Die Rechtsprechung in diesem Bereich hat sich mittlerweile durch weitere Urteile im Sinne der Verbraucher und ihrer Rechtsanwälte und gegen die Ansichten der Versicherer gefestigt.
Aktuell berichtenswert ist ein Urteil des AG Merzig vom 15.05.08 mit dem Aktenzeichen 24 C 91/08. Das AG hat hier dem geschädigten Unfallopfer den Anspruch auf Ersatz einer Geschäftsgebühr seines Rechtsanwaltes in Höhe von 1,7 zuerkannt.
Eine Geschäftsgebühr in dieser Höhe ist nach Ansicht des Gerichts deshalb gerechtfertigt, weil sich im zu entscheidenden Fall der Anwalt des Geschädigten mit den gutachtensbasierten Einwendungen des Versicherer zur Schadenshöhe auseinandersetzen musste.
Fazit für die Praxis:
Die Kürzung der Schadensregulierung, basierend auf Streichgutachten der hinlänglich bekannten Firmen control expert, check it, dekra u. a. führt zu einem nicht mehr nur durchschnittlichen Bearbeitungsaufwand für den in der Unfallschadensabwicklung tätigen Rechtsanwalt mit der Folge, dass dieser Aufwand dann auch entsprechend zu vergüten ist.
In einem weiteren Urteil hat das LG Oldenburg vom 17.04.08 zum Aktenzeichen 9 S 758/07 präzisiert, was unter einer durchschnittlichen Unfallschadensabwicklung zu verstehen ist und wann dem gemäß der Gebührenansatz von 1,3 der richtige ist.
Im zu entscheidenden Fall lagen die geschätzten Reparaturkosten nur knapp unter dem Wiederbeschaffungswert. Der in der Sache tätige Rechtsanwalt hatte nach einem Informationsgespräch mit dem Geschädigten die gegnerische Haftpflichtversicherung zunächst schriftlich zur Anerkennung der vollen Einstandspflicht aufgefordert und mit einem weiteren Schreiben dann den Schaden nach Beratung mit dem Mandanten vorläufig beziffert. So sieht nach Ansicht des LG Oldenburg ein durchschnittlicher Aufwand in der Unfallschadensabwicklung aus. Das LG Oldenburg führt aus:
„Gemäß § 14 Abs. 1 RVG bestimmt bei Rahmengebühren der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftragsgebers, nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (BGH VI ZR 261/05). Ihm ist dabei ein Spielraum von 20% zu belassen. “
Fazit:
2 Schreiben an den eintrittspflichtigen Haftpflichtversicherer und eine Besprechung mit dem Geschädigten stellen den Durchschnittsfall in der Unfallschadensabwicklung dar und rechtfertigen den Gebührenansatz von 1,3.
Mir liegt insoweit auch ein gleichlautendes Gebührengutachten der Rechtsanwaltskammer Bamberg vor, welches in einem ähnlich gelagerten Fall zu dem gleichen Ergebnis gelangt.
Letztlich ist überaus lesenswert ein Urteil des LG Bonn vom 10.03.08, Aktenzeichen 10 O 14/07. Auch der Rechtsanwalt, der zunächst lediglich eine 1,3 Gebühr in Ansatz gebracht hat, muss sich daran nicht in jedem Fall festhalten lassen.
Im konkreten Fall ist ein Abrechnungswechsel auf eine Gebühr in Höhe von 1,7 gebilligt worden. Im entschiedenen Fall hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers eine zunächst vorläufige Schadensabrechnung beim gegnerischen Haftpflichtversicherer eingereicht und hierbei seine Rechtsanwaltsgebühren in Höhe einer Geschäftsgebühr von 1,3 beziffert und gleichzeitig mit geltend gemacht. Die gegnerische Haftpflichtversicherung war jedoch der Ansicht, dass sich ihre Regulierungsverpflichtung zunächst durch die Anforderung der Ermittlungsakte erledigt hätte. Außerdem hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mehrfach Kontakt mit der Polizeistation zwecks Information über den Stand der Ermittlungen aufgenommen. Nachdem die Schadensregulierung durch den Versicherer abgelehnt wurde kam es zu einer Verlängerung der Anmietung des Ersatzfahrzeuges, bei welcher der Prozessbevollmächtigte des Klägers diesem behilflich war.
