Mit Entscheidung vom 06.04.2011 (5 S 238/10) wurde die eintrittspflichtige Versicherung durch das Landgericht Stuttgart in der Berufung zur Erstattung weiterer Nutzungausfallentschädigung in Höhe von EUR 4.900,00 (=160 Tage) verurteilt. Trotz Hinweis auf die wirtschaftliche Situation des Geschädigten hatte die Versicherung des Unfallgegners die Regulierung verzögert. Die Kosten für die Anfrage bei der Rechtsschutzversicherung wurden hingegen nicht zugesprochen.
Geschäftsnummer:
5 S 238/10 Verkündet am
45 C 5034/09 06. April 2011
Amtsgericht Stuttgart
Landgericht Stuttgart
5. Zivilkammer
Im Namen des Volkes
Urteil
Im Rechtsstreit
– Kläger / Berufungskläger –
gegen
… Versicherungs-AG
– Beklagte / Berufungsbeklagte –
wegen Schadensersatz
hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 16. März 2011 durch
Richter am Landgericht …
als Einzelrichter
für Recht erkannt:
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 13. September 2010 – 45 C 5034/09 – abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Euro 4.900, – nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 27.3.2009 abzüglich am 14.10.2010 gezahlter Euro 140, – sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von Euro 498,45 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 20.8.2009 zu bezahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt die Beklagte.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Berufungsstreitwert: bis 5.000, – Euro
Gründe
gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO
Die zulässige Berufung ist bis auf die geltend gemachten Rechtsanwaltskosten für die Einholung einer Deckungszusage begründet.
Die Berufungsgründe des § 513 ZPO liegen vor.
Das angefochtene Urteil beruht auf einem Rechtsfehler. Die der Berufungsverhandlung gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen eine andere Entscheidung.
(1) Der Kläger hat aus §§ 7, 17 StVG, 249 ff. BGB, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG Anspruch auf weiteren Nutzungsausfall in Höhe von Euro 4.900, – abzüglich am 14.10.2010 gezahlter Euro 140, – gegen die Beklagte.
(a) Zur Begründung nimmt das Landgericht zunächst auf seine Hinweis- und Auflagenverfügung vom 24. Januar 2011 Bezug.
(b) In Befolgung der Verfügung hat der Kläger mit Schriftsatz vom 10.2.2011 substantiiert vorgetragen, dass ihm die Kreditaufnahme zur Vorfinanzierung eines Ersatzwagens nicht möglich war. Auf die klägerischen Ausführungen im genannten Schriftsatz wird Bezug genommen. Zudem hat der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung über die Berufung eine Bestätigung des zuständigen Gerichtsvollziehers über Vollstreckungsaufträge gegen ihn vorgelegt.
Danach war es – worauf das Gericht mit Verfügung vom 24. Januar 2011 hingewiesen hat – Sache der Beklagten, darzulegen und zu beweisen, dass dem Kläger gleichwohl eine Kreditaufnahme möglich gewesen wäre. Dem genügt der Vortrag im Schriftsatz der Beklagten vom 30. März 2011, worin sie lediglich bestreitet, dass die Ehefrau des Klägers kein eigenes Einkommen habe, offenkundig nicht.
(c) Auch der Einwand im vorgenannten Beklagtenschriftsatz, das der Kläger erst mit Schreiben vom 3.11.2008 mitgeteilt habe, nicht zur Vorfinanzierung in der Lage zu sein, steht dem Erfolg der Berufung nicht entgegen. Die Beklagte übersieht, dass ihr der Kläger mit Schreiben vom 1. Oktober 2008 eine (kurze) Zahlungsfrist auf den 10. Oktober 2008 (Anlage B1) gesetzt hatte. Nach Ablauf dieser kurzen Frist durfte der Kläger in Erwartung, dass alsbald nach Fristablauf Zahlung erfolgen werde, bis Anfang November zuwarten um der Beklagten sodann die Notwendigkeit zeitnaher Regulierung durch Mitteilung seiner finanziellen Situation vor Augen zu führen.
