Das Amtsgericht Leipzig hat mit Urteil vom 20.06.2008 (118 C 3256/08) die Klage des eintrittspflichtigen Haftpflichtversicherers aus dem Schadensereignis vom 05.11.2007 gegen den Kraftfahrzeugsachverständigen abgewiesen.
Aus den Gründen:
Die klagende Haftpflichtversicherung macht gegen den beklagten Kraftfahrzeugsachverständigen Schadensersatzansprüche geltend. Die Klägerin ist Haftpflichtversicherer eines Fahrzeughalters, der am 5.11.07 in Leipzig einen Verkehrsunfall verursachte. Der Geschädigte des Unfallereignisses beauftragte den Beklagten, ein Schadensgutachten hinsichtlich seines beschädigten Pkw´s zu erstellen. Der Beklagte besichtigte den Unfallwagen und fertigte ein Schadensgutachten an. Er ermittelte für das verunfallte Fahrzeug Reparaturkosten in Höhe von insgesamt 10.820,91 €‚ einen Wiederbeschaffungswert von 5.900,00 € und einen Restwert von 600,00 €.
Bei der Ermittlung des Restwertes richtete sich der Sachverständige nach dem allgemein zugänglichen örtlichen Gebrauchtwagenmarkt. Auf der Grundlage des Schadensgutachtens veräußerte der Geschädigte das Fahrzeug zu einem Preise von 600,00 €. Aufgrund eigener Recherchen im Internet ermittelte die Klägerin über das lnternetportal „car-tv-just-trading“ Restwertangebote, die am 13.11.2007 für das Unfallfahrzeug zwischen 2.870,00 € und 2.240,00 € lagen. In Unkenntnis des Verkaufs vom 10.11.2007 teilte die Klägerin dem Geschädigten mit Schreiben vom 13.11.2007 die Restwertangebotsliste mit und forderte ihn auf, sich mit der in Leipzig geschäftsansässigen Firma, die für den unfallbeschädigten Wagen 2.240,00 € bot, in Verbindung zu setzen. Nachdem die Klägerin vom Verkauf des Unfallwagens erfuhr und vom Geschädigten zur Schadensregulierung aufgefordert wurde, tat sie dies unter Anrechnung des vom Beklagten in seinem Gutachten ermittelten Restwertes in Höhe von 600,00 €. Nachfolgend wandte sich die Klägerin an den Beklagten und forderte diesen auf, die Ermittlung des Restwertes in Höhe von 600,00 € für den Unfallwagen zu erläutern und insbesondere die örtlichen Restwertbieter zu benennen. Dieser Aufforderung kam der Beklagte nach und benannte vier in und um Leipzig geschäftsansässige Firmen. Aufgrund eigener Nachforschungen geht die Klägerin davon aus, dass der Beklagte keine Angebote von den von ihm benannten Firmen eingeholt habe.
Ferner ist die Klägerin der Meinung, das Sachverständigengutachten des Beklagten sei hinsichtlich des ermittelten Restwertes unrichtig. Insbesondere ist sie der Ansicht, der Beklagte habe seine gutachterlichen Pflichten im Hinblick auf die Restwertermittlung schuldhaft und zum Nachteil der Klägerin dadurch verletzt, dass er für die Berechnung der Restwerte die Restwertbörsen des Internets nicht mit einbezogen habe.
Die Klägerin beantragte, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 2.357,97 € nebst Zinsen zu zahlen Der Beklagte beantragte die Klage abzuweisen. Er ist der Meinung, die unterbliebene Abfrage der Online-Restwertbörse begründe keine Pflichtverletzung. Internet-Restwertbörsen seien kein dem Unfallgeschädigten zugänglicher Markt, sondern vielmehr ein Sondermarkt und seien deshalb bei der Begutachtung eines Unfallfahrzeuges nicht zu berücksichtigen.
Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht aus keinem rechtlichen Grunde ein Schadensersatzanspruch zu.
1.
Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Schadensersatzanspruch aus § 634 Nr. 4, 280 BGB zu. Bei dem zwischen dem Geschädigten und dem Beklagten geschlossenen Werkvertrag auf Erstellung des Schadensgutachtens handelt es sich um einen sogenannten Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Die Klägerin ist allerdings den Nachweis, dass der Beklagte seine ihr gegenüber bestehenden Schutzpflichten verletzt habe, schuldig geblieben. Die Beklagte scheint zu verkennen, dass sich die Schutzpflichten in ihrem Umfange am zugrundeliegenden Hauptvertrag messen. Bezogen auf den Hauptvertrag hat der Schadensgutachter bei seinen Feststellungen des Restwertes auf die Erkenntnismöglichkeiten und Handlungspflichten des Geschädigten abzustellen. Das von dem Beklagten erstellte Gutachten ist an diesen Maßstäben gemessen nicht mangelhaft.
Zwar hat der Beklagte für die Ermittlung des Restwertes des unfallbeschädigten Wagens keine Angebote aus dem Internet eingeholt und berücksichtigt. Dies musste er auch nicht, sondern konnte auf Restwerte abstellen, die auf dem allgemein zugänglichen, regionalen Markt für das beschädigte Fahrzeug zu erzielen waren. Der Restwert ist der Preis, den der Geschädigte bei Inzahlunggabe seines Unfallfahrzeuges bei einem seriösen Gebrauchtwagenhändler erzielen kann (BGH NJW 1992, 903; BGH NJW 1993, 1849).
Gibt der Geschädigte sein Fahrzeug in Zahlung, muss er sich im Verhältnis zum Schädiger bzw. dessen Versicherer entsprechend dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und seiner Schadensminderungspflicht um günstige Verkaufsmöglichkeiten bemühen, wobei jedoch seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten zu berücksichtigen sind (BGH NJW 2005, 3134). Der BGH hat zuletzt in seiner Entscheidung vom 10.07.2007 (VI ZR 217/06) seine ständige Rechtsprechung bestätigt und zusammenfassend festgestellt, dass der Geschädigte im Rahmen seiner Ersatzbeschaffung nach § 249 BGB nicht dazu verpflichtet ist, einen über den örtlichen Bereich und damit allgemein zugänglichen Markt hinausgehenden Sondermarkt in Anspruch zu nehmen. Dem Geschädigten steht vielmehr gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die Ersetzungsbefugnis zu. Der Geschädigte kann als Herr des Restitutionsgeschehens grundsätzlich selbst bestimmen, in welcher Weise er mit dem beschädigten Fahrzeug verfährt, ihm dürfen bei der Schadensbehebung nicht die vom Schädiger oder vom Haftpflichtversicherer gewünschten Verwertungsmodalitäten, insbesondere Restwertangebote aus Internet-Restwertbörsen, aufgezwungen werden. Folge dieser gefestigten Rechtsprechung ist es, dass die Rechte und Pflichten, die den Geschädigten bei der Verwertung seines Unfallfahrzeuges treffen, entsprechend auch für den Kfz-Sachverständigen bei der Erstellung seines Unfallgutachtens zu gelten haben.
Muss sich also der Geschädigte keine höheren Restwertangebote spezieller Internet-Restwertbörsen entgegen halten lassen, sondern kann er vielmehr auf die Anbieter des allgemein zugänglichen, regionalen Automarktes zurückgreifen, so darf auch der Kfz-Sachverständige bei Erstellung seines Schadensgutachtens grundsätzlich nur von Angeboten des regionalen, allgemeinen Marktes ausgehen und muss seinem Gutachten gerade nicht Angebote aus Internet-Restwertbörsen zu Grunde legen. Aus diesem Grund musste der Beklagte keine Angebote von Internet-Restwertbörsen bei der Erstellung seines Schadensgutachtens berücksichtigen.
Dass einer der von der Klägerin über die Internet-Restwertbörse ermittelte Anbieter eine Zweigniederlassung in Leipzig unterhält, macht diesen nicht zu einem Anbieter des regionalen, allgemein zugänglichen Marktes, denn dieser Anbieter, trat lediglich im Internet auf (auf russisch) und konnte so auch nur online, entgeltpflichtig und damit nicht durch Abfrage des allgemeinen regionalen Marktes ermittelt werden.
2.
Der Klägerin steht auch kein Schadensersatzanspruch aus § 823 BGB wegen unerlaubter Handlung gegen den Beklagten zu. Auch hier kann eine Pflichtverletzung des Beklagten auf Grund des oben Ausgeführten nicht festgestellt werden.
