BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 144/09 Verkündet am: 2. März 2010
in dem Rechtsstreit
…
Zur Frage, ob bei der fiktiven Schadensabrechnung eines als „Unikat“ anzusehenden Kraftfahrzeugs ein über den Wiederbeschaffungswert hinaus gehender Schadensbetrag abgerechnet werden kann.
BGH, Urteil vom 2. März 2010 – VI ZR 144/09 – LG Chemnitz
. AG Hohenstein-Ernstthal
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 2. März 2010 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Zoll, die Richterin Diederichsen, den Richter Stöhr und die Richterin von Pentz
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom 19. März 2009 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Bei einem Verkehrsunfall, für dessen Folgen die Beklagte unstreitig dem Grunde nach in vollem Umfang einzustehen hat, wurde das Fahrzeug des Klägers, ein Pkw Typ Wartburg 353, Erstzulassung 1966, mit einem Rahmen und den entsprechenden Sonderausrüstungen eines Wartburg 353 W, beschädigt. Die Beklagte hat Schadensersatz in Höhe des Wiederbeschaffungswerts von 1.250,00 € geleistet. Der Kläger verlangt weiteren Schadensersatz in Höhe von 1.212,90 €, der Differenz zu den Nettoreparaturkosten von 2.462,90 €. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ist ein vergleichbares Fahrzeug auf dem Gebrauchtwagenmarkt nicht zu erwerben; um das beschädigte Fahrzeug adäquat wieder herzustellen, sei es erforderlich, für insgesamt 2.950 € einen Wartburg 353 zu erwerben und mit Originalteilen auf einen Wartburg 353 W umzubauen.
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht führt aus: Der Geschädigte könne bei Beschädigung einer Sache grundsätzlich Naturalrestitution begehren (§ 249 BGB). Insoweit komme nicht nur die Reparatur der beschädigten Sache, sondern im Falle eines wirtschaftlichen Totalschadens auch die Ersatzbeschaffung einer gleichwertigen Sache in Betracht. Der Wiederherstellungsaufwand werde begrenzt durch den Aufwand, den ein wirtschaftlich Denkender und Handelnder an der Stelle des Geschädigten betreiben würde. Eine Reparatur sei unwirtschaftlich, wenn ihre Kosten 130% des Fahrzeugwertes vor dem Unfall überschritten. In einem solchen Falle sei trotz technischer Möglichkeit der Reparatur des beschädigten Fahrzeugs von einer Zerstörung der Sache auszugehen. Soweit die Wiederherstellung der beschädigten Sache nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand möglich sei, sei der Geschädigte auf den Entschädigungsanspruch nach § 251 Abs. 2 BGB beschränkt. Zwar habe sich auch im Fall der Beschädigung eines älteren Fahrzeugs bzw. eines Oldtimers der Ersatzanspruch am Wiederbeschaffungswert zu orientieren. Voraussetzung für eine solche Regulierung auf Gutachtensbasis sei jedoch, dass die beschädigte bzw. zerstörte Sache eine vertretbare Sache sei. Handele es sich demgegenüber um ein Unikat, könne nicht auf die Kosten der Ersatzbeschaffung abgestellt werden, da die Ersatzbeschaffung als Form der Naturalrestitution voraussetze, dass der betreffende Gegenstand nach der Verkehrsauffassung austauschbar sei.
