Sehr geehrte Captain-Huk-Leser,
häufig wurde auch in diesem Blog über Nichtzulassungsbeschwerden diskutiert. Nunmehr hat der für Verkehrsunfallsachen zuständige VI. Zivilsenat des BGH zu einer solchen Nichtzulassungsbeschwerde entschieden. Die Nichtzulassungsbeschwerde führte beim BGH zur Aufhebung des Beschlusses des OLG München und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das OLG München. Die vom klagenden Unfallopfer behauptete Tatsache der überhöhten Geschwindigkeit war von dem Berufungsgericht nicht zutreffend gewürdigt und beachtet worden. Vielmehr wurde lediglich und überwiegend der Vortrag des beklagten Fahrers und dessen Kfz-Haftpflichtversicherung, das Unfallopfer sei plötzlich im Scheinwerferkegel aufgetaucht, gewertet. Eine sofortige Vollbremsung hätte einen Zusammenprall mit dem Kläger auf dem Fußgängerüberweg, gesichert durch den sogenannten Zebrastreifen, nicht verhindert. Die vom Kläger behauptete hohe Geschwindigkeit wurde nicht berücksichtigt. Darin war der Verstoß gegen die Verletzung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 I GG begründet. Insoweit muss das Berufungsgericht über diese Feststellung noch in entscheidungserheblicher Weise befinden. Lest bitte selbst den Beschluss des BGH und gebt Eure Kommentare ab.
Mit freundlichen Grüße
Willi Wacker
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom
19. August 2014
in dem Rechtsstreit
…
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. August 2014 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Wellner, die Richterinnen Diederichsen, von Pentz und den Richter Offenloch
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 26. Juni 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 23.680,17 €
Gründe:
I.
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens nach einem Verkehrsunfall in Anspruch. Der Kläger ist Zeitsoldat. Seine Dienststelle befindet sich in der M-I.-Kaserne in M. Am 20. Januar 2010 gegen 7.05 Uhr bei 0 Grad Celsius und nassen Straßen überquerte der Kläger – der eine Tarnuniform trug – zu Fuß den vor dem Kaserneneingang gelegenen und als solchen gekennzeichneten Fußgängerüberweg. Als er etwa die Mitte der Straße erreicht hatte, wurde er von dem vom Beklagten zu 1 geführten und bei der Beklagten zu 2 versicherten Kraftfahrzeug erfasst und schwer verletzt. Der Kläger behauptet, der Beklagte zu 1 habe sich der Unfallstelle mit überhöhter Geschwindigkeit genähert. Die Beklagten behaupten, der Kläger sei plötzlich und unvermittelt im Lichtkegel des Scheinwerfers des Fahrzeuges aufgetaucht. Die sofort eingeleitete Vollbremsung habe die Kollision nicht mehr verhindern können.
Das Landgericht hat der Klage auf der Grundlage einer Haftungsquote von 50 % entsprochen. Es hat die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 6.235,44 € (Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 €, Haushaltsführungsschaden in Höhe von 1.340,16 €, Fahrtkosten in Höhe von 382,50 €, Schadenspauschale in Höhe von 12,78 € abzüglich geleisteter Zahlungen der Beklagten in Höhe von 10.500 €) zu zahlen. Darüber hinaus hat es festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger 50 % seiner weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen. Die weiter gehende Klage hat es abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 26. Juni 2013 einstimmig als unbegründet zurückgewiesen. Es hat dabei zugrunde gelegt, dass die Beklagten lediglich in Höhe von 40 % hafteten. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
1. Unter entscheidungserheblichem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist das Berufungsgericht zu der Beurteilung gelangt, der Kläger habe sich durch ein Beharren auf seinem Vorrecht offensichtlich unvernünftig der Gefahr ausgesetzt, auf dem Fußgängerüberweg angefahren zu werden.
a) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass sich die offensichtlich unvernünftige Selbstgefährdung des Klägers vorliegend darin gezeigt habe, dass er entweder auf den Verkehr überhaupt nicht geachtet habe, etwa weil er in Eile gewesen sei, oder den Beklagten zu 1 gesehen und gemeint habe, dass dieser noch rechtzeitig werde anhalten können. Im Hinweisbeschluss, auf den das Berufungsgericht in seinem Zurückweisungsbeschluss Bezug genommen hat, hat es weiter ausgeführt, der Kläger habe selbst nicht vorgetragen, dass er vor dem Überqueren des Fußgängerüberwegs angehalten habe, um den fließenden Verkehr zu beobachten. Auch habe er nicht dargelegt, aus welchen Gründen er das herannahende Fahrzeug des Beklagten zu 1 nicht habe erkennen können. Unerheblich sei, dass es möglich sein könne, dass der Beklagte zu 1 schneller als mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h gefahren sei. Seine diesbezügliche Behauptung habe der Kläger nicht bewiesen.