Die Klage mußte daher kostenpflichtig zurückgewiesen werden.
So das überzeugende Urteil der 118. Zivilabteilung des Amtsgerichtes Leipzig vom 20.06.2008. Das von dem Amtsgericht Leipzig zitierte Urteil des BGH vom 10.07.2007 (VI ZR 217/06) ist veröffentlicht in der DS 2007, mit Anmerkung Wortmann. Die Haftpflichtversicherer sollten nun doch endlich merken, dass den Internet-Restwertbörsen eine Absage erteilt ist.
ein zu begrüßendes urteil von richter werhahn. besonders bemerkenswert ist der absatz am ende der ziffer 1, in der das gericht meint, der (wohl russische) bieter mit vermeintlicher zweigniederlassung in leipzig werde dadurch nicht zum bieter des regionalen marktes.
dies ist m.e. das problem, was demnächst verstärkt kommen wird. die versicherer brauchen doch bloß angebote forcieren, die vom regionalen markt kommen. hier werden sich m.e schon bald koordinatoren einschalten, die immer dafür sorgen, dass das angebot eines bieters vom überregionalen markt als ein solches vom regionalen markt erscheint.
dem kann man m.e. am besten begegnen, indem das fahrzeug schnellstmöglich nach erhalt des gutachtens zu dem im gutachten genannten preis veräußert wird.
Sehr geehrter Herr Kollege,
wie wahr. Der Geschädigte kann bei einem qualifizierten Gutachten nach der herrsch. Rspr. und Lit. sofort nach dessen Erhalt (ohne den Vers. zu unterrichten ) das unfallbeschädigte Fahrzeug veräußern. Der Haftpflichtversicherer ist Schuldner der Schadensersatzleistung und nicht Gläubiger irgendeiner Forderung. Bis heute konnten die Versicherer auch noch nicht schlüssig darlegen, dass sie überhaupt etwas von dem Geschädigten fordern können. Derartige Rechte kennt § 249 BGB nicht. Vgl. hierzu die Ausführungen in ZfS 1999, Seite 1 ff.
MfkG.
RA Wortmann
Bei dieser Entscheidung ist mir durch Recherche dieser glückliche Umstand (russische Hompegae)zu Pass gekommen, den das Gericht dankbar aufgriff.
Ansonsten konnte das Gericht auch davon überzeugt werden, dass der (zufällige ) Umstand, der Ortsansässigkeit des Resteverwerters dessen Angbot nicht zu einem des regionalen Marktes macht. Internet bleibt Sondermarkt, egal wo der Aufkäufer sitzt.
MFKG RAMP
@ Ra Wortmann
Ein unmittelbar nach der Beweissicherung des SV gefertigter Vorvertrag mit einem geneigten Käufer,welcher inhaltlich u.a. folgenden Text beinhaltet:“… das Objekt(Fahrzeug)wird zu dem vom Sachverständigen geschätzten Restwert verkauft/angekauft“…, hebelt bereits die Restwertpreller aus!
Ohne den Kaufpreis je genannt zu haben genügt dies schon als rechtsgültiger Vertrag.
Hat mir der eine u. andere Verkehrsrechtsanwalt gesagt.
MfG
Hallo Herr Hiltscher,
wie ich bereits oben erwähnt habe, kann der Geschädigte als Herr des Restitutionsgeschehens tun und lassen, was er für richtig und geboten hält, ohne hierfür den Schädiger oder seine Haftpflichtversicherung zu fragen. Diese hat einzig und allein nur Schadensersatz gem § 249 BGB zu leisten, und zwar ohne wenn und aber. Die Versicherer versuchen immer häufiger den Begriff der Schadensersatzverpflichtung ( ihre Pflicht und Schuldigkeit ) in ein Können umzuwandeln. Die Versicherer haben lediglich eine 14-tägige Prüfungspflicht
( vgl LG Saarbrücken ) und daran unmittelbar anschließend eine Regulierungspflicht! Bei deliktischen Schadensersatzansprüchen kann es bei den unmittelbaren Schäden gar keine Schadenminderungspflicht geben. Mit dem Crash ( unerlaubte Handlung ) ist der Unfallschaden eingetreten. Wie soll dieser Schaden noch gemindert werden? Der unmittelbare Schaden an dem Fahrzeug steht daher mit dem Zeitpunkt der unerlaubten Handlung fest. Dogmatisch ist deshalb eine Geringhaltung dieses eingetretenen Schadens gar nicht mehr möglich. Lediglich bei den Unfallfolgeschäden sind Schadensgeringhaltungspflichten des Geschädigten überhaupt möglich, weil hie der Geschädigte Einfluss nehmen kann.
