Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,
wir setzen unsere Reihe mit historischen BGH-Urteilen fort. Heute stellen wir Euch hier ein weiteres historisches BGH-Urteil zur Mehrwertsteuererstattung bei einer Ersatzbeschaffung vor. Das waren noch BGH-Urteile mit Format, wie wir meinen. Lest selbst und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab.
Viele Grüße
Willi Wacker
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 166/80 Verkündet am: 04.05.1982
In dem Rechtsstreit
…
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. Mai 1982 durch die Richter Dunz, Scheffen, Dr. Steffen, Dr. Kullmann und Dr. Lepa
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München mit dem Sitz in Augsburg vom 24. April 1980 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision fallen den Beklagten zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger wurde am 20. November 1978 in einen Verkehrsunfall verwickelt, den die Erstbeklagte mit dem bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten Pkw des Zweitbeklagten allein verursacht und verschuldet hatte. Hierbei wurde der Pkw des Klägers, der erst im Januar 1977 zugelassen worden war und eine Laufleistung von 33.400 km aufwies, schwer beschädigt. Der Kläger erwarb von einem Privatmann ein Ersatzfahrzeug. Mehrwertsteuer fiel hierbei nicht an.
Die Beklagten ersetzten die dem Kläger entstandenen Sachschäden mit Ausnahme der auf den Wiederbeschaffungswert des zerstörten Fahrzeugs entfallenden Mehrwertsteuer. Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagten diesen Betrag ebenfalls zu ersetzen haben.
Landgericht und Oberlandesgericht haben die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, dem Kläger auch den auf den Wiederbeschaffungswert entfallenden Mehrwertsteuerbetrag zu ersetzen.
Mit ihrer (zugelassenen) Revision erstreben die Beklagten weiterhin Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht ist der Ansicht, aus §§ 249, 251 Abs. 1 BGB folge, daß der Geschädigte verlangen könne, so gestellt zu werden, daß er einen dem beschädigten Pkw vergleichbaren gebrauchten Wagen nach einer gründlichen technischen Überprüfung mit Werkstattgarantie von einem seriösen Gebrauchtwagenhändler erwerben könne. Zu ersetzen sei daher der Wiederbeschaffungswert und nicht der in der Regel geringere Zeitwert des zerstörten Fahrzeugs. Bestandteil des Wiederbeschaffungswertes sei auch die Mehrwertsteuer. Dies gelte auch dann, wenn deren Anfall heute beim Gebrauchtwagenkauf vom Händler weitgehend durch gültige Agenturverträge vermieden werde. Die Mehrwertsteuer sei bei der Schadensberechnung als Preisfaktor des Wiederbeschaffungswertes zu berücksichtigen, ohne daß es darauf ankomme, ob der Geschädigte eine Ersatzbeschaffung überhaupt vornehme und ob gegebenenfalls bei dieser Ersatzbeschaffung Mehrwertsteuer anfälle.
II.
Diese Auffassung des Berufungsgerichts hält den Angriffen der Revision stand. Die Beklagten sind gemäß §§ 823 Abs. 1 BGB, 7 Abs. 1 StVG und 3 PflVG dem Kläger zum Schadensersatz verpflichtet. Sie haben ihm die Wiederbeschaffungskosten zu ersetzen, zu denen auch – gleichgültig, ob und inwieweit sie bei der Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs angefallen ist oder nicht – die Mehrwertsteuer zählt.
1.
Die Schadensbemessung bestimmt sich nach §§ 249, 251 Abs. 1 BGB. Die danach zu leistende Entschädigung umfaßt die Kosten für die Wiederbeschaffung eines Ersatzobjekts, das der zerstörten Sache wirtschaftlich gleichwertig ist. Dies bedeutet, daß derjenige, der im Fall eines Kraftfahrzeugtotalschadens ersatzpflichtig ist, den Wiederbeschaffungswert des zerstörten Kraftfahrzeugs zu ersetzen hat (Urteile des erkennenden Senats vom 17. Mai 1966 – VI ZR 252/64 – VersR 1966 S. 830 f. und vom 7. März 1978 – VI ZR 237/76 = VersR 1978 S. 664 f.).
