OLG Naumburg ändert Urteil des LG Halle ab und verurteilt die eintrittspflichtige Öffentliche Feuerversicherung Sachsen-Anhalt zur Zahlung restlichen Schadensersatzes in Form weiterer Mietwagenkosten von über 6.000,– € mit erfreulich klaren Worten im Berufungsurteil vom 15.6.2017 – 9 U 3/17 -.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,

hier und heute stellen wir Euch noch ein aktuelles Berufungsurteil des OLG Naumburg zu den Mietwagenkosten bei längerer Anmietung eines Ersatzfahrzeugs aufgrund der Regulierungsverzögerung der eintrittspflichtigen Versicherung, der Öffentlichen Feuerversicherung Sachsen-Anhalt in Magdeburg, vor. Die zu einhundert Prozent regulierungspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung wehrte sich mit allen nur denkbaren Argumenten  vor einer vollständigen Schadensregulierung, und seien die Argumente noch so lächerlich. In Sachen Schadensminderungspflicht des Geschädigten wurden der einstandspflichtigen Versicherung von dem erkennenden Senat aber eindrücklich die Leviten gelesen und die Grenzen ihrer Verweigerung klar aufgezeigt. Das Berufungsurteil zeigt endlich einmal wieder, dass der Geschädigte in den Mittelpunkt der Regulierung gestellt werden muss. Es ist der Geschädigte, der verlangen kann, nicht der Schädiger. Der Geschädigte kann von dem Schädiger Schadensersatzleistungen verlangen. Der Schädiger ist Schuldner dieser Schadensersatzleistung. Er kann gar nichts verlangen. Er muss leisten, nämlich den erforderlichen Schadensersatz. Dieser Fall zeigt aber deutlich, dass auch der Mietwagenunternehmer der Erfüllungsgehilfe des Schädigers im Rahmen der Wiederherstellung des vor dem Unfall bestehenden Zustandes ist. Verzögerungen während der Anmietzeit, die auch noch darauf zurückzuführen sind, dass die einstandspflichtige Versicherung die Regulierung verzögert, gehen zu Lasten des Schädigers. Der Schädiger hat als Schuldner der Schadensersatzleistung zeitnah (!) dafür zu sorgen, dass dem Geschädigten die zur Wiederherstellung notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Der Schadensersatzanspruch des Geschädigten gegen den Schädiger wird mit der Rechtsgutverletzung, also mit dem Unfall, fällig (BGH VI ZB 22/08). Das hätte der Senat noch etwas klarer herausarbeiten können. Was mir nicht gefallen hat, war die Ausforschung des Geschädigten. Was geht es den Schädiger – oder ggf. die Öffentlichkeit bei öffentlicher Sitzung – an, wie die wirtschaftliche Situation des Geschädigten ist? Der Geschädigte ist der Fordernde, nicht der Schädiger. Der hat als Schuldner Schadensersatz zu leisten. Auf dieses gesetzliche Schuldverhältnis muss der Schädiger und dessen Versicherer immer wieder verwiesen werden. Lest das Berufungsurteil und gebt bitte Eure Kommentare ab.  

Viele Grüße
Willi Wacker

OBERLANDESGERICHT NAUMBURG

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

9 U 3/17 OLG Naumburg                                                             Verkündet am: 15.06.2017
10 O 101/16 Landgericht Halle

In dem Rechtsstreit

– Klägerin und Berufungsklägerin –

gegen

Öffentliche Feuerversicherung Sachsen-Anhalt, vertreten durch den Vorstand, Am Alten Theater 7, 39104 Magdeburg,

– Beklagte und Berufungsbeklagte –

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf die mündliche Verhandlung vom 16. Mai 2017 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Buchloh, den Richter am Oberlandesgericht Handke und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Strietzel für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 14.12.2016 verkündete Urteil des Landgerichts Halle abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag von 6.057,61 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.03.2016 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 465,65 € zu zahlen. Hinsichtlich der weitergehenden Zinsforderung wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

und beschlossen:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 6.057,61 € festgesetzt.

Gründe

I.

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.

II.

Die Berufung ist zulässig, sie hat auch in der Sache – bis auf einen geringfügigen Teil der Zinsforderung – Erfolg.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus Anlass des Verkehrsunfalls vom 14.11.2015 in Halle einen Anspruch auf Erstattung von Mietwagenkosten gemäß §§ 7 Abs. 1 StVG, 249 BGB, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG in geltend gemachter Höhe.

