Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,
nachstehend greifen wir auf eine ältere Entscheidung des OLG Hamburg zurück und stelle die Euch heute vor. Das geschieht nicht, weil wir keine aktuellen Urteile mehr hätten, sondern wegen der Brisanz des versicherungsseitigen Vortrags von Vorschäden, die die Versicherungswirtschaft in der sogenannten HIS-Datei speichert. Es zeigt sich an Hand dieser Entscheidung, wie wichtig eine sachverständige Dokumentation der Vorschäden und eine sachverständige Dokumentation der reparierten Vorschäden ist. In dem nachfolgend aufgeführten Urteil des OLG Hamburg wird das typische Beispiel dargestellt, wenn keine ordnungsgemäße Dokumentation der entsprechend der Ausführungen im Schadensgutachten reparierten Schäden vorliegt. Dann schlägt das Imperium der Versicherer gnadenlos mit der HIS-Datei zurück. Diese Entwicklung in der Rechtsprechung zeigt aber auch, dass es aus Gründen der „Waffengleichheit“ zwingend erforderlich ist, dass auch freie und unabhängige Kfz-Sachverständige einen Zugang zur HIS-Datei erhalten müssen. Ähnlich entschieden hatte auch das LG Essen (2 O 274/12). Ebenso wichtig ist, dass der Versicherer des Schädigers die Kosten der Dokumentation der durchgeführten Reparatur trägt, denn diese sind kausal auf das Unfallereignis zurückzuführen und daher als erforderliche Wiederherstellungskosten des ursprünglichen Zustandes anzusehen. Lest selbst das Urteil des OLG Hamburg und gebt anschließend bitte Eure sachlichen Kommentare ab.
Viele Grüße
Willi Wacker
Hanseatisches Oberlandesgericht
Az.: 14 U 57/13
331 O 74/11
LG Hamburg
Verkündet am:
29. August 2013
Urteil
IM NAMEN DES VOLKES
In der Sache
…
– Kläger, Berufungsbeklagter u. Berufungskläger –
gegen
1) …
– Beklagter, Berufungskläger u. Berufungsbeklagter –
2) …
– Beklagte, Berufungsklägerin u. Berufungsbeklagte –
erkennt das Hanseatische Oberlandesgericht – 14. Zivilsenat – durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht … als Einzelrichter auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 22.08.2013 für Recht:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg
vom 4.3.2013 (Az.: 331 O 74/11) abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Die Kosten beider Instanzen trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
I.
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadenersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 24.9.2010 in Hamburg auf der Straße Landwehr ereignete. Der Beklagte zu 1) wollte auf der Kreuzung Hasselbrookstraße/Landwehr von der Hasselbrookstraße nach links in die Straße Landwehr einbiegen. Er fuhr bei grün in diese Kreuzung ein, musste aber einen Moment warten, weil er entgegenkommenden Verkehr durchfahren lassen musste.
Der Zeuge … befuhr mit dem klägerischen Fahrzeug die Straße Landwehr in Richtung
Sievekingsallee. Diese Straße ist zweispurig für die von dem Zeugen gewählte Fahrtrichtung, er fuhr auf der rechten Fahrspur bei für ihn grünem Ampellicht in die Kreuzung ein. In der Folge kam es zur Kollision zwischen beiden Fahrzeugen, diese Kollision ereignete sich nach dem Fußgängerüberweg am Ausgang der Kreuzung, als der Beklagte zu 1) mit seinem Fahrzeug sich in die rechte Fahrspur einordnen wollte. Dabei wurde das Fahrzeug des Klägers an der linken Seite beschädigt, das des Beklagten zu 1) an der rechten. Das Fahrzeug des Klägers hatte einen Vorschaden, von dem streitig ist, ob er ordnungsgemäß repariert worden ist.
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme eine Quote von 60 zu 40 zugunsten des Klägers gebildet und hat auf dieser Basis der Klage nach Kürzung einiger Schadenspositionen teilweise stattgegeben. Auf die Feststellungen des landgerichtlichen Urteil wird Bezug genommen. Mit ihren form- und fristgerecht eingelegten Berufungen verfolgen beide Parteien ihre erstinstanzlichen Anträge weiter. Der Kläger möchte eine volle Haftung der Beklagten erreichen, die Beklagten meinen, schon dem Grunde nach sei die Klage abzuweisen, im Übrigen sei der Schaden nicht schlüssig dargelegt, weil nicht feststünde, ob und in welchem Umfang ein bestehender Vorschaden repariert worden sei.
