Hallo verehrte Captain-Huk-Leserschaft,
hier und heute streuen wir noch ein historisches BGH-Urteil zum § 287 ZPO in die aktuellen Urteile ein. Das Resümee aus den bisher veröffentlichten BGH-Urteilen über sämtliche Zivilsenate des BGH in Sachen § 287 ZPO ist eindeutig. Eine Schätzung des Schadens nach § 287 ZPO darf nur vorgenommen werden, sofern der konkrete Schaden nicht nachgewiesen ist. Diese Schätzung dient dann jedoch nur der Beweiserleichterung für den Kläger und nicht umgekehrt. Bei den Reparaturkosten, Abschleppkosten, Mietwagenkosten, Sachverständigenkosten usw. ist der konkrete Schaden bzw. die Kosten zur Schadensbeseitigung gemäß § 249 Abs. 1 BGB eindeutig durch eine Rechnung, z.B. des Abschleppunternehmers, des Mietwagenunternehmers, der Fachwerkstatt und des Sachverständigen, nachgewiesen. Demzufolge gibt es im Rahmen eines Schadensersatzprozesses keinen Raum für eine Schätzung auf der Grundlage von § 287 ZPO. Und schon gar nicht ist eine willkürliche Kürzung der vorgelegten Rechnung zu Lasten des Klägers á la Bundesrichter Wellner vom VI. Zivilsenat des BGH zulässig. Der BGH hatte bereits mit seiner Entscheidung vom 23.1.2007 – VI ZR 67/06 – eine Preiskontrolle dem Schädiger und dem Gericht untersagt (vgl. dazu auch v. Ullenboom NJW 2017, 849, 852 Fußn. 45). Der VI. Zivilsenat des BGH hat mit seiner jüngeren Rechtsprechung zu den Mietwagenkosten und zu den Schverständigenkosten die vorhergehende BGH-Rechtsprechung völlig auf den Kopf gestellt, und zwar ohne Not. Eine Preiskontrolle ist nach diesseitiger Ansicht durch § 287 ZPO nicht gedeckt, denn bei der Schadenshöhenschätzung nach § 287 ZPO kommt es nur auf den Gesamtbetrag an, wie dies bei den Sachverständigenkosten leicht nachweisbar ist. Der eine Sachverständige rechnet ein niedrigeres Grundhonorar ab, dafür höhere Nebenkosten. Der andere berechnet ein höheres Grundhonorar, dafür dann niedrigere Nebenkosten. Beide Sachverständige kommen im Endergebnis zum gleichen Betrag. Kann man nun im Rahmen der Schadenschätzung nach § 287 ZPO bei dem einen oder dem anderen Einzelposten kürzen? Die Antwort kann nur Nein lauten, den der Schaden ist der Gesamtbetrag, und der ist bei beiden gleich. Schon von daher ist die jüngste Rechsprechung des BGH zu § 287 ZPO mehr als kritisch zu betrachten. Bedauerlich ist nur, dass der VI. Zivilsenat, trotz entgegen stehender Rechtsprechung der Obergerichte, z.B. in Hamburg und der Literatur, bei der Schätzung von Einzelposten der vorgelegten Rechnung mit dem Endbetrag, der den Schaden darstellt, verbleibt. Will der VI. Zivilsenat damit eine Preiskontrolle etablieren? Lest selbst das BGH-Urteil und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab.
Viele Grüße
Willi Wacker
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 14/67 Verkündet am: 09. Juli 1968
In dem Rechtsstreit
…
§ 287 ZPO ist auch dann anzuwenden, wenn die Höhe der Geldbeträge streitig ist, die der auf Schadenersatz in Anspruch genommene Beklagte von einem Dritten, der die Gelder veruntreut hatte, in Einzelposten erhalten hat.