Dass die Beklagte als Haftpflichtversicherung des Schädigers dem Grunde nach zu 100 % für die unfallbedingten Schäden haftet, ist unstreitig. Zwischen den Parteien besteht auch kein Streit darüber, dass die Beklagte dem Grunde nach verpflichtet ist, für die Zeit, in der das beschädigte Fahrzeug der Klägerin nicht zur Nutzung zur Verfügung stand, die notwendigen Mietwagenkosten zu erstatten, soweit die Zeit des Ausfalls des beschädigten Fahrzeugs nicht auf einer Verletzung der Schadensminderungspflicht seitens der Klägerin beruht. Das unfallbedingt beschädigte Fahrzeug stand während der 65 Tage, in denen der Mietwagen genutzt wurde, nicht zur Verfügung. Deswegen war die Bereitstellung eines Ersatzfahrzeugs für diese Zeitspanne erforderlich. Um Auto fahren zu können – oder Herrn … fahren zu lassen -, benötigte die Klägerin ein Auto. Der Streit der Parteien geht ausschließlich darum, in welcher Höhe die angefallenen Mietwagenkosten zu erstatten sind.

1.
Die Beklagte dringt mit ihrem Einwand, es beruhe auf einer Verletzung der Schadensminderungspflicht durch die Klägerin, dass der Mietwagen 65 Tage genutzt wurde, und deshalb seien nicht mehr als die von der Beklagten regulierten Mietwagenkosten für neun Tage zu erstatten, nicht durch.

Die Auffassung der Beklagten, dass ein Geschädigter unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht generell gehalten sei, den Schaden aus eigenen Mitteln vorzufinanzieren, entspricht nicht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Die Beklagte stützt sich auf die in der Kommentierung bei Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Auflage, § 254 Rn. 44, zitierte Entscheidung des OLG Hamm vom 18.01.1984, 3 U 116/83 (MDR 1984, 490). Nach dieser Entscheidung hat der Geschädigte im Regelfall keinen Anspruch darauf, dass der Haftpflichtversicherer ihm das wirtschaftliche Risiko des zu erteilenden Reparaturauftrags durch eine sogenannte Übernahmebestätigung abnimmt; dem OLG Hamm zufolge darf der Geschädigte etwaige Ungewissheiten zum Grund des Anspruchs nicht auf den Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer abwälzen, und der Geschädigte muss sich bei mangelnder eigener finanzieller Potenz sich wegen der wirtschaftlichen Behebung des Schadens auch Kreditquellen erschließen. Diese Entscheidung des OLG Hamm ist durch spätere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs überholt.

Nach Auffassung des BGH ist der Geschädigte im Rahmen der ihm nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB obliegenden Schadensminderungspflicht nicht stets gehalten, ein Deckungsgeschäft vorzunehmen Dies muss vielmehr im Einzelfall von der Sache her geboten und ihm auch zuzumuten sein. Insbesondere kann eine Pflicht des Geschädigten, zur Schadensbeseitigung einen Kredit aufzunehmen, nur unter besonderen Umständen angenommen werden. Die Rechtsprechung hat eine solche Pflicht nur ausnahmsweise bejaht. Es ist grundsätzlich Sache des Schädigers, die vom Geschädigten zu veranlassende Schadensbeseitigung zu finanzieren. Der Geschädigte hat Anspruch auf sofortigen Ersatz und ist nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder zur Vermeidung von Folgeschäden Kredit aufzunehmen. Vielmehr hat der Schädiger grundsätzlich auch die Nachteile zu ersetzen, die daraus herrühren, dass der Schaden mangels sofortiger Ersatzleistung nicht gleich beseitigt worden ist und sich dadurch vergrößert hat. Das Risiko, dem Geschädigten überhaupt zum Ersatz verpflichtet zu sein, trägt dabei der Schädiger, wie es umgekehrt zu Lasten des Geschädigten geht, wenn ein anfänglicher Streit über den Haftungsgrund später zu seinen Ungunsten geklärt wird (BGH, Urteil vom 26.05.1988, III ZR 42/87, zitiert nach Juris).

Allenfalls kann eine Verpflichtung des Geschädigten, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder gar Kredit zur Schadensbehebung aufzunehmen, ausnahmsweise dann bejaht werden, wenn der Geschädigte sich den Kredit ohne Schwierigkeiten beschaffen kann und er durch die Rückzahlung nicht über seine wirtschaftlichen Verhältnisse hinaus belastet wird (BGH, Urteil vom 18.02.2002, II ZR 355/00, zitiert nach Juris).