(d) Der bereits erstinstanzlich hilfsweise vertretenen Auffassung, dass die Beklagte aus Rechtsgründen (OLG Dresden, Urteil vom 30.6.2010 – 7 U 313/10) wegen der langen Nutzungsausfalldauer lediglich auf die Vorhaltekosten hafte, folgt das Gericht unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 25. Januar 2005 – VI ZR 112/04 – und aus den Gründen der Hinweisverfügung nicht.
Die Ermittlung der Schadenshöhe liegt gem. § 287 Abs. 1 ZPO im freien tatrichterlichen Ermessen. Die vom Oberlandesgericht Dresden aus den dort mitgeteilten Gründen vorgenommene Schätzung ist – in sachgerechter Übertragung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den erforderlichen Mietwagenkosten – ebenso möglich wie eine Schätzung auf der Grundlage einer anerkannten Tabelle (hier Schwacke), vgl. BGH, a.a.O. Die vom Oberlandesgericht Dresden vorgenommene Schätzung empfiehlt sich im vorliegenden Fall deshalb nicht, weil vorliegend nicht festgestellt werden kann, dass sich die Gebrauchsvorteile, die dem Kläger durch die Beschädigung seines Fahrzeugs täglich entgangen sind, während der Zeit des Nutzungsausfalls vermindert hätten, vgl. BGH, a.a.O. Dass die Höhe der Nutzungsausfallentschädigung nicht durch den Wert des Fahrzeugs begrenzt ist, ist ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. BGH, a.a.O.
(2) Die zugesprochenen vorgerichtlichen Kosten richten sich nach der Höhe der zu erkannten Nutzungsausfallentschädigung.
Insoweit wurde jeweils der gesetzliche Verzugszins in Ansatz gebracht.
(3) Ein Nebenanspruch des Klägers auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten zur Einholung der Deckungszusage bei seiner Rechtschutzversicherung besteht nicht. Insoweit wird auf die Hinweisverfügung vom 24. Januar 2011 und auf den im Termin vom 16. März 2011 wiederholten Hinweis Bezug genommen.
Der Kläger hat nicht dargelegt, weshalb er zur Einholung der Deckungszusage auf anwaltliche Hilfe angewiesen war.
(4) Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 91, 97 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 10, 711.713ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.
Das muss ja ein echt toller Anwalt sein, der diese Entscheidung erstritten hat 😉
http://ra-frese.de/2011/04/12/160-tage-nutzungsausfall
Hallo Herr Kollege
Gut gemacht,weiter so!
Schade nur um die Deckungsanfragekosten;der BGH verhandelt darüber am 13.12.2011 ab 9 Uhr in der VI ZR 274/10.Meine Sachen ruhen derweil.
MfkG Lutz Imhof
Hallo Lutz,
handelt es sich bei dem Revisionsverfahren VI ZR 274/10 um das vom LG Würzburg?
Mit freundl. Grüßen
Willi
Hallo Willi
so ist es.
Bleibt abzuwarten,ob die HUK wieder einen taktischen Rückzieher macht um ein mit Gründen versehenes BGH-Urteil zu verhindern und dann weiter behaupten zu können,man habe Recht. (siehe hier bereits unter „das Allerletzte“)
Hi Ra. Imhof,
in den Augen der HUK und nach dem Verständnis der Vorstände hat die HUK doch immer recht. Da brauch es eigentlich keiner BGH-Rechtsprechung. Selbst wenn der BGH gegen HUK-Coburg entscheidet, werden diese Urteile als Einzelfallentscheidung abgetan oder schlichtweg ignoriert. Was schert mich der BGH?
In Coburg ist das Rechtsverständnis eben anders. Der stärkere hat recht und deshalb will die HUK doch auch der größte Versicherer werden.