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juli 1968 unter Mitwirkung des Senatspräsidenten Dr. Engels und der Bundesrichter Dr. Bode, Heinrich Meyer, Dr. Weber und Sonnabend
für Recht erkannt:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 8. November 1966 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision fallen dem Beklagten zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin beschäftigte seit November 1967 in ihrem Betrieb die Buchhalterin G. K. . Im Juni 1963 entdeckte sie, daß diese Buchhalterin seit 1958 laufend Gelder des Geschäfts an sich gebracht hatte, indem sie Schecks mit der Unterschrift des Geschäftsinhabers fälschte und sodann, soweit sie Barschecks ausgeschrieben hatte, sich auszahlen oder, soweit sie Verrechnungsschecks ausgestellt hatte, einem Konto gutschreiben ließ, das sie sich hatte einrichten lassen. In dem gegen sie durchgeführten Strafverfahren, in welchem sie zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren und zu Geldstrafen verurteilt wurde, ist festgestellt worden, daß sie mindestens 117.000 DM an sich gebracht hat.
In diesem Strafverfahren war auch Anklage gegen den Beklagten erhoben, mit dem die Buchhalterin K. seit Sommer 1958 eng befreundet gewesen war und als dessen Verlobte sie sich ausgegeben hatte. Das Schöffengericht hatte ihn wegen gemeinschaftlich begangenen Betruges in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Urkundenfälschung zu zwei Jahren Gefängnis verurteilte Auf seine Berufung hat ihn die Strafkammer durch Urteil vom … 1964 (Beiakten … Ms …/63 Staatsanwaltschaft B.) freigesprochen. Obschon die Angeklagte K. bestritt, die Gelder dem Beklagten zugewandt oder für ihn ausgegeben zu haben, hat die Strafkammer in ihrem Urteil festgestellt, diesem seien annähernd 50.000 DM zugeflossen. Sie hat ihn jedoch von der Anklage, Mittäter oder Anstifter gewesen zu sein oder sich jedenfalls der Hehlerei schuldig gemacht zu haben, freigesprochen, weil sie glaubte, nicht sicher feststellen zu können, daß der Beklagte gewußt habe, auf welche Art und Weise die Angeklagte K. sich das Geld aus der Firma verschafft hatte.
Mit der Klage verlangt die Klägerin vom Beklagten Zahlung von 60.000 DM. Nach ihrer Behauptung hat er von ihrer Buchhalterin mindestens diesen Betrag erhalten. Der Beklagte hat bestritten, von ihr Gelder empfangen zu haben. Zwar habe sie ihm hin und wieder kleinere Beträge gegeben oder für ihn ausgelegt, doch habe er geglaubt, daß sie dieses Geld von ihrem Verdienst übrig behalten habe. Seine Ausgaben habe er von den Ersparnissen bestritten, die er 1955 bei seiner Rückkehr aus der Fremdenlegion in Höhe von mehreren 10.000 DM mitgebracht und in einer Kassette heimlich aufbewahrt habe.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag, die Klage abzuweisen, weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hält für erwiesen, daß der Beklagte in der Zeit von 1958 bis Ende Juni 1963 mindestens 60.000 DM der von der Buchhalterin veruntreuten Gelder dadurch erlangt hat, daß diese für ihn Rechnungen und sonstige Verbindlichkeiten abgedeckt habe, die im Zusammenhang mit dem Bau seines Einfamilienhauses entstanden waren, und daß sie Wechsel eingelöst habe, die der Beklagte beim Kauf der Kraftwagen gegeben hatte, daß sie ferner die von ihm erworbene Gaststätte zum Teil finanziert und die Lieferanten dieser Gaststätte bezahlt habe. Der Beklagte habe gewußt, daß die Zeugin K. monatlich nur 350,- bis 470,- DM verdient und keine weiteren Einnahmen gehabt habe. Selbst wenn sie ihn nicht in die Einzelheiten der Tatausführung eingeweiht haben sollte, so habe er jedenfalls gewußt, daß sie die Gelder nur durch unrechtmäßige Handlung dem Vermögen der Firma entnommen haben konnte. Er habe zumindest billigend in Kauf genommen, die Klägerin dadurch zu schädigen, daß diese ihren Ersatzanspruch gegen ihre ungetreue Angestellte nunmehr nicht verwirklichen könne. Infolgedesen sei auch er ersatzpflichtig (§ 826 BGB).