Nach diesen Grundsätzen ist es die Regel und nicht etwa die Ausnahme, dass der Geschädigte die Reparatur nicht vorfinanzieren muss. Zunächst ist es Aufgabe des Schädigers bzw. des gesamtschuldnerisch mit ihm haftenden Versicherers, für eine umgehende Reparatur und für die Vermeidung von weiteren Kosten zu sorgen. Der vom BGH angenommene Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Vielmehr hat die Klägerin bereits mit Anwaltsschreiben vom 17.11.2015 (Anlage K 4, Bl. 17 d.A.) die Beklagte darauf hingewiesen, dass sie nicht in der Lage sei, die Reparatur vorzufinanzieren. Die Klägerin trifft hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse allenfalls eine sekundäre Darlegungslast; dieser hat sie mit Schriftsatz vom 25.08.2016 (Bl. 64 d.A.) genügt. Nähere Darlegungen, dass und warum Bemühungen um einen weiteren Kredit erfolglos geblieben sind oder schon nicht erfolgversprechend waren, waren der Klägerin nicht abzuverlangen, nachdem sie vorgetragen hatte, dass von einem monatlichen Einkommen von 1.300,00 € bereits zwei Darlehen in Höhe von monatlich 300,00 € bzw. 500,00 € zu bedienen waren. Aus diesen Angaben ergibt sich ohne weiteres, dass die Klägerin sich einen weiteren Kredit jedenfalls nicht ohne Schwierigkeiten beschaffen konnte. Ebenso kann auf der Grundlage der Angaben der Klägerin nicht festgestellt werden, dass die Klägerin bei einem verbleibenden Resteinkommen von monatlich 500,00 € durch eine weitere Darlehensrückzahlungsverpflichtung nicht über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse hinaus belastet würde.

Das schlichte Bestreiten seitens der Beklagten genügt nicht; erfolgversprechend wäre allenfalls ein Sachvortrag der Beklagten gewesen, dass die geschädigte Klägerin sich selbst bei den von ihr dargelegten, wenn auch von der Beklagten mit Nichtwissen bestrittenen Einkommensverhältnissen und Darlehensverpflichtungen den Kredit ohne Schwierigkeiten hätte beschaffen können und dass sie durch die Rückzahlung nicht über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse hinaus belastet worden wäre. Die Beweislast liegt insoweit nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei der Beklagten, nicht bei der Klägerin.

Es mag sein, dass die Klägerin die Mietwagenkosten bezahlt hat, wie die Beklagte in der Berufungserwiderung vorträgt. Aus welchen finanziellen Mitteln die Mietwagenrechnung vom 22.01.2016 beglichen worden ist, ist nicht vorgetragen worden. Diese Zahlung stellt indes noch kein hinreichendes Indiz dafür dar, dass die Klägerin sich bereits zu einem früheren Zeitpunkt, insbesondere schon im November 2015, den Kredit für die Reparaturkosten ohne Schwierigkeiten hätte beschaffen können und dass sie durch die Rückzahlung nicht über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse hinaus belastet worden wäre. Selbst wenn es der Klägerin im Januar 2016 gelungen sein mag, den Betrag zur Begleichung der Mietwagenrechnung aufzutreiben, möglicherweise von einem Geldgeber, der zu einer entsprechenden Zahlung nicht verpflichtet war, besteht kein tragfähiger Anhaltspunkt davon, dass die Beschaffung des Geldbetrags ohne Schwierigkeit möglich war; bezogen auf den Zeitpunkt, in dem die Reparatur vorzufinanzieren gewesen wäre, besteht insoweit erst recht kein ausreichendes Indiz.

2.
Die Klägerin war auch nicht verpflichtet, zwecks Ermöglichung eines sofortigen Reparaturbeginns ihre Vollkaskoversicherung in Anspruch zu nehmen und diesbezügliche Folgenachteile in Kauf zu nehmen.