Führe die „Reparatur“ eines Fahrzeugs nur scheinbar zur Wiederherstellung der beschädigten, tatsächlich jedoch zur Herstellung einer neuen Sache, die mit der zerstörten nur in ihren äußeren Merkmalen identisch sei, handele es sich nicht um eine vertretbare Sache mit der Folge, dass sich der Schadensersatzanspruch nicht nach § 249 Abs. 2 BGB bemessen lasse. Eine vertretbare Sache liege nicht vor, wenn für sie kein Markt und mithin kein Marktwert existiere. Hier habe der Kläger nicht nachgewiesen, dass ein Markt, und sei es auch nur ein Spezialmarkt, existiere. Zwar gebe es einen Markt für Fahrzeuge des Typs Wartburg 353 und auch für solche des Typs Wartburg 353 W, nicht aber für Umbauten, wie sie der Kläger vorgenommen habe. Der Kläger selbst habe vorgetragen, dass ein gleichartiges und somit gleichwertiges Ersatzfahrzeug nicht zu erwerben sei, dass es sich vielmehr um ein „Unikat“ und damit Gesamtkunstwerk handele. Deshalb könne der Kläger nur Wertersatz nach § 251 Abs. 1, Abs. 2 BGB verlangen, nicht aber die Kosten, die erforderlich seien, um die zerstörte Sache aus zwei anderen unzerstörten Sachen neu aufzubauen.
II.
Die dagegen gerichtete Revision hat keinen Erfolg. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dem Kläger stehe gegen die Beklagte lediglich ein – von der Beklagten bereits ausgeglichener – Anspruch auf Schadensersatz in Höhe des Wiederbeschaffungswerts zu.
1. Gemäß § 249 Abs. 1 BGB hat der zum Schadensersatz Verpflichtete den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Ist wegen der Verletzung einer Person oder der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Für die Berechnung von Fahrzeugschäden stehen dem Geschädigten regelmäßig zwei Wege der Naturalrestitution zur Verfügung: Reparatur des Unfallfahrzeugs oder Anschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs (vgl. Senat BGHZ 154, 395, 397 f.; 162, 161, 165; 181, 242 ff., = VersR 2009, 1092 Rn. 13, jeweils m.w.N.).
Das gilt aber nur, wenn eine Wiederherstellung des beschädigten Fahrzeugs im Rechtssinne möglich ist. Dies ergibt sich aus § 251 Abs. 1 BGB (vgl. dazu Senatsurteile BGHZ 102, 322 ff. und vom 9. Dezember 2008 – VI ZR 173/07 – VersR 2009, 408 f.; BGH, Urteil vom 22. Mai 1985 – VIII ZR 220/84 – NJW 1985, 2413 ff.). Dessen Voraussetzungen könnten allerdings wie das Berufungsgericht annimmt, vorliegen. Immerhin hat der Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts vorgetragen, dass es sich bei seinem beschädigten Fahrzeug um ein Unikat und damit Gesamtkunstwerk handele, und dass auch ein vergleichbares Fahrzeug im Hinblick auf die vom Kläger individuell vorgenommenen Veränderungen nicht zu erwerben ist.
Letztlich kann die Frage, ob § 251 Abs. 1 BGB im Streitfall Anwendung findet, aber dahinstehen. Denn der dem Kläger zustehende Schadensersatzanspruch ist unabhängig davon auf die Höhe des Wiederbeschaffungswerts beschränkt, ob eine Wiederherstellung möglich ist oder nicht. Ist eine Wiederherstellung im Rechtssinne möglich, so kann der Kläger nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. z.B. BGHZ 162, 161, 167 f.) nur den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs verlangen, weil er fiktiv abrechnet und die Kosten für eine Reparatur des Fahrzeugs fast doppelt so hoch sind wie der Wiederbeschaffungswert. Ersatz von Reparaturkosten – bis zu 30% über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs – können nur verlangt werden, wenn die Reparatur fachgerecht und in einem Umfang ausgeführt wird, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Schätzung gemacht hat (vgl. Senatsurteil BGHZ 162, 161, 169). Ist die Wiederherstellung unmöglich, besteht der Anspruch des Klägers auf Geldentschädigung gleichfalls nur in Höhe des Wiederbeschaffungswerts. Der Wiederbeschaffungswert ist bei Kraftfahrzeugen in Fällen der vorliegenden Art sowohl hinsichtlich der Restitution als auch hinsichtlich der Kompensation ein geeigneter Maßstab für die zu leistende Entschädigung.