Der Kläger macht geltend, der vorgerichtlich tätige Sachverständige … habe das
klägerische Fahrzeug vor dem Unfall untersucht und dabei festgestellt, dass die Teile, die bei dem streitigen Unfall beschädigt worden seien, sich in einem ordnungsgemäßen Zustand befunden hätten.
Der Kläger beantragt,
1. unter Abänderung des am 4.3.2013 verkündeten Urteil des Landgerichts Hamburg, Az. 331 O 74/11, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 8.420,80 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
2. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagten beantragen,
1. unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Hamburg die Klage kostenpflichtig abzuweisen,
2. die Berufung des Klägers kostenpflichtig zurückzuweisen.
Sie machen neben Einwendungen zum Grund des Anspruchs insbesondere geltend, dass das Landgericht zu Unrecht von der ordnungsgemäßen Reparatur des Vorschadens ausgegangen sei.
Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Parteien wird verwiesen auf den Inhalt der bei Gericht eingereichten Schriftsätze.
II.
Auf die Berufung der Beklagten war das landgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen. Die Berufung des Klägers war zurückzuweisen. Dem Kläger steht ein Schadenersatzanspruch gegen die Beklagten nicht zu. Wie bereits im Hinweis vom 5.7.2013 ausgeführt, ist dem Kläger die Darlegung einer ordnungsgemäßen und fachgerechten Reparatur des Vorschadens nicht gelungen. Aus den Angaben des Zeugen … , der vorgerichtlich als Sachverständiger tätig war, ergibt sich, dass das Fahrzeug einen massiven Vorschaden gehabt haben muss, der insbesondere auch die linke Seite betroffen haben muss. Hinsichtlich dieses Vorschadens hat der Zeuge … auch noch ganz erhebliche Restspuren festgestellt, nämlich eine Veränderung von Spaltmaßen und Wellen im Bodenblech auf der Fahrerseite. Dass bei einem derartigen Befund von einer ordnungsgemäßen Reparatur des Vorschadens nicht die Rede sein kann, liegt auf der Hand. Ob und in welchem Umfang weitere Teile des Fahrzeugs, die jetzt bei dem streitigen Unfall beschädigt worden sind, vorgeschädigt waren und ob und in welchem Umfang sie für diesen Fall vor dem streitigen Unfall ordnungsgemäß in Stand gesetzt worden sind, bleibt offen. Was im Einzelnen im Rahmen des Vorschadens an dem klägerischen Fahrzeug ursprünglich beschädigt worden war, bleibt dunkel. Aus dem Kaufvertrag K 4 ergibt sich nur, dass ursprünglich ein Totalschaden bestand. Einzelheiten dazu sind nicht bekannt. Jedenfalls muss die linke Seite des Fahrzeugs massiv geschädigt worden sein, dies zeigen die noch unstreitig vorhanden Restspuren in den Spaltmaßen und vor allem in dem Bodenblech auf
der Fahrerseite. Der Zeuge … hat bei seiner Besichtigung vor dem streitigen Unfall lediglich eine äußere Beschau vorgenommen. Er hat das Fahrzeug für seine Untersuchung nicht demontiert und konnte auch nichts dazu sagen, wer den Vorschaden instand gesetzt und wie diese Reparatur ausgeführt worden ist. Nicht einmal Schichtstärkenmessungen an den äußerlich ordnungsgemäßen Blechteilen sind durchgeführt worden. Mit diesen Befund lässt sich nicht beweisen, dass ein vorbestehender Schaden ordnungsgemäß repariert worden ist. Es besteht die Möglichkeit, dass der Zustand des Fahrzeugs schlechter war als der Zustand, den der Kläger jetzt zur Grundlage seiner Schadensabrechnung gemacht hat. Die Darlegungs- und Beweislast für den Schaden trägt der Kläger. Da ihm ein Schadenersatzanspruch aufgrund seiner eigenen Darlegung nicht zusteht, war die Klage insgesamt abzuweisen. Daraus ergibt sich zugleich, dass die Berufung des Klägers, der eine volle Regulierung des von ihm behaupteten Schadens erstrebte, zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Eine Fahrzeuguntersuchung auf Vorschäden und daraus verbliebenen Mängeln ist nahezu regelmäßig mit einem erheblichen Aufwand verbunden, den kein Versicherer kostenmäßig honoriert. Diese Tatsache führt dann auch zu solchen „Ergebnissen“, wie hier dokumentiert.
