Das Kammergericht in Berlin hatte als Berufungsinstanz über einen Parkplatzunfall zu entscheiden. Dabei musste es zu den jeweiligen Sorgfaltspflichten der beteiligten Kraftfahrer und zu der Unfallursächlichkeit des Unfallgeschehens Stellung nehmen. Das Kammergericht, also das Berliner OLG, hat den Rechtsstreit mit Urteil vom 25.1.2010 – 12 U 108/09 – beendet.
Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger hatte seinen Pkw auf einem Parkplatz an einem Bahnhof in einer Parkbox vorwärts eingeparkt. Beim Verlassen der Parkbox durch Rückwärtsfahren kam es zwischen dem vom Kläger gesteuerte Pkw und dem Fahrzeug der Beklagten zu 2., das der Beklagte zu 1. geführt hatte und das bei der Beklagten zu 3. haftpflichtversichert ist, zur Kollision. Der Kläger hatte sein Fahrzeug bereits aus der Parkbox rückwärts herausgefahren und stand bereits 10 Sekunden auf der Fahrstrasse, um seine Ehefrau, die er vom Bahnhof abgeholt hatte, einsteigen zu lassen, als der Beklagte zu 1. beim Rückwärtsfahren aus einer Parkbox mit dem Fahrzeug des Klägers kollidierte. Das Landgericht ging von einer Mithaftung des Klägers von 25 % aus. Die Berufung des Klägers führte zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur Haftung der Beklagten zu 100%.
Die 100-prozentige Haftung der Beklagten folgt daraus, dass der Beklagte zu 1. beim Rückwärtsfahren gegen die Fahrerseite im Bereich der hinteren Tür des stehenden Fahrzeuges des Klägers gefahren ist. Beim Rückwärtsfahren hatte der Erstbeklagte den Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 5 der Straßenverkehrsordnung (StVO) gerecht zu werden, also sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Notfalls hätte er sich einweisen lassen müssen. Weil es im Zuge der Rückwärtsfahrens des Beklagten zu 1. zu dem Schaden am Klägerfahrzeug gekommen ist, spricht der Anscheinsbeweis für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Beklagten zu 1. (vgl. KG VM 1988, 32; KG in KG-Rechtsprechung 2005, 151). Dieser Anscheinsbeweis ist auch nach der durchgeführten Beweisaufnahme nicht erschüttert worden. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Erstbeklagte während des Rückwärtsfahrens den hinteren Verkehrsraum hinreichend beobachtet hat, andernfalls hätte er das stehende Fahrzeug des Klägers sehen müssen. Als Zurücksetzender hätte der Beklagte zu 1. den hinteren Verkehrsraum sorgfältig beobachten müssen und dabei darauf achten, dass dieser von hinten und von der Seite her frei ist (vgl. OLG Odenburg VRS 100, 432; OLG Düsseldorf VRS 87, 47; Hentschel Straßenverkehrsrecht 40. Aufl. StVO § 9 Rdnr. 51). Dieser notwendigen Rückschaupflicht ist der Beklagte zu 1. nicht ausreichend genug nachgekommen, anderenfalls wäre es nicht zur Kollision der Fahrzeuge gekommen. Die Betriebsgefahr des Fahrzeuges des Klägers tritt demgegenüber zurück. Dies führt zur vollen Haftung der Beklagten, wenn nicht den Kläger ein Mitverschulden trifft.
Ein Mitverschulden des Klägers ist jedoch nicht bewiesen. Zwar trifft es zu, dass auch der Kläger zunächst rückwärts aus der Parkbox herausgefahren ist. Im Zuge dieser Rückwärtsbewegung ist es allerdings nicht zum Unfall gekommen. Dieser ereignete sich erst, als der Kläger mit seinem Fahrzeug bereits stand, um seine Ehefrau einsteigen zu lassen. Die erhöhten Sorgfaltspflichten beim Rückwärtsfahren gem. § 9 Abs. 5 und § 1 Abs. 2 StVO dienen dem Schutze des Verkehrsraumes, in den das Fahrzeug fahren soll und den der Fahrer nicht so gut einsehen kann wie beim Vorwärtsfahren. Deshalb bestimmt § 9 Abs. 5 Hs. 2 StVO auch, dass erforderlichenfalls der Fahrer sich einweisen lassen muss. Auch ein Verstoß des Klägers, seinerseits auch gegen die Pflicht verstoßen zu haben, darauf zu achten, dass der Gefahrraum hinter dem Fahrzeug frei ist und von hinten und von der Seite her frei bleibt, kann nicht festgestellt werden. Diese Pflicht bestand für den Kläger nur in der Zeit, in der er selbst rückwärts aus der Parkvox herausfuhr. Das Rückwärtsfahren war für den Kläger aber bereits beendet. Dass der Kläger den rückwärts ausparkenden Pkw des Beklagten zu 1. so rechtzeitig bemerkt hat, dass er ausreichend Zeit gehabt hätte, dass er den Beklagten zu 1. durch Hupsignale auf die Gefahrensituation hätte aufmerksam machen müssen, haben die Beklagten nicht dargelegt. Es verbleibt daher bei der 100-prozentigen Haftung der Beklagten.
So das Kammergericht mit Urteil v. 25.1.2010.