Aber meine Sympathien liegen bei dem Schwächeren. Der muss gestärkt werden! Deshalb noch mehr Urteile gegen die Coburger Firma hier einstellen. Nicht nur verstärkt aus den neuen Bundesländern – da natürlich auch – , auch aus Bayern, B-W., R-P., Saarland, Hessen, NRW, Niedersachsen, Bremen, HH, S-H. und Berlin. Es ergehen doch genug Urteile gegen HUK-Coburg und ihre VNs.
Hi Besserwisser
Die HUK vermeidet mittlerweile in zunehmendem Umfang Urteile,indem nach Klagezustellung anerkannt wird.
Daneben ist festzustellen,dass in ca.50% der Fälle SV-Rechnungen trotz erheblicher Überschreitung des BVSK-HUK-Gesprächsergebnisses auch ohne Klageerhebung vollständig gezahlt werden.
Die Presse interessiert sich i.Ü.nichtmehr für das Thema,weil es in deren Augen „durch“ ist.
…kann diese HUK Einstellung nicht schon als Verfassungswidrig ausgelegt werden?
Wer sich ständig gegen geltendes Recht stellt hat doch auch keine Berechtigung Fahrzeuge „auf Gegenseitigkeit“ zu versichern, oder?
@Frank
verfassungswidrig ist das nicht;die HUK interpretiert nur auf ihre eigene Art den „Geiz ist Geil“-Slogan
Hallo Frank,
verfassungswidrig ist das nicht. Verfassungswidrigleit liegt dann vor, wenn gegen Grundgesetze verstoßen wird, also in der Regel der Staat oder die Behörde gegenüber dem Bürger die dem Bürger zustehenden Grundrechte mißachtet. Hier ignoriert einfach die HUK-Coburg bestehende Rechtsprechung.
Mit freundlichen Grüßen ins Frankenland
Willi
Hallo Ra. Imhof,
bei der HUK-Coburg ist das Thema SV-Kosten-Kürzung aber noch nicht durch. Ständig und regelmäßig werden noch Kostenrechnungen der Sachverständigen willkürlich herunter gekürzt. Wenn allerdings Klage erhoben wird, wird regelnäßig gezahlt. Dies gilt auch bei der Kürzung auf BVSK-HUK-Gesprächsergebnis-Niveau. Bei der HUK ist nämlich angekommen, dass das Gesprächsergebnis nach ganz herrschender Meinung in Literatur und Rechtsprechung Sondervereinbarung ist, auf deren Preise sich der Geschädigte nicht verweisen lassen muss.
Bedauerlich ist nur, dass sich einige Sachverständige mit der HUK-Coburg auf Dumpingpreise arrangiert haben und andere Sachverständige die Klagen scheuen.
Noch einen schönen Sonntagabend
Willi
RA Imhof schrieb:
„Bleibt abzuwarten,ob die HUK wieder einen taktischen Rückzieher macht um ein mit Gründen versehenes BGH-Urteil zu verhindern und dann weiter behaupten zu können,man habe Recht.“
Der IV. Senat des BGH veröffentlicht regelmäßig „Nichtentscheidungen“ (soweit ich mich erinnere in der r+s), also Entscheidungen zu Verfahren, in denen es zu keiner Entscheidung kam, weil eine Seite einen Rückzieher gemacht hat. Wäre eine Anregung für den VI. Senat oder ?
Grüße aus der Suhle an den Untermain
Schwarzkittel
@Schwarzkittel
§§565,516 I ZPO bieten die Möglichkeit,die Revision/Berufung bis zur Urteilsverkündung zurückzunehmen.
Hier sollte die Justiz entlastet werden,was m.E.durch strategisches Verhalten von Grosskonzernen ins Gegenteil verkehrt wird nach dem Motto:vermeide jedes BGH-Urteil,was dir schaden könnte.
Rechtsfortbildung schafft Rechtsklarheit und damit Rechtsanwendungssicherheit für die unteren Tatsacheninstanzen.
