In einem aktuellen Rechtsstreit prozessiert der Geschädigte nach einem Unfall aus dem Jahr 2011 gegen den Versicherer, nachdem dieser die vom Sachverständigen errechneten Reparaturkosten durch Verweis an eine Referenzwerkstatt und deren angebliche Stundenverrechnungssätze gekürzt hat. Daneben wurden auch Verbringungskosten sowie UPE-Aufschläge gestrichen. Das übliche Procedere also ….
Die Referenzwerkstatt hat keinen konkreten Kostenvoranschlag erstellt.
Das Gericht hat einen Beweisbeschluss erlassen, nach dem ein gerichtlicher Sachverständiger feststellen sollte, ob die Referenzwerkstatt „in Ansehung der streitgegenständlichen Schäden eine Reparaturqualität, deren Standart der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt der Herstellerin des Kfz des Klägers entspricht, zu Preisen von …… € pro Stunde für Mechanik-, Elektrik- und Karosseriearbeiten zu Preisen von ……. € pro Stunde für Lackierarbeiten liefert.“
Der gerichtliche Sachverständige hat geprüft und kommt zu dem Ergebnis, dass der konkrete Schaden in gleicher Qualität auch von der Referenzwerkstatt behoben werden kann. Allerdings stellt der Sachverständige fest, dass die vom Versicherer – auch im gerichtlichen Verfahren – behaupteten Stundensätze der Referenzwerkstatt nicht zutreffend sind für das Jahr 2011. So lagen die Stundensätze für Mechanikerstunden erstaunlicherweise 0,75 € unterhalb der behaupteten Sätze, allerdings lagen die Sätze für Karosseriearbeiten 10,50 € über den behaupteten Sätzen. Die tatsächlichen Stundensätze für Lackierarbeiten lagen konkret 6,98 € über den vom Versicherer behaupteten und vorgetragenen Sätzen. Insgesamt besteht eine Differenz zu den tatsächlichen Stundensätzen in Höhe von ca. 180,00 €.
Gerne hätte ich hier einmal eine Einschätzung von berufenen Kollegen, ob dies nicht den klassischen Fall eines versuchten Prozessbetruges darstellt, wenn der Versicherer im Verfahren niedrigere Stundensätze behauptet, als tatsächlich erhoben werden.
Für die Zivilrechtler: wenn der Schädiger bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung sich eine Verweisung an eine Referenzwerkstatt bieten lassen muss, so ist jedenfalls der BGH der Auffassung, warum muss sich der Geschädigte bei einer fiktiven Schadenabrechnung dann eigentlich Stundensätze aus dem Jahr 2011 vorhalten lassen?
Für Kommentare wäre ich dankbar!
Das Urteil muss auf jeden Fall veröffentlicht werden. Hoffentlich schreibt der Richter die Feststellungen auch eindeutig in das Urteil. Auch die folgenden Urteile beruhen auf diese Erfahrungen:
– LG Berlin, Urteil vom 16.01.2013 – 43 S 136/12
– AG Hattingen, Urteil vom 04.01.2013 – 15 C 126/12
– AG Hattingen, Urteil vom 21.09.2012 – 15 C 61/12
– AG Berlin Mitte, Urteil vom 25.08.2010 – 110 C 3178/10
Hallo Babelfisch,
1. Zu der strafrechtlichen Seite meine ich, obwohl ich kein Strafrechtler bin,
dass in Übereinstimmung mit den Feststellungen des Amtsrichters des AG Mitte in Berlin dereinst, die Vorlage der Akte an die zuständige Staatsanwaltschaft wegen des Verdachtes des Prozessbetruges durchaus gerechtfertigt ist. Der Strafanzeige sollte dann auch das Urteil des AG Mitte, das hier veröffentlicht wurde, beigefügt werden.
2. Zu der zivilrechtlichen Frage, ob auch noch bis zur letzten mündlichen Verhandlung seitens der beklagten eintrittspflichtigen Versicherung auf ältere, nicht mehr gültige Stundensätze der Alternativwerkstätten Bezug genommen werden darf, meine ich, dass entscheidend ist der Stand im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, nachdem der BGH eine Verweisung praktisch bis zu diesem Zeitpunkt zugelassen hat. Dann sind allerdings auch die Stundensätze zu diesem Zeitpunkt sowie die Arbeitszeiten und die Ersatzteilpreise usw. zu diesem Zeitpunkt maßgeblich. Denn es geht nicht, dass die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung sich nach der Rosinentheorie nur für sie günstige Teile heraussucht. Siehe vor kurzem hier im Blog veröffentlichtes Urteil zur fiktiven Schadensabrechnung. Ich meine, es wäre das AG München gewesen. Siehe AG München Urteil vom 4.9.2013 – 343 C 16478/13 – .
Mit freundl. koll. Grüßen
Willi Wacker
Die Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht stellt den Versuch eines Prozessbetruges dar.
Man stelle sich nur vor,die Klagepartei hätte die Behauptung der Beklagten im Vertrauen darauf,ein renomierter Versicherer werde doch nicht lügen,unstreitig gestellt.
Das Urteil würde dann den Prozessbetrug vollenden.
Man sollte nicht soviel bestreiten,sondern die schamlosen Lügen zum „Erfolg“ kommen lassen und danach die Strafanzeigen erstatten.
Vollendete Delikte werden von den Staatsanwaltschaften eher verfolgt.
Zivilrechtlich sollte auch danach die Wiederaufnahme möglich sein.
@WW: welches Urteil meinst du genau?
Hallo Babelfisch,
die Redaktion hat das von mir erwähnte Urteil schon verlinkt. Siehe bitte meinen Kommentar von 16.44 h. Das Urteil des AG München mit der Rosinentheorie hatte der Captain-Huk-Blog am 8.10.2013 veröffentlicht. AG München 343 C 16478/13 .
Bei dem Urteil des AG Mitte handelt es sich um AG Mitte Urt. v. 28.8.2012 – 111 C 3172/10 – , das nach Angaben von Herrn Otting Folgen haben sollte. Bisher habe ich aber noch nichts dergleichen gehört oder gelesen.
Noch einen schönen Abend
Willi Wacker