Seine gegenteilige Auffassung hat das Landgericht auf eine Entscheidung des
OLG Naumburg vom 19.02.2004, 4 U 146/03, gestützt. Diese Entscheidung des
OLG Naumburg aus dem Jahr 2004 ist in späteren Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte kritisiert worden. Dort ist angenommen worden, dass unabhängig davon, ob dies eine Frage der Erforderlichkeit der Kosten oder der Schadensminderungspflicht ist, weder eine Obliegenheit, noch eine Pflicht des Geschädigten besteht, zur Entlastung des Schädigers seine Vollkaskoversicherung einzusetzen (OLG Dresden, Urteil vom 04.05.2012, 1 U 1797/11; OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.10.2007, 1 U 52/07, jeweils zitiert nach Juris). Sinn und Zweck der Kaskoversicherung sei gerade nicht die Entlastung des Schädigers. Der Versicherungsnehmer einer Vollkaskoversicherung erkaufe sich den Versicherungsschutz vielmehr für die Fälle, in denen ihm ein nicht durch andere zu ersetzender Schaden verbleibe. Insoweit seien auch die Erwägungen, die bei der Vorteilsausgleichung gelten, heranzuziehen. Versicherungsleistungen an den Geschädigten entlasteten danach den Schädiger nicht.

Dieser Gedanke entspricht der Rechtsprechung des BGH. Dieser hat ausgeführt, Versicherungsleistungen, die sich ein Geschädigter durch die Zahlung der Versicherungsprämien selbst „erkauft“ habe, könnten dem Schädiger nicht im Wege der Vorteilsausgleichung zugute kommen (BGH, Urteil vom 12.03.2009, VII ZR 88/08, zitiert nach Juris). Dies legt es nahe, dass dem Schädiger auch der durch die Klägerin erkaufte Kaskoversicherungsschutz nicht zugutekommen darf in der Weise, dass sich ihr Anspruch gegen den Schädiger bzw. die Beklagte verringert, wenn sie die Kaskoversicherung nicht in Anspruch nimmt.

Nicht zu begründen ist nach Auffassung des OLG Düsseldorf auch, dass der Geschädigte nach Auffassung des OLG Naumburg auch verpflichtet sein soll, noch vor der Inanspruchnahme seiner Vollkaskoversicherung Berechnungen darüber anzustellen, ob der durch Zeitablauf drohende Schaden größer sein wird als der durch Verlust des Schadensfreiheitsrabatts. Da der Geschädigte seinen drohenden Rabattverlust mit der erforderlichen Sicherheit für die Zukunft gar nicht oder nur mit Schwierigkeiten konkret berechnen könne, wäre der Geschädigte dem Risiko ausgesetzt, sich vom Schädiger eine Fehleinschätzung vorhalten zu lassen. Einen Grund dafür, den Geschädigten – auch bei anwaltlicher Beratung – mit solchen Unsicherheiten zusätzlich zu belasten, sei nicht zu erkennen.

Schon die vom OLG Dresden und dem OLG Düsseldorf genannten Argumente sprechen dafür, eine Verletzung der Schadensminderungspflicht hier nicht darin zu sehen, dass die Klägerin die Kaskoversicherung nicht in Anspruch genommen hat. Jedenfalls unter den konkreten Umständen des vorliegenden Sachverhalts erscheint es unbillig, der Klägerin die Nichtinanspruchnahme der Kaskoversicherung als Verletzung der Schadensminderungspflicht anzulasten. Auf derartige Umstände kommt es auch nach Auffassung der Entscheidung des OLG Naumburg zum Az. 4 U 146/03 an; auch nach jener Entscheidung ist bei der Frage der Zumutbarkeit auf den Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB abzustellen. Welche Kosten ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für erforderlich halten darf, hängt stark von den Umständen des Einzelfalls ab.