Dem Geschädigten stehen verschiedene Wege der Wiederbeschaffung zur Verfügung. Er kann – etwa durch Zeitungsanzeigen – mit Privaten in Kontakt treten, die ihr gebrauchtes Fahrzeug veräußern möchten. Dieser vielleicht am häufigsten beschrittene Weg der Ersatzbeschaffung (vgl. Kötz, Festschrift für Hauß, 1978, S. 193 f.) ist für den Geschädigten indes in der Regel mit einem spürbaren Aufwand an Zeit und Mühe verbunden. Er birgt überdies regelmäßig ein beachtliches Risiko, und zwar sowohl im Bezug auf die Mängelfreiheit des Ersatzfahrzeugs als auch in Bezug auf die Durchsetzbarkeit etwaiger Gewährleistungsansprüche. Weiter hat der Geschädigte die Möglichkeit, sich an einen Kraftfahrzeughändler zu wenden. Dieser Weg ist für ihn angesichts der Konzentration des Angebotes von Gebrauchtwagen bei den Händlern in der Regel weniger aufwendig und mühevoll. Der Erwerb eines Gebrauchtwagens unter Einschaltung eines Gebrauchtwagenhändlers erfolgt üblicherweise in zwei Formen. Entweder tritt der Händler nur als Vermittler auf, so daß der Geschädigte das Fahrzeug vom bisherigen Eigentümer erwirbt (sog. „Agenturgeschäfte“ oder „Kommissionsgeschäfte“). Oder der Händler handelt im eigenen Namen und für eigene Rechnung.
Die Rechtsordnung, die dem Geschädigten in §§ 249, 251 Abs. 1 BGB den Anspruch auf den vollen Wiederbeschaffungswert des zerstörten Fahrzeugs gewährt, gibt ihm das Recht, diesen demnach für ihn problemlosesten und sichersten Weg der Ersatzbeschaffung zu wählen. Der erkennende Senat hat schon 1966 entschieden, daß der Geschädigte vom Schädiger die Kosten ersetzt verlangen kann, die sich ergeben, wenn er einen dem total beschädigten Fahrzeug ähnlichen Wagen nach einer gründlichen technischen Überprüfung von einem seriösen Gebrauchtwagenhändler erwirbt und sich von diesem Händler für eine gewisse Zeit eine Werkstättengarantie geben läßt (Urt.v. 17.05.1966 – VI ZR 252/64 – aaO). An dieser Rechtsprechung, die auch in dem späteren Senatsurteil vom 07.03.1978 (VI ZR 237/76 – aaO) Ausdruck gefunden hat, wird jedenfalls für die Fälle festgehalten, in denen es sich – wie im Streitfall – bei dem Schadensfahrzeug um einen relativ wenig gefahrenen Wagen handelt, dessen guter Zustand in der Höhe seines Wiederbeschaffungswertes zum Ausdruck kommt. Sie beruht auf dem Gedanken der Zumutbarkeit, auf den der Senat bei der Frage, welcher Ersatzanspruch dem Geschädigten zusteht, wiederholt abgestellt hat (vgl. BGHZ 54, 82, 85 f.; 61, 56, 58). Es ist dem Geschädigten nicht zuzumuten, sich zum Vorteil des Schädigers mit einem Ersatzfahrzeug zufrieden zu geben, für dessen Mängelfreiheit nicht ein seriöser Gebrauchtwagenhändler einsteht, der das Fahrzeug gründlich überprüft hat und der die Gewähr der Durchsetzbarkeit etwaiger Gewährleistungsansprüche bietet. Diese Auffassung hat auch im Schrifttum Zustimmung gefunden (vgl. z.B. Kötz, aaO, S. 194 m.w.Nachw.).
Geschieht der Erwerb des Ersatzfahrzeugs auf diesem Wege, so ist die Mehrwertsteuer in vollem Umfang zu zahlen. Sie entfällt nur dann, wenn der Händler deutlich im Namen eines anderen verkauft und das Risiko nicht übernimmt, eine selbständige Werkstattgarantie also nicht gibt (BFH 91, 320, 322). Dabei kann auf sich beruhen, inwieweit die vom Händler ausgewiesene Mehrwertsteuer eine echte Verteuerung des Ersatzfahrzeugs darstellt, obwohl der Aufwand der Mehrwertsteuer beim Ersterwerb des Fahrzeugs auch in die Kalkulation der Preise von Gebrauchtwagen beim Verkauf unter Privatleuten Eingang finden mag, worauf in der Rechtsprechung der Instanzgerichte mehrfach hingewiesen wird. Entscheidend ist vielmehr, daß ein Geschädigter den die Mehrwertsteuer mit ausweisenden Gesamtpreis zahlen muß, wenn er sich für den Weg der Ersatzbeschaffung entscheidet, der seine Interessen am besten sichert. Der Gesamtbetrag stellt sich für ihn dann als der endgültige Schaden dar. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Geschädigte nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. In diesem Fall ist er auch dann, wenn er den für ihn problemlosesten und risikofreiesten Weg der Ersatzbeschaffung in Form des Eigengeschäfts des Händlers wählt, mit der Mehrwertsteuer nicht endgültig belastet (vgl. Senatsurteil vom 06.06.1972 – VI ZR 49/71 – VersR 1972, S. 973).