b) Gegen diese Beurteilung wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde mit Erfolg. Sie beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht eine vom Kläger vorgetragene alternative Möglichkeit der Unfallverursachung, die ein schuldhaftes Verhalten des Klägers ausschließen oder jedenfalls in günstigerem Licht erscheinen lassen könnte, unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht berücksichtigt hat. Der Kläger hatte mit Schriftsatz vom 10. Juni 2011, S. 3 vorgetragen, der Beklagte zu 1 habe seiner Lebensgefährtin unmittelbar nach dem Unfall erklärt, mit einer Geschwindigkeit von 60 bis 65 km/h gefahren zu sein. Die vom Kläger zum Beweis dieser Behauptung benannte Zeugin S. ist zu dieser Frage nicht vernommen worden. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt darüber hinaus zu Recht, dass das Berufungsgericht die Angaben des Sachverständigen in seinem Gutachten vom 4. Februar 2010, S. 10 sowie in der mündlichen Verhandlung vom 4. Februar 2010 (Protokoll S. 12 unten) nicht berücksichtigt hat, wonach die Geschwindigkeit des Fahrzeugs der Beklagten noch nach der Kollision rund 45 km/h betragen habe bzw. wonach von einer Kollisionsgeschwindigkeit von 45 bis 50 km/h auszugehen sei, obwohl der Beklagte zu 1 vor der Kollision eine Vollbremsung eingeleitet hatte. Diese ihm günstigen Angaben hat sich der Kläger jedenfalls konkludent zu eigen gemacht (vgl. Senatsurteil vom 8. Januar 1991 – VI ZR 102/90, VersR 1991, 467, 468; Senatsbeschluss vom 30. November 2010 – VI ZR 25/09, VersR 2011, 1158 Rn. 9).
Das Berufungsgericht hat darüber hinaus – wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht geltend macht – den Vortrag des Klägers in der Klageschrift und im Schriftsatz vom 10. Juni 2011 nicht berücksichtigt, wonach der Beklagte die örtlichen Verhältnisse bestens kenne, weil er in der Nähe wohne und deshalb gewusst habe, dass sich dort ein Fußgängerüberweg befinde, der zu der Kaserne führe und von Soldaten in der Zeit zwischen 7.00 Uhr und 7.15 Uhr benutzt werde.
2. Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre.
3. Bei der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, sich auch mit den weiteren Einwendungen des Klägers auseinanderzusetzen. Es wird dabei insbesondere zu beachten haben, dass der Ersatzanspruch des Klägers, den als Fußgänger im Gegensatz zu den Beklagten keine Gefährdungshaftung trifft, gemäß § 9 StVG, § 254 BGB nur dann gekürzt werden darf, wenn feststeht, dass er den Schaden durch sein Verhalten mitverursacht oder mitverschuldet hat. Auf die „bloße Unterstellung der wahrscheinlichsten Parameter“ (vgl. Zurückweisungsbeschluss S. 3 unter 2. a) kann ein Mitverschulden des Klägers nicht gestützt werden. Erforderlich ist vielmehr eine Überzeugung des Gerichts nach dem Beweismaß des § 286 ZPO. Die Darlegungsund Beweislast für ein Fehlverhalten des Klägers trifft dabei die Beklagten.
Das Berufungsgericht wird auch zu berücksichtigen haben, dass es sich bei dem Schmerzensgeldanspruch und dem Anspruch auf Ersatz materiellen Schadensersatzes um prozessual selbständige Streitgegenstände handelt (Senat, Beschluss vom 25. April 1989 – VI ZB 13/89, VersR 1989, 818; Urteil vom 22. Mai 1984 – VI ZR 228/82, VersR 1984, 782, 783; BGH, Urteil vom 18. März 1959 – IV ZR 182/58, BGHZ 30, 7, 18; Zöller, ZPO, 30. Auflage, Einleitung Rn. 73). Sie unterliegen jeweils für sich genommen dem Verbot der reformatio in peius (vgl. BGH, Urteil vom 12. September 2002 – IX ZR 66/01, VersR 2003, 509).
Galke Richter am Bundesgerichtshof Diederichsen
. Wellner ist wegen Urlaubs gehindert,
. seine Unterschrift beizufügen
. Galke
. von Pentz Offenloch
Vorinstanzen:
LG Ingolstadt, Entscheidung vom 30.01.2013 – 33 O 623/11 –
OLG München, Entscheidung vom 26.06.2013 – 10 U 750/13 –
Hallo Leute,
habt ihr den Absatz Ziffer II Nr. 3 des Beschlusses genau gelesen? Dort stellt der VI. Zivilsenat noch einmal klar, dass die Darlegungs- und Beweislast für das behauptete Mitverschulden der Schädiger trägt. Damit sind die Schreiben der HUK-COBURG, mit denen sie die Sachverständigenkosten kürzt, und darauf hinweist, dass der Geschädigte für die erforderliche Höhe über den gekürzten, von der HUK-COBURG anerkannten Kosten, beweispflichtig sei und die Darlegungslast damit bei dem Geschädigten läge, hinfällig. Wenn die HUK-COBURG ein Mitverschulden einwendet, dann muss s i e darlegen und beweisen. Siehe BGH VI ZR 308/13.
Insoweit ein schöner klarstellender Beschluss des VI. Zivilsenates des BGH.
Grüße aus dem Voralpenland
Martin H.
Hi, Martin H.,
danke für den nützlichen Hinweis. Wer als Vorstand eines marktführenden Autoversicherers es duldet, dass solche Schreiben mit hirnrissigem Inhalt täglich hundertfach zum Versand kommen, gehört nach meiner Beurteilung selbst nicht nicht zur Spezies der vernünftigen und wirtschaftlich denkenden Menschen, denn ein solches Handeln ist von strafrechtlichen Aspekten nicht unbelastet. Die Schrottansammlung von rechtfertigenden „Argumenten“ ist das Papier nicht wert, auf dem sie verbreitet wird. Damit sollten sich deshalb auch die Gerichte kritisch auseinandersetzen und den Vorstand abklärungshalber vor die Schranken des Gerichts zitieren, denn wer hätte da nicht noch ein paar Fragen zwischen Tür und Angel ?
COLOMBO
Hej, COLOMBO,
ja,ja, die bad boys….. Keine Sorge, auch die werden stolpern.
Ludmilla