Die Klägerin hat sehr zeitnah nach dem Unfall die Beklagte mit Schreiben vom 17.11.2015 mitgeteilt, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, die Reparatur vorzufinanzieren und dass sie auf eine umgehende Haftungsbestätigung der Beklagten angewiesen sei. Die Klägerin hat auch mitgeteilt, dass die Beklagte für die Mietwagenkosten in vollem Umfang aufzukommen habe (Anlage K4, Bl. 17 d.A.). Mit E-Mail vom 19.11.2015 hat die Klägerin der Beklagten das Gutachten mit der Bitte um Vorschussleistung übersandt und eine Zahlungsfrist bis zum 03.12.2015 gesetzt (Anlage K 5, BI.18 d.A.). Bei telefonischer Rücksprache mit der Beklagten wurde am 30.11.2015 die Auskunft erteilt, der Unfallgegner habe den Schaden noch nicht gemeldet, daher sei die Haftung unklar. Auch bei diesem Telefonat wurde auf das Erfordernis einer umgehenden Haftungsfreigabe hingewiesen, da die Klägerin den Mietwagen bereits 1,5 Wochen fuhr. Am 02.12.2015 wurde einer Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten der Klägerin bei einem weiteren Telefonat die Information erteilt, der Unfallgegner habe den Schaden immer noch nicht gemeldet. Entsprechendes geschah bei weiteren Anrufen vom 07.12., 14.12., 18.12.2015 und 07.01.2016. Eine weitere Anwalts-E-Mail vom 11.01.2016 (Anlage K 12, Bl. 25 d.A.) weist nochmals daraufhin, dass auf die Mietwagennutzung bereits am 30.11.2015 hingewiesen worden sei. Entsprechendes wurde mit Anwaltsschreiben vom 13.01.2016 (Anlage K 13, Bl. 26 d.A.) mitgeteilt. Alle diese Schreiben blieben ohne Reaktion.

Die Entscheidung über den Reparaturauftrag haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin getroffen nach Einsichtnahme in die Ermittlungsakte. Noch am 22.01.2016, als der Mietwagen bereits zurückgegeben war, wurde den Prozessbevollmächtigten der Klägerin auf telefonische Anfrage mitgeteilt, das Schreiben vom 13.01.2016 sei eingegangen, aber noch nicht bearbeitet.

Die Beklagte ist auf die frühzeitigen und engmaschig wiederholten Anfragen und Aufforderungen seitens der Klägerin in der Sache nicht eingegangen außer mit dem Hinweis, die Haftung sei unklar, weil eine Schadensanzeige des Versicherungsnehmers nicht vorliege. Es war in erster Linie Aufgabe des Schädigers und der gesamtschuldnerisch mit diesem haftenden Beklagten, den Zeitraum, in dem das beschädigte Fahrzeug unfallbedingt nicht zur Verfügung stand, zu begrenzen und damit eine Vergrößerung des Schadens durch NutzungsausfaN oder Mietwagenkosten zu verhindern. Dies ergibt sich aus der BGH-Rechtsprechung, derzufolge der Schädiger grundsätzlich auch die Nachteile zu ersetzen hat, die daraus herrühren, dass der Schaden mangels sofortiger Ersatzleistung nicht gleich beseitigt worden ist und sich dadurch vergrößert hat. Die Beklagte ist völlig passiv geblieben und hat die Klägerin mit der Situation der fortdauernden Schadensvergrößerung allein gelassen in Kenntnis des Umstandes, dass die Klägerin bereits bei der Schadensmeldung mitgeteilt hatte, zur Vorfinanzierung nicht in der Lage zu sein und einen Mietwagen in Anspruch zu nehmen oder Nutzungsausfall geltend zu machen. Der Beklagten musste von daher bekannt sein, dass sich der Schaden durch Zeitablauf erheblich vergrößern konnte. Obwohl in erster Linie sie dafür verantwortlich war, eine Vergrößerung des Schadens zu verhindern, hat sie nichts veranlasst, obwohl ihr die Situation der Klägerin bekannt war und in geringen Abständen telefonisch, in Textform und schriftlich erneut ins Bewusstsein gerückt wurde. Weder hat die Beklagte Informationen bei ihrem Versicherungsnehmer eingeholt, noch hat sie aus eigener Initiative die Ermittlungsakte eingesehen. Insbesondere hat sie nicht etwa, wie es das schriftsätzliche Vorbringen der Beklagten im Prozess vermuten lassen könnte, die Klägerin aufgefordert, ihre Kaskoversicherung zwecks Finanzierung der Reparatur in Anspruch zu nehmen; schon gar nicht hat sie verbindlich erklärt, für nachteilige Folgen der Inanspruchnahme der Kaskoversicherung einzustehen. Die Klägerin musste sich nicht sicher sein, dass die nachteiligen Folgen der Inanspruchnahme der Kaskoversicherung von der Beklagten übernommen werden würden, wenn die Beklagte sich insoweit nicht sicher war und an dieses Problem anscheinend noch gar nicht gedacht hatte. Sie hat auch nicht, was möglich gewesen wäre, unter Vorbehalt einen Vorschuss geleistet, mit dem die Reparatur hätte bezahlt werden können. Sie hat auch sonst keine Empfehlung zur Schadensminimierung abgegeben, etwa zur Kündigung des Mietvertrags, zur Anschaffung eines Interimsfahrzeugs oder zu einer sonstigen Maßnahme. Der Grund für das Ausbleiben der Haftungsfreigabe, nämlich dass der Versicherungsnehmer die Schadensmeldung nicht eingereicht hatte, liegt ausschließlich in der Sphäre der Schädigerseite und ist nicht ansatzweise von der Klägerin zu verantworten. In dieser Situation ist es fast treuwidrig wegen widersprüchlichen Verhaltens, wenn die Beklagte der Klägerin etwas vorwirft, was sie selbst in Kenntnis der Mietwagenbenutzung nicht getan hat, nämlich ein Ansteigen der unfallbedingten Kosten zu verhindern, obwohl sie als mit dem Schädiger Mithaftende in erster Linie dafür verantwortlich gewesen wäre.