Die Mehrwertsteuer ist als Schadensposten dem Geschädigten aber auch dann zu erstatten, wenn er sich für einen Weg der Ersatzbeschaffung entscheidet, auf dem diese Steuer nicht anfällt. Dies folgt aus dem Grundsatz der Dispositionsfreiheit des Geschädigten. Der Anspruch, der dem Geschädigten aus §§ 249, 251 Abs. 1 BGB zusteht, unterliegt keinem bestimmten Verwendungszwang; sein Bestand ist unabhängig davon, ob der Geschädigte seinen Schaden in der seiner Berechnung zugrundeliegenden Weise behoben hat oder beheben will. Es gilt der Grundsatz, daß der Betrag der Geldentschädigung zur freien Verfügung des Geschädigten steht; er steht ihm auch dann zu, wenn er auf die Schadensbeseitigung ganz verzichtet (vgl. BGHZ 61, 56, 58; 66, 239, 241 ff). Aus dieser rechtlichen Selbständigkeit des Anspruchs des Geschädigten folgt, daß eine Kürzung dieses Anspruchs auch dann nicht eintritt, wenn sich der Geschädigte mit einer Form der Ersatzbeschaffung zufrieden gibt, bei der die Mehrwertsteuer nicht anfällt. Dieses Ergebnis entspricht auch der im Schrifttum am häufigsten vertretenen Auffassung (vgl. u.a. Dittmann, DAR 1980, S. 6; Giesberts, UStR 1972, S. 281 f.; Giesen, NJW 1979, S. 2069 f.; Hörl, Der Verkehrsunfall, 1977, S. 66; Klimke, NJW 1979, S. 1307; MünchKomm/Grunsky, § 251, Rdn. 9; Palandt/Heinrichs, 41. Aufl., § 251, Anm. 4 a aa; Schaumburg, NJW 1974, S. 1734/1739; Staudinger/Medicus, BGB, 12. Aufl., § 251 Rdn. 52; Streck, BB 1971 S. 1085/1088). Es hat auch in zahlreichen gerichtlichen Entscheidungen seinen Niederschlag gefunden (vgl. u.a. KG, VersR 1973 S. 60; OLG Bamberg, NJW 1979 S. 2316 f. [OLG Bamberg 22.05.1979 – 5 U 54/79]; OLG Köln, VersR 1977, S. 939; LG Gießen, ZfS 1981 S. 269; LG Konstanz, ZfS 1980 S. 9; LG München, VersR 1973 S. 1176; 1980 S. 368; AG Köln, ZfS 1980 S. 266; AG Mönchengladbach, ZfS 1980 S. 266). Dem ist noch anzufügen, daß der Erwerb eines nach Typ, Alter und Erhaltungszustand dem Unfallfahrzeug genau entsprechenden Wagens zwar eine unentbehrliche Berechnungsgrundlage, aber in der Praxis eher die Ausnahme bilden wird, auch wohl meist die Wartezeit zu Lasten des Schädigers unangemessen verzögern würde.