2. Das Berufungsgericht hat den Wiederbeschaffungswert ohne Rechtsfehler auf 1.250,00 € geschätzt (§ 287 ZPO). Soweit die Revision geltend macht, insoweit seien die Besonderheiten des Oldtimermarkts zu berücksichtigen, wobei die Reparaturkosten die zutreffende Schätzgrundlage seien, kann dem nicht gefolgt werden. Mit Recht weist die Revisionserwiderung darauf hin, dass der vom Berufungsgericht angenommene Wiederbeschaffungswert der vom Kläger selbst vorgelegten Wertermittlung entnommen ist und dass der Kläger selbst vorgetragen hat, Fahrzeuge vom Typ Wartburg 353 W seien am Markt ohne Weiteres für 1.200,00 € zu erwerben. Darüber hinaus gehende Marktpreise, die etwa durch die Eigenschaft des Fahrzeugtyps als Oldtimer geprägt sind und auf Spezialmärkten für Oldtimer erzielt werden, vermag die Revision nicht aufzuzeigen. Auf den Wert des Materials und der Arbeitsleistung für die vom Kläger in Eigenarbeit vorgenommene Umrüstung seines Fahrzeugs kann nicht abgestellt werden (vgl. Senatsurteil BGHZ 92, 85, 92 f.). Auch soweit die Revision darauf hinweist, dass dem Kläger bei einer Ersatzbeschaffung die Vorteile einer Oldtimerzulassung verloren gehen könnten, kann sie keinen Erfolg haben. Ein insoweit möglicherweise eintretender Schaden ist durch den Feststellungsausspruch des Berufungsgerichts erfasst.
Galke Zoll Diederichsen
. Stöhr von Pentz
Hallo virus,
das Revisionsurteil des VI. Zivilsenstes des BGH ist logisch und dogmatisch richtig. Unter Berücksichtigung seiner bisherigen Rechtsprechung zum Schadensersatz über den Wiederbeschaffungswert hinaus und unter Berücksichtigung seiner Rechtsprechung zur 130% Regelung ist das Urteil konsequent. Das Liebhaberinteresse wird schadensersatzrechtlich nicht berücksichtigt.
Mit freundlichen Grüßen
Willi Wacker
Meinen vorhergehenden Kommentar zum BGH-Urteil ergänze ich nach genauer Durcharbeit des Urteils wie folgt: Das Urteil des VI. Zivilsenates des BGH ist unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des Senates konsequent und nachvollziehbar, auch wenn es sich um ein sog. Unikat handelt, was beschädigt worden ist. Maßgeblich bleibt, dass ein Kraftfahrzeug beschädigt worden ist und sich die Schadensersatzansprüche des Geschädigten nach §§ 249 ff BGB, hier evtl. § 251 BGB richten.
Das verunfallte und im Streite befindliche Fahrzeug des Klägers war ein „Zusammenbau“ zweier Wartburg-Fahrzeuge aus dem Jahre 1966. Ein derartiges Fahrzeug ist am Gebrauchtwagenmarkt nicht erhältlich, weil es sich eben um ein „Eigenbaufahrzeug“ handelt. Fahrzeuge vom Typ Wartburg 353 W sind jedoch für 1.200,– Euro zu erwerben. Nach Angaben des Sachverständigen würde die Wiederherstellung des „Original“-Zustandes des Fahrzeuges vor dem Unfall 2.950,– Euro betragen. Die Nettoreparaturkosten belaufen sich auf 2.462,90 Euro. Der Wiederbeschaffungswert beträgt unstreitig 1.250,– Euro. Der Geschädigte rechnet fiktiv, also auf Grund des Schadensgutachtens ab.