Es mag sein, dass einem Versicherer regelmäßig eine mehrwöchige Prüfungsfrist eingeräumt wird. Diese Frage wird üblicherweise im Zusammenhang mit Kostenentscheidungen nach § 93 ZPO erörtert, wenn es darum geht, ob die Versicherung Anlass zur Klageerhebung gegeben hat (beispielsweise OLG Saarbrücken, 4 W 19/16, OLG Karlsruhe, 9 W 9/16, OLG Frankfurt, 7 W 64/14, jeweils zitiert nach Juris). Daraus, dass ein Verschulden der Beklagten an der späten Haftungszusage möglicherweise nicht besteht, folgt indes nicht, dass die Klägerin ihrerseits ein Verschulden daran trifft, dass sie in der Phase der Unsicherheit ihre Kaskoversicherung nicht in Anspruch genommen hat. Nur wenn eine schuldhafte Verletzung der Schadensminderungspficht durch die Klägerin festgestellt werden könnte, hätte dies nachteilige Auswirkungen auf den Schadensersatzanspruch der Klägerin.

3.
Auch darin, dass die Klägerin nicht gleich einen – günstigeren – Vertrag für 65 Tage abgeschlossen hat, liegt keine Verletzung der Schadensminderungspflicht. Als der Mietvertrag abgeschlossen wurde, war nicht absehbar, wie lange die Reparatur dauern würde. Wenn die Beklagte im November mitgeteilt hätte, dass mit einer Entscheidung über die Haftungsübernahme erst im Februar zu rechnen sei, wäre Derartiges in Erwägung zu ziehen gewesen. Die Klägerin konnte hier aber nicht wissen, wann die Beklagte über die Haftungsübernahme entscheiden würde; dies wusste noch nicht einmal die Beklagte selbst. Der Klägerin konnte damals auch nicht zugemutet werden, ihre Rechtsanwälte, wie es offenbar im Januar 2016 geschehen ist, zu veranlassen, die Reparatur „auf die eigene Kappe zu nehmen“. Einen günstigeren Wochentarif musste die Klägerin nicht auswählen, da sie zunächst nicht mit einer Mietzeit mehr als einer Woche rechnen musste, nicht einmal damit, dass diese Zeit erreicht werden würde; die Reparaturdauer betrug laut TÜV-Gutachten 3 Tage (Anlage K 3, Bl. 10 d.A.). Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin zwischenzeitlich den bestehenden Mietvertrag hätte abändern müssen, weil von der Beklagten keinerlei Reaktion auf die Anfragen erfolgten, die es ausschlössen, dass mit einer zeitnahen Haftungsentscheidung zu rechnen war.

4.
Entgegen dem nicht näher spezifizierten Vorbringen der Beklagten hat die Klägerin das Ersatzfahrzeug auch nicht zum Unfallersatztarif angemietet. Aus der Rechnung (Anlage K 1, Bl. 8 d.A.) ergibt sich, dass der Tagesbetrag 58,70 € betrug und nicht 101,07 €. Das ist nur geringfügig höher als der von der Beklagten selbst als erstattungsfähig angesehene Normaltarif von 56,86 € pro Tag (= 511,70 €./. 9), der allerdings die Mehrwertsteuer bereits enthalten sollte. Der Tagestarif ist auch bei Hinzurechnung der Mehrwertsteuer nicht so stark erhöht, dass die Klägerin weitere Angebote einholen musste.

