbei aber wichtig: der Geschädigte hatte schon das Fahrzeug angemietet, zu einem Wechsel ist er nicht verpflichtet.

    Anders wird es beurteilt, wenn konkrete Angebote vor der Anmietung erfolgen und der Geschädigte dann „sehenden Auges“ zu einem abweichenden Tarif anmietet.

    Die Argumentation hinsichtlich der Ablehnung der Fraunhofer-Studie als Schätzgrundlage zeigt deutlich die Mängel dieser im Auftrag des GDV nach dessen Vorgaben (?) erstellten Erhebung dar und lehnt sie zutreffend als Schätzgrundlage für den Normaltarif ab.

    Als Schätzgrundlage für einen Internettarif mit Vorbuchungszeit von einer Woche ist die Fraunhofer-Studie sicherlich geeignet….

    Alles in Allem gut und ein weiterer Zwischenerfolg für die Vermieter und Mißerfolg für die Versicherung.

    Aber da wird noch viel Schlamm gespritzt werden müssen….

    Grüße aus der Suhle

    Schwarzkittel

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