In den Gründen des landgerichtlichen Urteils heißt es an maßgeblicher Stelle:
„Die Angemessenheit der Rechtsanwaltskosten beurteilt sich nach § 14 RVG i. V. m. Nr. 2300 VV RVG. Hiernach kann eine Gebühr über dem 1,3-fachen Gebührensatz nur verlangt werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Bei der Entscheidung der Frage, ob die anwaltliche Tätigkeit umfangreich oder schwierig war, ist zunächst zu berücksichtigen, dass es entsprechend der Entstehungsgeschichte des Gesetzes nicht darauf ankommt, ob die Tätigkeit besonders umfangreich oder besonders schwierig war (Meyer / Kroiß, RVG 2. Auflage 2006, Bearbeiter: Teubel, RVG Nr. 2300, Randnr. 9).
Bei der Frage, ob die anwaltliche Tätigkeit umfangreich war, ist primär auf den zeitlichen Aufwand abzustellen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang die Intensität der Tätigkeit, es kommt alleine darauf an, ob der Anwalt durch die Bearbeitung des Mandats gehindert war, sich anderen Angelegenheiten zu widmen (Meyer / Kroiß, a. a. O., Randnr. 17).
Gerade bei Verkehrsunfällen ist zu berücksichtigen, dass die Ermittlung der angemessenen Gebühr nach VV Nr. 2300 auf der Grundlage von § 14 RVG primär eine Ausübung des Ermessens des Anwalts im Einzelfall darstellt. Dabei ist insbesondere unerheblich, ob der Gesetzgeber dem Anwalt für die Verkehrsunfallregulierung grundsätzlich oder immer oder früher die Mittelgebühr oder Schwellengebühr zugebilligt hat oder zubilligen wollte sowie die Behauptung der Beklagten, die Tätigkeit im konkreten Fall sei am denkbar untersten Rand von Umfang und Schwierigkeit angesiedelt und mIt irgendwelchen in Literatur oder Rechtsprechung veröffentlichten, konkreten Einzelfällen vergleichbar oder nicht vergleichbar (vgl. Mayer / Kroiß, a. a. O, Randnr. 41).
Bei Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit kann nicht nur auf die Tätigkeit abgestellt werden, die sich in Schreiben des Anwalts niederschlägt, sondern es sind insbesondere auch die Beratungs- und Aufklärungstätigkeiten des Anwaltes, etwa bei dem ersten Gespräch nach dem Unfall, zu berücksichtigen (Meyer / Kroiß, a. a. O., Randnr. 44). Für eine normale, durchschnittliche Unfallregulierung ist nach Ansicht der Kammer zunächst ein Gebührensatz zwischen 1,2 und 1,8 der durchaus angemessene Bereich, weil leichte, zügige Abwicklung eher im Bereich von 1,2 bis 1,4 anzusiedeln sind, etwas kompliziertere, aber noch durchschnittliche Regulierungen eher in dem Bereich von 1,6 bis 1,8 (Meyer / Kroiß, a. a. O., Randnr. 36). Ob dann im Einzelfall die Schwelle von 1,3 überschritten werden darf hängt davon ab, ob die Bemessungskriterien Umfang oder Schwierigkeit – wenn auch nur in geringem Umfang – überschritten werden. Auch das ist eine Entscheidung im Einzelfall (Meyer / Kroiß, a. a. O., Randnr. 47). Diesbezüglich ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass insgesamt 4 Fahrzeuge an der Kollision beteiligt waren, 2 Beteiligte den Unfall verursacht haben und eine umfangreiche vorgerichtliche Korrespondenz mit 2 Versicherungen, welche sich noch dazu nicht zu einer sofortigen Regulierung veranlasst sahen, erforderlich war. Entgegen der Ansicht der Beklagten steht der Angemessenheit vorliegend die ursprüngliche Forderung einer Geschäftsgebühr des Prozessbevollmächtigten des Klägers gegenüber der Versicherung in Höhe des nur 1,3-fachen Gebührenansatzes nicht entgegen. Zum damaligen Zeitpunkt (15.12.2006) war die Abwicklung und Aufarbeitung des Unfalles weder abgeschlossen noch in ihrer Entwicklung absehbar. Wenn der Prozessbevollmächtigte in einer solchen Situation Augenmaß zeigt und zunächst nur die übliche Geschäftsgebühr verlangt, so kann ihm dies später nicht zum Nachteil gereichen.