Der von der Beklagten errechnete Gesamt-Tagespreis ergibt sich auch daraus, dass eine Haftungsbegrenzung von 18,10 € zuzüglich Mehrwertsteuer mit vereinbart war. Die Kosten der für das Ersatzfahrzeug abgeschlossenen Vollkaskoversicherung sind nach der Rechtsprechung des BGH ersatzfähig. Die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs mit Vollkaskoschutz ist in der Regel eine adäquate Schadensfolge (BGH, Urteil vom 15.02.2005, VI ZR 74/04, zitiert nach Juris).

Die Beklagte stützt sich unter anderem auf den Marktpreisspiegel Mietwagen des Fraunhofer-Instituts (Anlage A 1, Bl. 42 d.A.) und kommt in der Klageerwiderung (Bl. 40 d.A.) zu dem Ergebnis, dass der übliche Mietpreis pro Tag einschließlich Vollkaskoversicherung und Mehrwertsteuer 104,70 € betrage, also mehr als die von der Klägerin geltend gemachten 101,07 € (inklusive Mehrwertsteuer, Haftungsbegrenzung, Winterreifen und Zustellung/Abholung), die die Beklagte als überhöht beanstandet. Insofern ist das Vorbringen der Beklagten widersprüchlich.

Die Schwacke-Liste, auf die die Klägerin die Angemessenheit des von ihr gewählten Tarifs stützt, ist als Schätzungsgrundlage anerkannt. Der Marktpreisspiegel des Fraunhofer-Instituts, auf den sich die Beklagte beruft, stammt aus dem Jahr 2009 und ist somit als Schätzungsgrundlage für 2015/2016 weniger geeignet als die von der Klägerin vorgelegte Schwacke-Liste von 2014. Im Übrigen hat der BGH nicht ausgeführt, dass der Marktpreisspiegel des Fraunhofer-Instituts als Schätzungsgrundlage geeigneter sei; er hat die Heranziehung der Schwacke-Liste vielmehr als nicht rechtsfehlerhaft bestätigt (BGH Urteil vom 22.02.2011, VI ZR 353/09, zitiert nach Juris).

Die Eignung der Schwacke-Liste als Schätzungsgrundlage wird auch nicht durch die von der Beklagten vorgelegten Vergleichsangebote (Anlage A 3, Bl. 44 f. d.A.) erschüttert. Diese beziehen sich nach Angaben der Beklagten (Bl. 40 d.A.) auf einen Mietzeitraum von 65 Tagen, das ist aber bei der gebotenen ex-ante-Betrachtung nicht sachgerecht. Angebote für eine tages- oder wochenbezogene Anmietung auf unbestimmte Zeit hat die Beklagte nicht vorgelegt. Auch wenn grundsätzlich Internetausdrucke zu Mietwagenangeboten geeignet sein können, die durch die Schwacke-Liste begründete Schätzungsgrundlage zu erschüttern (so die von der Beklagten zitierte Entscheidung des BGH zum Az. VI ZR 353/09), ist der Vortrag der Beklagten hier unzureichend.
Die Klägerin trägt vor, sie habe ein Fahrzeug der Mietwagenklasse 3 angemietet, was sich aus dem „C“ in der angegebenen Tarifart ergebe. Dem ist die Beklagte nicht näher entgegengetreten. Die Klägerin legt weiter dar, das verunfallte Fahrzeug habe in die Mietwagenklasse 4 gehört, während die Klägerin ein Fahrzeug der Mietwagenklasse 3 angemietet habe. Deshalb sei kein Abzug von Eigenersparnis vorzunehmen. Diese Auffassung entspricht einer vom BGH als nicht rechtsfehlerhaft bestätigten Praxis bei der Ermessensausübung bei der Schadensausübung (BGH, Urteil vom 05.03.2013, VI ZR 245/11). Auch der Senat hat keine Veranlassung, dem entgegenzutreten.

5.
Die Zinsforderung ist im zuerkannten Umfang gemäß §§ 288, 286 BGB begründet. In Zahlungsverzug ist die Beklagte nicht bereits mit Ablauf der mit Schreiben vom 10.02.2016 (Anlage K 15, Bl. 28 d.A.) bis zum 24.02.2016 gesetzten Frist zur Begleichung der Mietwagenkosten geraten; Verzug ist gemäß § 286 Abs. 3 S. 1 BGB erst 30 Tage später eingetreten, also am 26.03.2016.