II.
Diese Beurteilung ist rechtsfehlerfrei (vgl. RGZ 94, 191, 195; Senatsurteil vom 26. März 1968 – VI ZR 142/66 = Betr 1968, 976). Sie wird auch von der Revision nicht angegriffen, Diese beanstandet lediglich das Verfahren, mit dem das Berufungsgericht die Höhe des vom Beklagten zu ersetzenden Schadens festgestellt hat. Damit kann sie jedoch keinen Erfolg haben.
1. Das Berufungsgericht hat eine große Zahl der Zeugen, die schon im Strafverfahren vernommen worden waren, erneut gehört und aufgrund deren Aussagen festgestellt, daß Frl. K. wiederholt Rechnungen und sonstige Verbindlichkeiten des Beklagten durch Zahlkartenüberweisungen oder in bar beglichen hatte, die er für den Bau seines Hauses, die Anschaffung der Kraftfahrzeuge und für seine Gaststätte zu zahlen hatte. Das Berufungsgericht hat ferner aufgrund der Unterlagen, die im Strafverfahren beim Beklagten sichergestellt worden waren, und der das Konto K. betreffenden Kontoauszüge festgestellt, daß der Beklagte in auffälligem Zusammentreffen immer dann größere Summen gezahlt habe, nachdem Frl. K. kurz zuvor einen annähernd gleich hohen Betrag von ihrem Konto abgehoben hatte. Das Berufungsgericht hat fünf solcher Fälle ausdrücklich festgestellt, bei denen der Beklagte insgesamt fast 18.500 DM erhalten hat. Seine Einlassung, er habe aus der Fremdenlegion 60-70.000 DM mitgebracht, hält das Berufungsgericht für eine Schutzbehauptung und stellt fest, daß er allenfalls einige tausend DM mitgebracht habe. Es ist deshalb überzeugt, daß die von Frl. K. veruntreuten Gelder „zu einem erheblichen Teil“ dem Beklagten zugeflossen seien. Die Höhe dieses Betrages hat das Berufungsgericht gemäß § 287 ZPO geschätzt. Dabei geht es – in Übereinstimmung mit den Feststellungen, die die Strafkammer getroffen hatte – davon aus, daß der Beklagte nach den bei ihm vorgefundenen Belegen in der Zeit von 1958 bis Ende Juni 1963 für den Bau seines Hauses, den Kauf der Kraftfahrzeuge, den Kauf und den Betrieb seiner Gaststätte sowie für seinen Lebensunterhalt insgesamt etwa 121.600 DM ausgegeben, aber nur 42.600 DM aus seinen Verdienst als Former und anderweitig eingenommen habe. Da er die Differenz von rd. 79.000 DM nur zum geringen Teil erläutert habe, hat das Berufungsgericht geschätzt, daß ihm mindestens 60.000 DM, also die eingeklagte Summe, zugeflossen seien.
2. Die Revision meint, im vorliegenden Fall sei die Vorschrift des § 287 ZPO nicht anwendbar. Hier gehöre nämlich zu dem nach § 286 ZPO zu beweisenden konkreten Haftungsgrund die Feststellung jeder einzelnen Summe, die der Beklagte empfangen haben solle. Seine Haftung ergebe sich nicht aus einer einzigen Handlung, deren Schadensfolgen nach § 287 ZPO geschätzt werden könnten, sondern aus einer Vielzahl von Einzelhandlungen, die jede für sich den Tatbestand des § 826 BGB darstellten.
Diese Rüge ist unbegründet.