Abschließend ist zu berücksichtigen, dass dem Rechtsanwalt bei der Festlegung der Rahmengebühr gem. § 14 RVG ein Ermessen zusteht, welches sich innerhalb einer Abweichung von 20% der richterlichen Überprüfung entzieht (Meyer / Kroiß, a. a. O., Randnr. 46 m. w. N. in der Fußnote Nr. 84) und für dessen Missbrauch den dies Behauptenden die Beweislast trifft (Hartmann, Kostengesetze, 37. Auflage 2007, § 14 RVG, Randnr. 25). Jedenfalls reicht das pauschale Behaupten der Unangemessenheit der Gebühr seitens der Beklagten sowie das Abstellen auf die Frage, ob die Mitwirkung des Prozessbevolmächtigten an der Verlängerung der Mietzeit für das Ersatzfahrzeug überobligationsgemäß war, angesichts der substantiierten Darlegung der Gründe für die Festsetzung einer Gebühr von 1,7 durch den klägerischen Prozessbevollmächtigten nicht aus, um von einem fehlerhaft ausgeübten Ermessen bei der Festsetzung der Gebühr auszugehen.“
Und jetzt kommt das fast Allerwichtigste an dieser Entscheidung:
„Abschließend reduzieren sich die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten im vorliegenden Fall auch nicht wegen einer Anrechnung auf die im gerichtlichen Verfahren entstehende Verfahrensgebühr gemäß der Vormerkung § 3 Abs. 4 VV RVG. Zum einen richtet sich die außergerichtliche Vertretung nicht gegen den Gegner des gerichtlichen Verfahrens, wenn bei einer Verkehrsunfallregulierung der Rechtsanwalt zunächst außergerichtlich die Ansprüche nur gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer geltend macht und dann, nachdem dieser nicht gezahlt hat, Klage nur gegen den Unfallgegner erhebt (Meyer / Kroiß, Bearbeiter: Meyer, RVG, Vorbemerkung 3, Randnr. 63; LG Bonn, Urteil v. 12.11.03, Az: 5 S 181/03). Zum anderen ist inzwischen höchstrichterlich geklärt, dass sich selbst im Falle einer Anrechnung nicht die außergerichtliche Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG sondern die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 VV RVG reduziert (BGH NJW 2007, 2049 f., Juris, Randziffer 11).“
Fazit:
Verklagen Sie nicht den Versicherer sondern den unmittelbaren Schädiger alleine. Das erhält Ihnen die Geschäftsgebühr anrechnungsfrei.
Im gleichen Sinne haben die OLG Frankfurt, Bamberg und München entschieden. Auch diese Urteile liegen mir vor.
Vermehrter tatsächlicher und rechtlicher sowie zeitlicher Aufwand ist auch gesondert vergütungspflichtig. Er führt zu einem überdurchschnittlichen Fall, der auch entsprechend zu vergüten ist.
Durch den nicht justiziablen, 20%-igen Ermessensrahmen ist der Rechtsanwalt bei der Vergütungsfestsetzung darüber hinaus in einem angemessenen Rahmen vor nachteiligen Überraschungsentscheidungen der mit der Kostenfrage befassten Gerichte abgesichert.
Mitgeteilt von Peter Pan im Juli 2008
Hallo Peter Pan,
Sie sind beneidenswert, als an der Saar in Merzig die 1.7 Geschäftsgebühr nach Ziffer 2300 VV RVG zuerkannt wurde. Das AG Bochum hat unter Hinweis auf LG Bochum und BGH nur 1.0 zuerkannt. Sie Glücklicher.
Willi Wacker
Hallo Peter Pan,
könnten Sie bitte die erwähnten Urteile der OLG Frankfurt, Bamberg und München zitieren?
Vielen Dank
Uterwedde