Die vorgerichtlichen Anwaltskosten gehören zu dem gemäß § 7 StVG, § 249 BGB zu erstattenden Rechtsverfolgungsschaden.

III.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO ist nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 43, 47, 48 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG, 3 ZPO.

gez. Buchloh                                       gez. Handke                                   gez. Dr. Strietzel

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  1. Iven Hanske sagt:

    Eine praxisorientierte und doch für mich anstrengende Entscheidung, wo ich oft dachte, wie kann ein Geschädigter diese, von Profis rechtswidrigen konstruierten Einwände, entgegenwirken. Danke!

  2. virus sagt:

    @ W. W.

    Das nenne ich mal eine auf den Punkt gebrachte Definition: „Es ist der Geschädigte, der verlangen kann, nicht der Schädiger“.

    Das Machtwort, welches hinter diesen Satz steht heißt: DISPOSITIONSFREIHEIT = das Recht des Eigentümers einer Sache, über seine Sache (PKW) selbst zu bestimmen.

    Das von den Versicherern praktizierte aggressive Schadenmanagement hat zum Ziel, die DISPOSITIONSFREIHEIT auf NULL zusetzten. Dieses Bestreben wird geduldet bzw. gefördert durch die derzeitige Legislative und Teilen der Judikative. Ein Skandal, der der Öffentlichkeit harrt, solange jeglicher investigativer Journalismus auf dem Sterbebett danieder liegt.

  3. H.J.S. sagt:

    Ich wünsche mir schon sehr lange, dass zwischen primärer und sekundärer Schadensminderungspflicht unterschieden wird. In diesem hervorragenden Urteil wird das mit entsprechenden Formulierungen schon sehr gut herausgearbeitet.
    Meiner Meinung nach sollte der Schädiger generell verpflichtet werden, den umfänglichen Beweis hier antreten zu müssen. Das entspräche meinem Verständnis nach, auch dem Sinn und Inhalt von §287 ZPO.
    Dieses insbesondere, da ja in der Regel die Geschädigten die Klägerseite sind, wie auch in diesem Fall.

    Im Weiteren wird im Urteil auf den (nicht geleisteten aber möglichen) Vorschuss durch die Beklagte unter Vorbehalt Bezug genommen.
    Das wäre doch unter den gegebenen Umständen aber genau der Kredit gewesen, der für die Geschädigte ohne „Schwierigkeiten erreichbar“ gewesen wäre.
    Das Rückzahlungs- und Klagerisiko würde damit dann aber auf die Versicherung übergehen.
    Und das ist erfahrungsgemäß das Letzte, wozu die Lust haben, erst recht nicht, wenn die Schufa so negativ ausfällt.
    Um solche Fälle durchzustehen und sogar noch ein Urteil zu bekommen, braucht es einen taffen Mandanten, Rechtsanwalt und viel Glück „auf hoher See“.
    Aber nur Mut, die Fälle sind nicht so selten wie man denkt, wir haben schließlich per Vergleich die haftende Versicherung mit 30k Kosten nur für Unfallersatz in die Wüste geschickt.
    Was mir wiederum den besagten ruhigen Arbeitstag verschafft.

    P.S. Und natürlich kosten Reparaturablaufpläne 75,- Euro und werden entweder überraschenderweise dann nicht mehr benötigt oder nach vorheriger Warnung entsprechend bezahlt.
    Textbaustein per Mail:
    „wir warnen… nochmalige Aufforderung gilt dann als Auftrag, den wir sehr gerne annehmen werden!“

    Alleine für dieses Urteil hat sich das tägliche (Be-) Mühen um Korrektiv doch gelohnt!
    Frohes Schaffen und vielen Dank der Captain HUK Redaktion.

  4. virus sagt:

    „Die Auffassung der Beklagten, dass ein Geschädigter unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht generell gehalten sei, den Schaden aus eigenen Mitteln vorzufinanzieren, entspricht nicht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.“

    Womit das OLG Naumburg dem Bundesgerichtshof – 6. Senat – den Spiegel so was vor die Nase hält. Von wegen, die Nichtverauslagung einer Rechnung lasse es an der Indizwirkung für die Höhe des Schadensersatzes fehlen. Danken wir der ÖFV von Sachsen-Anhalt für das obige Urteil.

  5. Wilm Bartmann sagt:

    @ virus at 8.52 h

    das hat F-W Wortmann bereits 1999 in ZfS 1999, 1 ff. ausgeführt.

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