Richtig ist zwar, daß der sog. konkrete Haftungsgrund nach den strengen Grundsätzen des § 286 ZPO festzustellen ist und nur die Höhe des aus diesem Haftungsgrund, erwachsenen Schadens nach § 287 ZPO geschätzt werden darf (BGHZ 29, 393, 398 [BGH 16.03.1959 – III ZR 20/58]; 4, 192, 196) [BGH 13.12.1951 – IV ZR 123/51]. Diesen Grundsatz hat das Berufungsgericht aber nicht verletzt. Daß der Beklagte dem Grunde nach ersatzpflichtig ist, hat das Berufungsgericht in mehreren von ihm näher beschriebenen Einzelfällen aufgrund des § 286 ZPO für nachgewiesen erachtet. Insbesondere hat es aufgrund der Zeugenaussagen die Überzeugung gewonnen, daß der Beklagte von Frl. K.. Geld für den Bau seines Hauses, den Kauf der Kraftfahrzeuge und seine Gaststätte erhalten hat. Diese Feststellungen hat das Berufungsgericht ebenfalls nach den Grundsätzen des § 286 ZPO getroffen. Auch die Revision leugnet nicht den Grund des Anspruchs, sondern nur dessen Höhe. Warum dann § 287 ZPO nicht anwendbar sein soll, ist nicht einzusehen. Wer beispielsweise vom Lagerplatz des Bestohlenen mit einem Fahrzeug Kohlen abgefahren hat, kann nicht verlangen, daß der Bestohlene die Menge der Kohlen nach den Grundsätzen des § 286 ZPO nachweist. Das gilt ebenso, wenn er die Kohlen fortgesetzt abgefahren hat, und nun zu prüfen ist, wie oft er dies getan hat. Dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. Februar 1952 – I ZR 65/51 – LM § 286 (B) Nr. 4 – liegt ein anders gearteter Fall zugrunde. Steht aber eine Forderung ihrem Grunde nach fest und ist nur ihre Höhe nicht sicher zu ermitteln, so darf der Richter die Klage nicht mangels Beweises abweisen, sondern muß zur Schätzung nach § 287 ZPO greifen (RGZ 148, 70; BGH Urteile vom 1. März 1951 – III ZR 9/50 – LM § 287 ZPO Nr. 3 und vom 16. Dezember 1963 – III ZR 47/63 – LM § 287 ZPO Nr. 33). Wohl müssen gewisse tatsächliche Grundlagen für die Schätzung vorhanden sein und vom Tatrichter sachgerecht und erschöpfend ausgewertet werden (BGHZ 39, 198, 219 [BGH 08.11.1962 – III ZR 86/61]; 29, 393, 400 [BGH 16.03.1959 – II ZR 20/58]; 6, 62, 63) [BGH 30.04.1952 – III ZR 198/51]. Daß das Berufungsgericht gegen diese Grundsätze verstoßen hätte, hat die Revision jedoch nicht behauptet.
III.
Die Revision erweist sich somit als unbegründet, so daß sie unter Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen war.
Dr. Engels Dr. Bode Meyer
. Dr. Weber Sonnabend
KG Berlin, Entscheidung vom 08.11.1966
LG Berlin
Vorinstanzen:
Hallo Willi,
es fragt sich, warum gerade in dem VI. Zivilsenat des BGH die Wandlung der Ansicht zum § 287 ZPO vorgenommen wurde? Hat das eventuell damit zu tun, dass in diesem Senat gerade Schadensersatzforderungen aus Verkehrsunfällen abgeurteilt werden, bei denen häufig der Haftpflichtversicherer auf der Beklagtenbank sitzt?
Oder liegt es daran, dass früher auch im VI. Zivilsenat gewissenhafter gearbeitet wurde?
Wer kann eine plausible Erklärung abgeben?
Antwort: Der Berichterstatter beim VI. Zivilsenat schaufelt sich die Taschen voll mit Kohle aus der Versicherungswirtschaft.
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