Insoweit kann der Geschädigte, ohne den Versicherer zu fragen, nach der Beweissicherung durch den von ihm eingeschalteten SV den verunfallten Wagen zu den Konditionen des Gutachtens veräußern oder Inzahlung geben. Was der Geschädigte mit dem Schadensauto macht, geht die Versicherung nichts an ( vg. LG Kleve mit zust. Anm. Diehl ).
MfG
RA Wortmann
@ RA Wortmann und Herrn Hiltscher,
das mag zwar für den Geschädigten zutreffen, aber wir haben hier das Problem, dass der Sachverständige in Anspruch genommen wurde.
Und dieser haftet durchaus für die Richtigkeit des von ihm ermittelten Restwerts auf dem regionalen Markt
Im obigem (meinem) Fall, hatte es die Gegenseite glücklicherweise versäumt, entsprechendes zu bestreiten, sondern ausschliesslich mit den Börsen artgumentiert.
Insoweit besteht durchaus ein Haftungsrisiko für den SV, den die Versicherungswirtschaft zunehmend mit den unsinnigen und unseriösen Internetbörsen zusätzlich unter Druck setzt.
Nur am Rande sei jedoch angemerkt, dass dies hier vorliegend gründlich in die Hose ging. Zunächst wurde Klage für den Geschädigten geführt, dem man seitens DA unterstellte, dass er hätte vor der Veräußerung warten müssen (Urteil ist ebenfalls unter SV _Honorar hier abgelegt), was natürlich schiefging.
Im Anschluss hat man tatsächlich dann den SV in Anspruch genommen – das Ergebnis siehe oben.
Letztendlich muss man allen Sachverständigen Respekt zollen, die sich von derartigen Einschüchterungsversuchen nicht beirren lassen. Leider werden dies immer weniger…
Grüße aus Leipzig
RAMP
Hi RAMP,
nur Mut, nur Mut, kann ich da nur sagen. Eigentlich sollten sich immer mehr Sachverständige wehren. Wenn es weniger werden, wie Sie behaupten, so sollten diese sich ein Beispiel an Ihrem Fall nehmen. Man kann natürlich keinen SV zwingen, aber zum Rechtstreit ermutigen.
Grüße nach Leipzig
RA Wortmann
Ich denke viele SV lassen sich deshalb einschüchtern, weil sie keinen Wissenshintergrund mehr zum Restwert haben! Und genau deshalb wird dann die RW-Börse bemüht.
Ich gebe zu, dass ich auch schon Fahrzeuge in die RW-Börsen eingestellt habe, bei denen ich mir extremst unsicher war. Bisher war das noch weniger als zwei Hände voll der Fall.
Aber es gibt eben auch Kollegen, die schon bei einem Audi A4 nicht mehr sinnvoll ermitteln können, was dieses Fahrzeug mit einem bestimmten Schadenumfang noch an Restwert hergibt.
Das ist bedenklich und spielt der Versicherung in die Hände.
Wenn ich jedoch den Durchblick habe, kann ich jedes Höchstgebot, das über eine Höchstpreisinternetseite eingeholt wird, auseinandernehmen und aushebeln, da macht es auch nichts, wenn mal 3000,00 Euro Unterschied anstehen.
Wenn ich allerdings den Restwert auf dem regionalen Markt tatsächlich falsch ermittelt habe, dann komme ich ins Schleudern, wenn ich diesen verteidigen soll und dann ist es natürlich auch richtig, dass ich zu meinem Fehler stehen muss und gegebenenfalls Schadenersatz leisten muss.
Grüße
Andreas
Anderas, für den es dann die Betriebshaftpflichtversicherung gibt.
Schönes Wochenende an alle.
Euer VS