Dipl.-Ing. Harald Rasche
@ Willi Wacker
„Es zeigt sich an Hand dieser Entscheidung, wie wichtig eine sachverständige Dokumentation der Vorschäden und eine sachverständige Dokumentation der reparierten Vorschäden ist“.
Nicht reparierte „Vorschäden“ werden als Altschäden, d. h. als am Fahrzeug noch vorhandene Schäden bezeichnet – nicht als „Vorschäden“.
Hiermit versuchen die versicherungsnahen Gerichtsgutachter nur all zu gerne in Verhandlungsterminen für Verwirrung zu sorgen und deren Konkurrenten – dem vorherigen Parteigutachter – eine zu „verbraten“.
Die tollste mir bekannte und protokollierte Aussage eines Gerichtsgutachters: „Der am Fahrzeug vorhandene reparierte Altschaden….“
Es gilt:
Vorschaden = repariert
Altschaden = noch am Fahrzeug vorhanden.
Grüße aus dem Wilden Süden
Gottlob Häberle
Die Unterscheidung zwischen Alt- und Vorschaden wird seit einiger Zeit nicht mehr getroffen. Das kann auch den einschlägigen Leit- und Richtlinien zur Gutachtenerstattung (IfS, Bestallungskörperschaften, etc.) entnommen werden. Vielmehr werden alle vorher vorhandenen Schäden als Vorschaden angegeben und sind qualifiziert bzgl. der Instandsetzung (ganz, teilweise, gar nicht, etc.) zu bewerten.
Nun aber zum Urteil:
Das Urteil ist schadenersatzrechtlich mit Sicherheit nicht zu beanstanden. Wenn es bereits einen Unfall gab und die Art der Schadenbehebung nicht klar ist, dann kann auch im Regelfall die mögliche Schadenausweitung nicht eindeutig festgestellt werden.
Wenn es in irgendeiner Form eine Dokumentation der Reparatur gibt, ist die Feststellung der Schadenausweitung oder der Neubeschädigung in bestimmten Grenzen möglich.
Letztlich ist es eine rechtliche Frage, ob der Versicherer die Kosten eines qualifizierten Reparaturnachweises zu tragen hat. Davon ausgehend, dass er sich ja bereits die MwSt. auf die Reparaturkosten gespart hat und möglicherweise weiteres Einsparpotential durch niedrigere abgerechnete Verrechnungssätze ergeben hat, wären zumindest im Regelfall keine Mehrkosten für den Versicherer gegenüber der mit Rechnung nachgewiesenen Reparatur zu erwarten.
Herzliche Grüße
Kai
Kann schon sein, dass die Unterscheidung zwischen Alt- und Vorschaden seit einiger Zeit nicht mehr getroffen wird und dies auch den einschlägigen Leit- und Richtlinien zur Gutachtenerstattung (IfS, Bestallungskörperschaften, etc.) entnommen werden kann.
Stellt sich nur die Frage nach dem Warum?
Richtiger wird dadurch die Definition jedenfalls nicht.
Warum soll ein Altschaden etwas anderes sein als ein Vorschaden? Ein Vorschaden ist dem Wort nach ein Schaden, der vor einem jetzigen Ereignis vorgelegen hat. Der Schaden kann wie auch immer repariert worden sein. Man hätte das ganze auch Altschaden nennen können, denn der Schaden ist älter als das jetzige Ereignis.
Letztlich hat man sich bei den Bestallungskörperschaften und dem IfS (sowie weiteren Instituten) auf den Vorschaden geeinigt. Ich kann dem Wort Vorschaden nichts besseres oder schlechteres finden als an dem Wort Altschaden.
Es macht meines Erachtens auch tatsächlich Sinn eine einzige Begrifflichkeit zu verwenden. Denn es kommt letztlich auf die Qualität der Schadenbehebung an (ganz, gar nicht, oder irgendwas zwischen drin).
MfG
Kai