Grundsätzlich hat der Geschädigte Anspruch auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes, so wie er vor dem schädigenden Unfallereignis bestanden hat. Dieser Schadensersatzanspruch findet aber seine Grenze im Rahmen der Unwirtschaftlichkeit. Liegen nämlich die voraussichtlichen Kosten der Reparatur eines Kraftfahrzeuges mehr als 30% über dem Wiederbeschaffungswert, so ist die Instandsetzung in aller Regel wirtschaftlich unvernünftig und der Geschädigte kann vom Schädiger nur die Wiederbeschaffungskosten verlangen ( BGH NJW 1992, 305; BGH DS 2007, 347 m. Anm. Wortmann ). Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die Schadensersatzpflicht des Schädigers von vornherein nur insoweit besteht, als sich die Aufwendungen im Rahmen wirtschaftlicher Vernunft halten (BGH NJW 1992, 305; BGH DS 2006, 193 ). Liegt der Betrag der vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten über dem Wiederbeschaffungswert, kann eine Wiederherstellung nur dann als noch wirtschaftlich vernünftig angesehen werden, wenn die tatsächliche Reparatur vom Integritätsinteresse des Geschädigten geprägt ist und fachgerecht und im Rahmen des Schadensgutachtens durchgeführt wird. Eine fiktive Schadensabrechnung – wie im vorliegenden Fall – führt letztendlich dazu, dass der Geschädigte nur den Wiederbeschaffungswert beanspruchen kann ( BGH DS 2009, 230 ). Dies gilt auch dann, wenn die Wiederherstellung unmöglich ist, weil ein Unikat beschädigt worden ist. Die Wirtschaftlichkeitsgrenze liegt bei maximal 130% des Wiederbeschaffungswertes, wenn fachgerecht und nach Vorgaben des Schadensgutachtens repariert wird. Bei fiktiver Schadensabrechnung wird der Schadensersatzanspruch des Geschädigten auf den Wiederbeschaffungswert begrenzt. Dies gilt auch in dem Fall, dass eine Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes unmöglich ist. Auch in diesem Fall wird der Schadensersatzanspruch auf den Wiederbeschaffungswert begrenzt. Das Liebhaberinteresse bleibt dabei unberücksichtigt.
…was in dem Urteil gerne übersehen wird, sind die unscheinbaren Worte „weil er fiktiv abrechnet“.
Wenn im Urteil alles richtig wiedergegeben ist, dann ist aus einem 353 ein 353 W gemacht worden. 353 W gibt es aber noch problemlos. Und somit erscheint mir das Urteil logisch und nachvollziehbar.
Wenn es sich um einen Zwitter aus 353 und 353 W handelt, dann wäre der Halter gut beraten gewesen eine Oldtimerbewertung erstellen zu lassen, in der der Wiederbeschaffungswert ausgewiesen wäre.
Grüße
Andreas
Willi Wacker und Joachim Otting haben es richtig gesehen. Es handelt sich um das Urteil eines Fiktivabrechners.
Schöne Ostertage
Hallo Andreas,
mir liegt auch nur das Urteil vom 2.3.2010 vor, nicht die dazugehörigen Prozessakten und das Schadensgutachten. Aus der Urteil des BGH ergibt sich jedoch, dass das Fahrzeug des Klägers ein Pkw Typ Wartburg 353, Erstzulassung 1966 war, dessen Rahmen und Sonderausstattungen von einem Wartburg 353 W stammten. Als in meinen laienhaften Augen: ein Selbstbau aus zwei Wartburg-Pkws.Ob das beschädigte Fahrzeug jetzt mehr ein 353er oder 353 Wer war, kann ich auch nicht sagen. Meine Erachtens kommt es darauf aber nicht an, da – unstreitig – ein 353 W für 1200 Euro zu haben ist. Da der Geschädigte fiktiv abrechnet, hat er nur Anspruch auf den Wiederbeschaffungswert, und der war vom Berufungsgericht fehlerfrei mit 1250 Euro angenommen worden. Diesen Betrag hatte der Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer bei der Schadensregulierung auch – zu Recht – zugrunde gelegt. Das Urteil ist nicht zu beanstanden.
Inwieweit dieses Eigenbaufahrzeug als Oldtimer einzuschätzen war, entzieht sich meiner Kenntnis. Dazu kann ich auch nichts sagen. Das Auto des Klägers dürfte auf dem Oldtimermarkt auch nicht zu handeln sein, da es offenbar ein Unikatstück war.
Mit freundlichen Grüßen guten Osterwünschen
(und im Mai sieht man sich)
Dein Willi