Dieses Ergebnis erscheint auch innerlich gerechtfertigt. Es mag auf sich beruhen, ob es zutrifft, daß die Schadensbemessung, die auf den Erwerb des Ersatzfahrzeugs von einem seriösen Gebrauchtwagenhändler abstellt und dem Geschädigten folglich den Mehrwertsteuerbetrag zuerkennt, die Belastung des Schädigers letztlich nicht oder kaum erhöht, weil dann, wenn statt dessen für die Schadensbemessung auf den Erwerb aus Privathand abgestellt werden würde, wegen der in diesem Fall regelmäßig längeren Suche nach einem Ersatzfahrzeug höhere Mietwagenkosten anfielen (vgl. hierzu z.B. Kötz, a.a.O. S. 194). Auch kann dahinstehen, ob es richtig ist, daß bei Gebrauchtwagengeschäften von privater Hand der Veräußerer die von ihm früher bei der Anschaffung des Fahrzeugs gezahlte Umsatzsteuer von vornherein in seinen Preis einkalkuliert und sie so verdeckt weitergibt (vgl. hierzu u.a. Schaumburg, aaO). Entscheidend ist nämlich die Interessenlage des Geschädigten. Dieser übernimmt, wenn er ein Ersatzfahrzeug von einem Privaten erwirbt und damit den auf den Wiederbeschaffungswert entfallenden Mehrwertsteuerbetrag wenigstens zum Teil wirklich erspart, in Bezug auf die Mängelfreiheit des Fahrzeugs und die Durchsetzbarkeit etwaiger Gewährleistungsansprüche ein größeres Risiko und erlangt damit einen geringeren wirtschaftlichen Wert als derjenige, der von einem seriösen Gebrauchtwagenhändler ein sorgfältig geprüftes und mit Werkstattgarantie versehenes Fahrzeug ersteht. Er erspart mithin den Mehrwertsteuerbetrag nur um den Preis der weitreichenderen Absicherung, die ihm die Rechtsordnung durch die Zubilligung des Erwerbs des Ersatzfahrzeugs von einem seriösen Gebrauchtwagenhändler gewährt; das darf nicht dem Schädiger zugute kommen.
2.
Demgegenüber erweisen sich die Argumente, die gegen die Zubilligung der Mehrwertsteuer in den Fällen des Erwerbs des Ersatzfahrzeugs von Privaten vorgebracht werden, nach Auffassung des Senats als nicht stichhaltig. Soweit einige Gerichte – ebenso wie die Revision – darauf abheben, daß der Erwerb des Ersatzfahrzeugs von Gebrauchtwagenhändlern als Eigengeschäft nur noch den geringeren Teil der Fälle der Ersatzbeschaffung ausmacht (vgl. hierzu u.a. LG Bonn, ZfS 1981 S. 269; LG Kassel, VersR 1980 S. 343; LG Köln, VersR 1979 S. 851 f. und ZfS 1980 S. 169; LG Siegen, ZfS 1980 S. 265; AG Aalen, ZfS 1980 S. 265; AG Heidenheim, RuS 1981 S. 192; AG Mainz, NJW 1979 S. 272 [AG Mainz 20.10.1978 – 8 C 625/78]; AG Nürnberg, ZfS 1980 S. 265), wird verkannt, daß sich die Bemessung des Schadens an dem für den Geschädigten zumutbaren Weg der Ersatzbeschaffung zu orientieren hat und daß es nach dem Grundsatz der Dispositionsfreiheit des Geschädigten für die Höhe des so bestimmten Ersatzanspruchs irrelevant ist, ob der Geschädigte seinen Schaden in der seiner Berechnung zugrundegelegten Weise behoben hat. Gleiches gilt, soweit einige Autoren unter Hinweis auf die Subjektbezogenheit des Schadensbegriffs, das Erfordernis der konkreten Schadensberechnung und das Bereicherungsverbot die Zuerkennung des auf den Wiederbeschaffungswert entfallenden Mehrwertsteuerbetrages ablehnen (vgl. Koch, DAR 1980 S. 355; Werber, NJW 1974 S. 213/216 f.).
3.
Angesichts dieser Rechtslage brauchte das Berufungsgericht nicht Beweis über die Behauptung der Beklagten zu erheben, daß der Verkauf gebrauchter Kraftfahrzeuge heute ganz überwiegend (zu etwa 70 %) zwischen Privatleuten abgewickelt werde.
Die Klage war auch nicht, wie die Revision geltend macht, deshalb unschlüssig, weil der Kläger nicht vorgetragen hat, daß er nicht vorsteuerabzugsberechtigt ist. Die Berechtigung zum Vorsteuerabzug stellt sich als Vorteilsausgleichung dar (vgl. Senatsurteil vom 6. Juni 1972 – VI ZR 49/71 = VersR 1972 S. 973). Dies bedeutet, daß die Darlegungs- und Beweislast insoweit beim Schädiger lag, zumal die Berufsbezeichnung des Klägers, um deren Ergänzung die Beklagten nie bemüht waren, eine Abzugsberechtigung mindestens nicht nahelegt.
Dunz Scheffen Dr. Steffen
. Dr. Kullmann Dr. Lepa
Vorinstanzen:
OLG München, Entscheidung vom 24.04.1980
LG Augsburg