Man kann den Eindruck gewinnen,dass Grosskonzerne mitunter keine Rechtsanwendungssicherheit wollen,weil sie vor dem Hintergrund einer höchstrichterlich ungeklärten Rechtslage mit ihren Marktstrategieen weiter profitieren können.
Die Politik muss der Justiz mehr-viel mehr-Geld geben!
Der BGH hat aber bereits erkannt,dass taktische Rücknahmen vermieden werden müssen.Entsprechend viel-,oder nichtssagend sind daher die Hinweise der Richter in der mündlichen Verhandlung geworden.
Zitat“verfassungswidrig ist das nicht;die HUK interpretiert nur auf ihre eigene Art den “Geiz ist Geil”-Slogan“ Z-Ende.
…wenn’s schon nicht Verfassungswidrig ist vielleicht ist es dann Verbraucher- oder Sachverständigen Mopping?
Jedenfalls kann’s doch nicht normal sein wenn ständig gegen die Rechtsprechung gehandelt wird. Ein kleiner Straftäter wird verurteilt. Wenn er dann nicht spurt wird der eingsperrt.
Aber bei der HUK? Je toller de besser oder wie?
Ich frag mich langsam in welcher „Rechtsordnung“ wir eigentlich leben.
Je mehr Geld die glauben zu haben desto mehr Freiheiten können sich solch kriminelle leisten oder?
Toll
@ Frank:
Ich kann die Aufregung über die Versicherer verstehen. Aber um so wichtiger ist es, bei der Auseinandersetzung wirklich sehr genau zu argumentieren. Und insofern bringen Sie es mit dem Beispiel des Straftäters auf den Punkt, denn selbstverständlich entfaltet eine gerichtliche Entscheidung in dem konkreten Einzelfall in dem sie ergeht auch Bindungswirkung bzw. kann im Wege der Vollstreckung durchgesetzt werden. Dies gilt aber letztlich eben NUR für den Einzellfall und auch eine BGH-Entscheidung bindet nicht etwa zwanghaft andere Gerichte in anderen Verfahren oder verbietet ihnen davon abzuweichen. Ansonsten wäre doch auch die sehr begrüßenswerte Entscheidung des AG Kerpen – 104 C 477/09 – schwer möglich gewesen. Der Richter ist dann nur gehalten, mitzuteilen, dass es eine entgegenstehende BGH-Auffassung gibt und aus welchem Grund er davon abweicht.
MfG
RANRW Dienstag, 24.05.2011 um 13:37 @ Frank:
Ich kann die Aufregung über die Versicherer verstehen. Aber um so wichtiger ist es, bei der Auseinandersetzung wirklich sehr genau zu argumentieren. Und insofern bringen Sie es mit dem Beispiel des Straftäters auf den Punkt, denn selbstverständlich entfaltet eine gerichtliche Entscheidung in dem konkreten Einzelfall in dem sie ergeht auch Bindungswirkung bzw. kann im Wege der Vollstreckung durchgesetzt werden. Dies gilt aber letztlich eben NUR für den Einzellfall und auch eine BGH-Entscheidung bindet nicht etwa zwanghaft andere Gerichte in anderen Verfahren oder verbietet ihnen davon abzuweichen. Ansonsten wäre doch auch die sehr begrüßenswerte Entscheidung des AG Kerpen – 104 C 477/09 –schwer möglich gewesen. Der Richter ist dann nur gehalten, mitzuteilen, dass es eine entgegenstehende BGH-Auffassung gibt und aus welchem Grund er davon abweicht.
Hallo, RANRW,
wenn dem so ist, wie ausgeführt, müßte doch auch im umgekehrten Fall ein Richter bei Auseinandersetzungen um das Sachverständigenhonorar als Schadenersatzposition darlegen, warum er von der BGH-Rechtsprechung zum Nachteil des betroffenen Unfallopfers abweicht. Und wenn er nicht so verfährt, was ist dann, Herr Otting, Herr Imhof und Herr Wortmann (alle anderen Juristen sind gern eingeschlossen) ?
MfG
Bernd K.